# taz.de -- 57.-60. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Schüsse fielen wie Regen
       
       > Erstmals beschreibt ein Mittäter im Detail den Angriff der ruandischen
       > FDLR-Miliz auf das kongolesische Dorf Busurungi im Mai 2009.
       
 (IMG) Bild: Seit Jahren schon auf der Flucht: Flüchtlingslager bei Goma im Ostkongo (Archivbild von 2009).
       
       STUTTGART taz | Endlich ein Augenzeuge! Endlich einer, der selbst mitmachte
       bei den Angriffen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas),
       von denen in der Anklage gegen FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und
       seinen Vize Straton Musoni die Rede ist. Der Kriegsverbrecherprozess vor
       dem Oberlandesgericht Stuttgart geht ans Eingemachte.
       
       Wie weggeblasen sind plötzlich die bisher häufig vorgetragenen Vorhalte der
       Verteidigung, die Zeugen seien möglicherweise in Ruanda falsch befragt
       worden oder müßten Angst haben, ob sie sich selbst belasten, wenn sie in
       Deutschland aussagen. Es geht um die Sache, sehr detailliert. Und was für
       eine Sache: "Wir können uns nur an schlimme Dinge erinnern und nicht an
       Gutes", sagt der Zeuge einmal unvermittelt.
       
       Der ehemalige FDLR-Gefreite N, der an den Verhandlungstagen 6., 8., 13. und
       15. Februar auftritt, gibt ausführlich vor allem über den Angriff der FDLR
       auf das kongolesische Dorf Busurungi Auskunft, bei dem in der Nacht des 9.
       Mai 2009 das Dorf dem Erdboden gleichgemacht und zahlreiche Menschen
       getötet wurden. "Es wurde mehr als der Regen geschossen", schildert er
       dieses größte einzelne der FDLR zugeschriebene Kriegsverbrechen.
       
       Wie so viele FDLR-Soldaten kam N als ruandischer Hutu-Flüchtling nach 1994
       in den Kongo und schloss sich noch minderjährig im Jahr 1997 der ALIR
       (Ruandische Befreiungsarmee), eine Nachfolgeorganisation der nach
       vollzogenem Völkermord aus Ruanda geflohenen ehemaligen ruandischen Armee,
       aus der später die FDLR wurde.
       
       Mit der ALIR kämpfte er auch innerhalb Ruandas, "zwei Jahre lang", wie er
       sagt. "Danach hatten wir nicht genug Kraft, um den Krieg weiterzumachen,
       und wir sind zurück nach Kongo gegangen" - erst in den Distrikt Rutshuru,
       dann in den Distrikt Masisi, wo er in der Schutzkompanie "Soleil" der
       obersten FDLR-Militärführung diente.
       
       ## FDLR-Einheiten ausgetrickst
       
       Als im Januar 2009 im Ostkongo die kongolesisch-ruandische Militäroperation
       "Umoja Wetu" gegen die FDLR begann, stand er in Gasake. Er nennt seine
       Stationen in den Wochen danach: Mianga, Remeka, Kibua. In Kibua wurde der
       Vizekommandant der Brigade und der Kommandant S3 getötet, weil dort die
       FDLR-Einheiten ausgetrickst wurden.
       
       Was genau wann in welcher Reihenfolge und in welchen Abständen geschah, das
       sagt der Gefreite zu unterschiedlichen Zeitpunkten der viertägigen
       Befragung unterschiedlich aus. Aber nach der Vertreibung aus Kibua, da ist
       er sich offenbar sicher, kam seine Einheit nach Busurungi, wo seit Februar
       allerdings auch schon die FARDC stand.
       
       So entwickelten sich die blutigen Ereignisse von Shario und Busurungi, im
       April und Mai 2009. Ruandas und Kongos Soldaten griffen die FDLR in Shario
       an und töteten ruandische Hutu-Flüchtlinge unter FDLR-Kontrolle; die FDLR
       griff dann aus Rache Busurungi an und zerstörte den Ort.
       
       ## "Die FDLR beschloss den Angriff"
       
       Im Einzelnen schildert N genau, wie der Angriff auf Busurungi vorgeplant,
       organisiert und ausgeführt wurde. "Der Feind hat Shario viermal
       angegriffen. "Beim vierten Mal haben sie viele, viele Flüchtlinge getötet.
       Danach hat die FDLR dort patrouilliert, am Weg, wo die Soldaten nach Hause
       gingen. Sie haben sie verfolgt, aber festgestellt, dass die anderen
       Soldaten zu viele für einen Angriff waren."
       
       Dies sei General Mudacumura mitgeteilt worden, dem obersten
       FDLR-Militärführer. Die Reaktion: "Die FDLR beschloss den Angriff auf die
       Soldaten, die die Flüchtlinge getötet hatten". Dieser Befehl wurde die
       Hierarchie entlang an die Truppen heruntergegeben.
       
       "Der General hat die Brigade gerufen, die Brigade hat die Bataillone
       gerufen, die Bataillone haben die Kompanien gerufen, die Kompanien haben
       die Zugführer gerufen, die Zugführer haben die Chefs der Sektionen gerufen,
       sie sagten wo wir uns treffen für die Befehle, es wurde eine Uhrzeit
       verabredet und wir haben uns getroffen."
       
       Bei der Versammlung, die etwa 2,5 Stunden von Busurungi entfernt stattfand,
       "da wo Kambusi und Shario sich treffen", wurde der Angriffsplan
       vorgestellt. Sein Kommandant "hat den Soldaten gesagt, dass General
       Mudacumura den Befehl gegeben hat, die Leute zu verfolgen, die die
       Flüchtlinge getötet haben; dass wir diese Leute verfolgen und angreifen
       sollen".
       
       ## Botschaft vom General
       
       An anderer Stelle erklärt N, der Befehlsüberbringer habe gesagt, "dass es
       eine Botschaft vom General gibt, dass wir diese Stellungen angreifen sollen
       und zerstören, die Flüchtlinge getötet haben, damit sie die Gegend
       verlassen."
       
       Wurde da das genaue Vorgehen festgelegt, fragt die Verteidigung. "Wenn wir
       uns treffen, gibt es folgende Anweisungen: Sie sagen dir, du greifst hier
       an, du musst da hingehen - wenn wir losgehen, weiß jede Einheit, wo sie
       angreifen soll und wann. Wenn man vor der verabredeten Uhrzeit schießt,
       kann man bestraft werden."
       
       Was waren die Anweisungen für den Fall, dass man Zivilisten begegnet, fragt
       die Verteidigung weiter.
       
       "Wenn wir eine feindliche Zone angreifen, sind wir sicher, dass dort keine
       Zivilisten sind", entgegnet N. "Aber wenn wir einem Zivilisten begegnen,
       bevor wir am Ziel ankommen, nehmen wir ihn fest, damit der Feind nichts
       erfährt. Nach den Kämpfen lassen wir ihn wieder frei."
       
       ## Sturm auf Busurungi
       
       Dann ging es los Richtung Busurungi, das in einem Tal zwischen militärisch
       gesicherten Hügeln liegt. "Man hat fünf Positionen angegriffen rund um die
       Siedlung, dann hat man Mannschaften eingeteilt und wir haben gleichzeitig
       angegriffen, weil wir uns auf eine Uhrzeit geeinigt hatten", präzisiert N.
       
       "Es war nachts", schildert N und bestätigt sein Vernehmungsprotokoll,
       wonach es 2 Uhr morgens war. 600 bis 700 FDLR-Soldaten, so sagt er, hätten
       an dem Angriff teilgenommen. "Es war eine sehr große Siedlung, dort waren
       viele kongolesische und ruandische Soldaten". Manche waren in den Häusern
       der Zivilisten in der Siedlung, andere auf den Hügeln drumherum.
       
