# taz.de -- Ausstellung mit DDR-Bildern: Aus dem schönen Traum gerissen
       
       > Eine Fotoschau zeigt den Alltag in der DDR: Statt um Stasi und MfS geht
       > es um Momentaufnahmen vom Glück - und um die Differenzen zwischen Sein
       > und Schein.
       
 (IMG) Bild: (K)ein Badevergnügen: Foto aus der Ausstellung (Ausschnitt)
       
       Eine junge Frau sitzt nackt in einer Wanne im Garten und genießt die
       Abkühlung mit geschlossenen Augen. Eine Braut mit Schleier und einem Strauß
       Rosen in der Hand lächelt den Mann an, dem sie soeben das Jawort gegeben
       hat. Eine Frau sitzt im Sessel und bügelt, während sie fernsieht. Auf den
       ersten Blick wirken die Schwarz-Weiß-Fotos wie normale Alltagsaufnahmen,
       auf den zweiten wird klar: Es sind Momentaufnahmen aus einem Alltag, der
       von Mangel und Repression gekennzeichnet ist. Die Wanne, in der die Frau
       sitzt, ist viel zu klein, neben dem Hochzeitspaar blickt das Konterfei des
       Staatsratsvorsitzenden von der Wand. Die bügelnde Frau hat eine Decke über
       den Wohnzimmertisch gelegt, weil sie kein Bügelbrett hat.
       
       „Grüße aus der DDR“ heißt die Ausstellung mit 200 Schwarz-Weiß-Aufnahmen,
       die derzeit im Bildungszentrum des Bundesbeauftragten für die
       Stasi-Unterlagen in der Zimmerstraße zu sehen ist. Gemacht hat die Bilder
       Siegfried Wittenburg, geboren 1952 in Warnemünde, Funkmechaniker und
       späterer Foto-Grafiker, der mit Mitte 20 als Autodidakt anfing, das Leben
       in seiner Heimat zu fotografieren. In der Ausstellung geht er einem Thema
       nach, das nach jahrelanger Beschäftigung mit der Funktionsweise der Stasi
       und des Ministeriums für Staatssicherheit nun verstärkt wahrgenommen,
       untersucht und gezeigt wird: „Wie erlebten die Menschen den Alltag in der
       SED-Diktatur?“ Dazu hat er Fotos vorwiegend aus den 80ern ausgewählt, die
       Titel tragen wie „Sozialistisch arbeiten“, „Scheinwelt und Realität“,
       „Tägliche Beschaffungen“, „Gastlichkeit klein geschrieben“ oder „Wohnlich
       eingerichtet“.
       
       Hört Wittenburg den Satz „Es war ja nicht alles schlecht in der DDR“,
       platzt ihm die Hutschnur. „Es gab Menschen“, sagt er, „die haben gemerkt,
       wie es um ihren Staat bestellt ist, und Veränderungen eingeleitet. Und es
       gab andere, die habe ich mit meinen Darstellungen aus einem schönen Traum
       gerissen.“ Seine Bilder zeigen einen Alltag voller Durchhalteparolen und
       bröckelnder Fassaden, der trotzdem Platz lässt für Zufriedenheit,
       Ausgelassenheit, Freude. Zu sehen sind selbstbewusste Jugendliche am
       Ausbildungsplatz, glückliche Mütter kurz nach der Geburt mit ihren
       Neugeborenen auf dem Bauch, ausgelassen tanzende Rentner, ein Mann vor
       einem Kiosk, an dem es Bockwurst für 85 Pfennig gibt und es aussieht, als
       stünden die Mülltonnen hinter dem Kunden ebenfalls Schlange.
       
       Wittenburg will etwas zeigen, was sich nicht jeder im wiedervereinigten
       Deutschland vorstellen kann oder will: „Wir haben in der DDR auch gelacht,
       geliebt, gefeiert und Kinder gezeugt.“ Es fehlen aber auch nicht die
       Aufnahmen, auf denen es heißt „Bitte warten. Sie werden platziert!“ oder
       „Wegen Warenannahme geschlossen“. Immer wieder fotografiert Wittenburg auch
       die Ostsee. Geht der Blick der Menschen hinaus aufs Meer, sind ihre
       Gesichter zwar nicht zu sehen, die Sehnsucht nach der weiten Welt ist
       trotzdem zu spüren.
       
       Als Siegfried Wittenburg mit dem Fotografieren anfing, erklärte ihm ein
       Kollege die größte Herausforderung: Das Schwierigste sei, den Alltag gut
       dazustellen. Später stellte sich heraus: Dieser Kollege arbeitete für die
       Stasi. Wittenburgs Sichtweise auf seine Heimat blieb den Organen der
       Staatssicherheit nicht verborgen. Was unter dem Namen „Linse“ über ihn
       zusammengetragen wurde, ist in Ausrissen in der Ausstellung zu lesen. „Der
       AIM (Archivierter Inoffizieller Mitarbeiter, Anm. d. Red.) machte auf die
       Notwendigkeit aufmerksam, den W. (Wittenburg, Anm. d. Red.) die Ausreise
       nach der VR Polen nicht zu gestatten, da keine Gewähr dafür vorliegt, dass
       W. die DDR im Ausland würdig vertritt“, heißt es da etwa. „Oftmals ist er
       regelrecht bemüht gewesen, die letzten ’Dreckecken‘ darzustellen“, hält ein
       anderer Bericht fest.
       
       Kurz nach Ausstellungseröffnung hat Wittenburg einen prominenten
       Fürsprecher für sein Thema bekommen: den designierten Bundespräsidenten
       Joachim Gauck. Der hält die fehlende Beschäftigung mit dem DDR-Alltag für
       „ausgesprochen überfällig“. In der Ausstellung sieht man ihn unter dem
       Titel „Aufrechtes Gehen“, wie er in einer Rostocker Kirche 1989 zu den
       Menschen spricht.
       
       Die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderte
       Ausstellung richtet sich besonders an Jugendliche, deren einziges Wissen
       oft auf Filmen wie „Good bye Lenin“ beruht. Wittenburg hält diese Filme für
       „nachgestellten Alltag“. Der Fotograf wünscht sich auch im Westen mehr
       Interesse. „Viele im Westen haben keine Ahnung“, sagt er. Von älteren
       Menschen aus dem Osten hört er dagegen oft, seine Bilder hätten ihnen ihre
       Würde zurückgegeben.
       
       28 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Bollwahn
       
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