# taz.de -- die wahrheit: Tiefer Fall eines Rekordwindbeutels
       
       > Der Extremsportler Felix Baumgartner ist ein Mann, wie es nur noch wenige
       > gibt. Der 42-jährige Fallschirmjäger hat den Ärmelkanal mit einer Rakete
       > überflogen.
       
       Der österreichische Extremsportler Felix Baumgartner ist ein Mann, wie es
       nur noch wenige gibt. Wenn überhaupt. Der 42-jährige ehemalige
       Fallschirmjäger hat den Ärmelkanal mit einer Rakete auf dem Rücken
       überflogen und ist mit gefesselten Armen zurückgeschwommen. Den Mount
       Everest hat er auf einem gewöhnlichen Rollstuhl erklommen und
       rückwärtslaufend den Südpol erreicht.
       
       Nachdem er zuletzt einem Pottwal ins Maul geschnorchelt und sich durch den
       Verdauungstrakt wieder ins Freie gekämpft hat, plant er nun ein wirklich
       waghalsiges, wenn nicht historisches Abenteuer. Baumgartner will mit einem
       Spezialballon bis zur Schwelle des Weltenraums vordringen, in einer Höhe
       von 37 Kilometern aus der Gondel springen, die Schallmauer durchbrechen und
       nach etwa fünf Minuten sicher am Fallschirm zu Boden gleiten. Der Wahnsinn.
       
       Warum macht er das? Ist es das Adrenalin? Der ganze pseudopsychologische
       Mist? "Es ist nicht Adrenalin und der ganze pseudopsychologische Mist,
       warum ich das mache", so der athletische Idealist: "Es ist immer eine Idee,
       die mich nicht loslässt."
       
       Die Idee besteht darin, die Aufmerksamkeit für wirklich wichtige Probleme
       unseres Planeten zu senken. Eine schwierige Aufgabe, gewiss. Und doch
       könnte der aufgeblasene Hanswurst sie bewältigen, wie
       Kommunikationswissenschaftler herausgefunden haben: Jede Sendeminute über
       Baumgartners sinnfreies Unterfangen wäre keine Sendeminute über den Hunger
       in der Sahelzone, die Zerstörung der Ozonschicht oder die Armut auf der
       Welt. Und jede Zeile über diesen hanebüchenen Blödsinn ist keine Zeile
       über, puh, den Plastikmüll in unseren Ozeanen, die Beseitigung von
       Landminen oder den Kampf gegen Aids.
       
       Schließlich gibt es leider noch immer Menschen, die sich beharrlich nicht
       für irrelevanten Quatsch interessieren - sondern ganz stur nur für "harte"
       Nachrichten: Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerungen, Gesundheitswesen,
       solche Sachen. Klar, dass dagegen etwas getan werden muss.
       
       Damit Baumgartner sein ehrgeiziges Ziel erreicht, müssen alle mit anpacken:
       Filmteams werden seinen fünfstündigen Aufstieg in die Stratos-, Tropo- oder
       Sonstwasspähre minutiös dokumentieren, Onlinemedien werden den Egotrip per
       Liveticker begleiten und bunte Magazine im Vorfeld seitenweise den
       geltungssüchtigen Vollpfosten porträtieren, während edlere Federn in den
       Feuilletons über "letzte Grenzen" räsonieren und sich an älteren Zitaten
       unseres Helden abarbeiten: "Ich meine, es lohnt sich nie, bei einem Sprung
       zu sterben. Aber wenn du beim Sprung von der Jesusstatue in Rio abfuckst,
       hat das wenigstens eine gewisse Glorie."
       
       Mehr jedenfalls als das glorienfreie Abfucken, das bei einem nächtlichen
       Sprung von einer Autobahnbrücke oder einem anonymen Abnippeln im
       Krankenhausbett zu erwarten ist.
       
       Noch ist nicht raus, wann genau der Quatsch über die Bühne gehen wird. Aber
       wenn es geschieht, werden wir ihn bestimmt mitbekommen - den tiefsten Fall,
       den je ein Mensch vollzogen hat.
       
       24 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA