# taz.de -- Taiwan hat die niedrigste Geburtenrate der Welt: Tigerfrauen wollen frei sein
       
       > Weil immer mehr Taiwanerinnen spät oder gar nicht heiraten, kriegt jede
       > Frau im Durchschnitt nur 1,1 Kinder. Gleichzeitig altert die Gesellschaft
       > in Taiwan rapide.
       
 (IMG) Bild: Taiwanerinnen bekommen erklärt, wie glücksbringend ein Kind im Jahr des Drachen ist (Taipeh, Januar 2012).
       
       Wenn Hsiang-fen Chen lacht, strahlt sie über das ganze Gesicht. Die
       Enddreißigerin mit Bubikopf lacht viel. Sie ist eine, die es geschafft hat.
       Sie arbeitet in der Planungsabteilung des taiwanischen Arbeitsministeriums
       – ein Job, von dem junge Frauen in Taiwan träumen. Wie viele berufstätige
       Frauen lebt Hsiang-fen Chen allein – und ist nicht traurig darüber. "Ich
       lebe mit einer Katze zusammen, das ist sehr angenehm", witzelt sie.
       
       "Vor einigen Jahren habe ich die Beziehung zu meinem Freund beendet. Das
       Leben als Single passt gut zu mir", sagt die Regierungsangestellte. Fast
       alle ihre Freundinnen sind ebenfalls nicht verheiratet. "Wir treffen uns
       zum Essen, schauen Filme an, manchmal gehen wir wandern oder machen eine
       Radtour." Am Wochenende besucht sie ihre Mutter und die Familie ihres
       Bruders. Und sie malt: gerne Katzen oder Selbstporträts mit Katze.
       
       Weil immer mehr Taiwanerinnen spät oder gar nicht heiraten, hat das Land
       inzwischen mit 1,1 Kindern pro Frau – gemeinsam mit dem Stadtstaat Singapur
       – die niedrigste Geburtenrate der Welt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt
       die Rate bei 1,4. Gleichzeitig altert die Gesellschaft in Taiwan rapide.
       Bereits heute ist ein Zehntel der Bevölkerung des 23-Millionen-Staats älter
       als 65. Die Regierung ist alarmiert, denn der Wirtschaft werden bald
       Fachkräfte fehlen – und Pflegekräfte, die sich um die vielen Alten kümmern.
       
       ## brisante Situation in den "Tigerstaaten"
       
       Mit diesen Problemen kämpfen die meisten hoch entwickelten Länder von
       Deutschland bis Japan. Doch in den sogenannten Tigerstaaten Taiwan,
       Südkorea und Singapur ist die Situation wegen der rasanten wirtschaftlichen
       Entwicklung in den vergangenen fünfzehn Jahren besonders brisant. Die
       Geburtenrate ist nicht langsam zurückgegangen, sondern steil abgestürzt.
       Noch Mitte der 80er Jahre hatten die meisten Familien in Taiwan drei oder
       vier Kinder. Die Gesellschaft war sehr traditionell geprägt, viele Frauen
       wollten vor allem gute Hausfrauen und Mütter sein.
       
       Heute möchten die jungen, gut ausgebildeten Taiwanerinnen Karriere machen
       und ihr eigenes Geld verdienen. Doch Beruf und Familie sind noch schwerer
       zu vereinbaren als in Europa. Ein Grund sind die langen Arbeitszeiten: Wer
       erfolgreich sein will, muss oft bis spätabends schuften. Zweiter Grund:
       Männer, die sich an der Arbeit im Haushalt und an der Kindererziehung
       beteiligen, sind rar.
       
       Professor Ching-lung Tsay, Professor für Demografie in Taipeh, erläutert:
       "Die jungen Frauen suchen eine gleichberechtigte Partnerschaft. Notfalls
       bleiben sie lieber allein." Da es für Frauen einfacher geworden sei,
       eigenes Geld zu verdienen, gebe es auch keine ökonomischen Gründe mehr für
       eine Heirat. Der Professor versucht seinen männlichen Studenten
       klarzumachen: "Ihr müsst eure Einstellung ändern, sonst findet ihr nie eine
       Frau. Und ihr solltet bereit sein, die Hälfte der Hausarbeit zu
       übernehmen."
       
       ## "Schwach und unselbstständig"
       
       Seine Kollegin Jau-hwa Chen, eine Philosophie-Dozentin, ergänzt: "Viele
       junge Männer sind schwach und unselbstständig. Sie sind sehr von ihren
       traditionellen Müttern beeinflusst." Selbst wenn der Mann versuche, eine
       gleichberechtigte Partnerschaft zu leben, dränge seine Mutter die
       Schwiegertochter in ein traditionelles Rollenverhalten. "Viele
       Wissenschaftlerinnen und andere gut ausgebildete Frauen leben deshalb
       lieber alleine."
       