       "Wir haben in der Nacht gekämpft, die Soldaten sind weggelaufen, wir sind
       zurück und die Häuser waren noch da."
       
       ## Den Feind getötet und verjagt
       
       Seine eigene Einheit war am Angriff auf einen der Hügel um Busurungi
       beteiligt, wo eine militärische Stellung der FARDC war, jedoch wohl keine
       Zivilisten laut N. "Mein Bataillon und Zug hat die Soldaten, die unten bei
       den schweren Waffen waren, angegriffen. Wir haben von oben angegriffen, von
       Kimomo, wo die FDLR eine schwere Waffe hatte." Dort blieb offenbar sein
       Kommandant, der den Mörser bediente.
       
       Beim Vormarsch der Einheit seien mehrere Kommandanten getötet worden. "Der
       Feind war sehr stark, wir haben andere Einheiten per Funk gerufen, die uns
       verstärkt haben. Wir haben sie besiegt, sie sind weggelaufen, wir haben
       ihre Häuser angezündet", erzählt er. "Es waren die Häuser von 200
       Soldaten." Viele Militärstellungen seien Löcher im Boden gewesen, bedeckt
       von Stöcken und Gras; die habe man angezündet.
       
       Insgesamt, da ist er sich sicher, seien in Busurungi und auf den Hügeln 700
       kongolesische Soldaten stationiert gewesen- ein Bataillon (600 Mann) plus
       zwei Kompanien. Man habe kongolesische Soldaten "festgenommen und
       gefoltert", und so habe man erfahren, dass weitere Angriffe auf ruandische
       Flüchtlinge geplant gewesen seien.
       
       ## Brennende Häuser
       
       Die Kämpfe dauerten jedenfalls, sagt N, von 2 bis 4 Uhr morgens. Dann war
       das Material der FARDC erbeutet und ihre Stellungen angezündet. "Wir hatten
       die Häuser auf dem Hügel angezündet und das Material erbeutet und sind
       zurück in unsere Stellung", erinnert sich N. "Wir haben 150 Bomben und 85
       Boxen und Essen erbeutet" - mit Bomben meint er Mörsergranaten, eine Box
       enthalte 700 Munitionskisten. "Wir hatten 12 Verletzte und 7 Tote".
       
       Jede Einheit außer einer Spezialeinheit, die den Rückzug absicherte, habe
       sich gleichzeitig zurückgezogen, mit der ganzen erbeuteten Ausrüstung. Er
       habe sich am nächsten Tag mit seiner Einheit weiter nach Remeka
       zurückgezogen, andere Einheiten griffen derweil Manje an.
       
       Zur Frage, ob die FDLR Häuser angezündet hat, verwickelt N sich in
       Widersprüche. "Als wir angriffen, haben wir die Häuser der Soldaten
       angezündet und nicht von Zivilisten", sagt er. Dann aber muss er zugeben,
       dass Soldaten auch in Häusern von Zivilisten lebten, zumindest hätten sie
       dort Waffen gelagert. Diese seien aber erst am nächsten Tag angezündet
       worden, als die FDLR schon wieder weg war. "Morgens, als die Häuser
       niedergebrannt wurden, das war nicht die FDLR, sondern kongolesische
       Soldaten, wir waren weit entfernt," behauptet N.
       
       ## Zivilisten getötet? Nur Feinde
       
       Dass beim FDLR-Angriff auf Busurungi Zivilisten getötet oder vergewaltigt
       worden seien, streitet N vehement ab - aber vor allem, weil es nicht
       logisch, beziehungsweise "nicht begründet" sei. "Wie soll man jemanden
       erstechen, wenn man Munition hat?" fragt er in Antwort auf eine
       entsprechende Frage. "Wenn es über 5.000 Gewehre gibt, wie kann man ein
       Messer nehmen, um jemanden zu schlagen?" Oder: "Wie kann man, statt gegen
       den Feind zu kämpfen, zu Zivilisten gehen, um sie zu töten? Wie geht das?"
       
       Die meisten Zivilisten seien schon vor dem Angriff aus Busurungi
       geflüchtet, meint N; nach Süden, Richtung Hombo. "Beim Angriff wussten wir,
       dass einzelne Zivilisten in der Siedlung waren; nur wenige Zivilisten waren
       noch dort, die waren zuständig, Informationen zu holen, wo die FDLR ist."
       Doch auf die Frage nach Vergewaltigungen sagt er: "Es gab keine Frauen und
       Kinder, es gab nur Banditen." Kongolesische Zivilisten, "selbst Männer",
       würden weglaufen, wenn sie Schüsse hören.
       
       Der Begriff des Zivilisten scheint für N ohnehin relativ zu sein.
       Zivilisten, so rechtfertigt N, "lebten zusammen mit dem Feind; wenn der
       Feind angriff, waren sie dabei... Der Teil, der zum Feind gegangen ist,
       wurde als Feind betrachtet." Anders gesagt: Zivilisten, auf die die FDLR
       bei ihren Angriffen auf kongolesische Armeestellungen traf, waren legitime
       Ziele.
       
       ## Die Geheimnisse des Buschkrieges
       
       N liefert noch ein wichtiges Detail: Die kongolesischen FARDC-Soldaten in
       Busurungi hätten die gleichen Uniformen getragen wie die Soldaten der FDLR,
       die überdies alle Uniformen gehabt hätten - das haben andere ehemalige
       FDLR-Kämpfer schon anders dargestellt. "2008 hatte Kabila uns diese
       Unformen zusammen mit vielen Bomben und Munition gegeben", enthüllt N - zu
       einem Zeitpunkt also, als Kongos Regierung sich offiziell längst gegenüber
       Ruanda und der UNO verpflichtet hatte, die Zusammenarbeit mit den FDLR
       einzustellen. "Die Ausrüstung wurde im Norden abgeworfen, aus Flugzeugen" -
       mit "Norden" meint er Nord-Kivu, genauer die Distrikte Masisi und Rutshuru.
       
       Wie kann man denn unterscheiden, wer Freund und wer Feind ist, wenn alle
       dieselbe Uniform tragen, fragt da die Bundesanwaltschaft. Es folgt eine
       kleine Grundeinführung in den irregulären Buschkrieg. "Wir haben beim
       Militär Zeichen", erklärt N. "Zum Beispiel Zahlen, es kommt darauf an, was
       wir vorher verabredet haben. Jeder muss diese Zeichen kennen und benutzen."
       
       ## Tricks zum Überleben
       
       Aber das ist doch schwer, nachts im Kampf? "Es ist einfach. Wenn du das
       nicht machst, kann man nicht überleben."
       
       Aber wenn man das Zeichen dem Feind sagt, ist es doch möglich, dass er
       schießt? "Ja, so erkennt man, wer Feind ist und wer nicht."
       
       Allgemeines Gelächter. Aber dann ist es doch zu spät, bohrt der
       Staatsanwalt. "Du musst den Trick benutzen und wissen, dass er dich
       erschießen kann", erklärt N.
       
       Nach der Operation Busurungi war die FDLR übrigens nicht stabilisiert,
       macht N deutlich. Die Miliz musste weiter vor Kongos Armee zurückweichen.
       "Dann kam das Kommando, dass wir in die Wälder gehen sollten", berichtet
       der Exmilizionär, der schließlich 2010 die FDLR verließ und nach Ruanda
       zurückkehrte. "Wir sind dann in die Wälder gegangen. Der Feind kam in die
       Wälder, wir hatten keinen Zufluchtsort."
       
       Redaktion: Dominic Johnson
       
       22 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bianca Schmolze
       
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 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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