       So wie die Regierungsangestellte Hsiang-fen Chen. Neben der fordernden
       Arbeit und den vielen Hobbys ist in ihrem Leben kein Platz für einen
       Ehemann. Sie organisiert im Ministerium Schulungen für Gewerkschaften und
       Arbeitgeberverbände. "Ich bin nicht arbeitssüchtig", sagt sie, "aber ab und
       zu muss ich schon Überstunden machen." Wenn sie abends nach Hause kommt,
       macht sie es sich mit ihrer Katze gemütlich oder trifft sich mit
       Freundinnen. Einige von ihnen haben die Suche nach einem Ehemann noch nicht
       aufgegeben. "Sie erwarten von ihrem 'Mr. Right', dass er sie respektiert
       und sich an der Hausarbeit beteiligt", sagt Hsiang-fen Chen. Aber nicht
       jede, die einen Mann sucht, will auch Kinder bekommen: "Einige meiner
       Freundinnen denken, unsere Gesellschaft bietet kein gutes Umfeld für
       Kinder", sagt die Taiwanerin. "Gute Kindergärten, Schulen, Nachhilfekurse
       und Universitäten kosten viel Geld."
       
       ## Gesetzgebung recht fortschrittlich
       
       Während viele Männer und die ältere Frauengeneration in Taiwan noch an der
       traditionellen Rollenverteilung festhalten, ist die taiwanische
       Gesetzgebung in punkto Gleichberechtigung recht fortschrittlich. Mindestens
       30 Prozent eines jeden Geschlechts müssen in allen staatlichen Gremien
       vertreten sein. In der Privatwirtschaft gibt es keine Quoten, aber
       erfolgreiche Unternehmerinnen und Managerinnen prägen das Geschäftsleben.
       Allerdings: In den Führungspositionen der großen Konzerne und Behörden
       sitzen – wie überall auf der Welt – fast nur Männer. Erfolgreiche Frauen
       haben oft keine Kinder und keinen Mann, der ihnen den Rücken freihält. Je
       mehr sie arbeiten, umso schwieriger ist es, Karriere und Familie unter
       einen Hut zu bekommen.
       
       Der Staat versucht die Rahmenbedingungen zu verbessern: Nach der Geburt
       eines Kindes bekommen Väter und Mütter jeweils sechs Monate lang 60 Prozent
       ihres Gehalts, wenn sie zu Hause bleiben. Doch nur wenige Frauen und Männer
       nehmen die Erziehungszeit in Anspruch. Sogar mit einer Gebärprämie will der
       Staat den Geburtenrückgang stoppen. Familien erhalten für jedes Neugeborene
       umgerechnet mindestens 500 Euro – Gutverdiener sogar noch mehr. Doch auch
       das hat nicht viel am Trend geändert.
       
       Der Staat müsse das Kinderbetreuungssystem verbessern und
       familienfreundliche Arbeitsbedingungen schaffen, verlangt Ling-hsiang
       Huang, Vizedirektor des Taiwanese Womens Center. Als ihre Söhne klein
       waren, kümmerte sich die Großmutter um sie. Mit drei kamen sie in einen
       Kindergarten. "Das war sehr teuer, weil sie täglich neun Stunden dort
       waren", berichtet Huang.
       
       "So ein Leben kommt für mich nicht infrage", entgegnet ihr Chris Wen, die
       bei einer Hilfsorganisation für Gewaltopfer arbeitet. Wen lebt allein, mit
       drei Katzen und einem Hund. "Meine Arbeit ist so anstrengend, dass ich
       keine Energie für eine Familie habe", sagt die Mittdreißigerin, die ihre
       Tiere manchmal einfach ins Büro mitnimmt. Nicht selten sitze sie bis
       Mitternacht am Schreibtisch. Zwei Wochen Urlaub stehen ihr im Jahr zu, die
       lässt sie verfallen. "Es ist niemand da, der mich vertreten könnte", sagt
       sie. In ihrer raren Freizeit trifft sie sich mit ihrem Freund, liest oder
       hilft einer Freundin beim Gemüseanbau auf dem Land. Der Traum von einem
       eigenen Haus mit Garten werde wohl nicht in Erfüllung gehen, seufzt sie.
       "Meine Eltern sind alt, und ich muss mich um sie kümmern."
       
       ## Der Trend zur Ausländerin
       
       Von Chris Wens ehemaligen Klassenkameradinnen ist etwa die Hälfte ledig.
       Die Jungs hätten geheiratet – überwiegend jüngere oder ausländische Frauen.
       Das ist der Trend: Wer keine taiwanische Frau findet, der sucht sich eine
       Chinesin aus der Volksrepublik oder eine junge Frau aus Südostasien. Jeder
       zehnte Taiwaner ist inzwischen mit einer Ausländerin verheiratet. Li-chung
       Chuang, der eine Hilfsorganisation für ausländische Ehefrauen leitet,
       berichtet: "Viele Männer suchen eine traditionelle Frau, nett und sanft.
       Die Taiwanerinnen sind ihnen zu emanzipiert." Vor allem Farmer heirateten
       oft ausländische Frauen. Doch auch die lassen sich auf Dauer nicht alles
       gefallen. Nicht selten reichen sie die Scheidung ein und kehren in ihre
       Heimat zurück.
       
       Einen Lichtblick gibt es für die besorgte Regierung: 2012 ist das Jahr des
       Drachen. Die Geburtenrate steigt in solchen Jahren deutlich an. Der Drache
       gilt als Glückbringer.
       
       Hsiang-fen Chen und Chris Wen werden sich davon nicht umstimmen lassen.
       
       26 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tina Stadlmayer
       
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