# taz.de -- Nach der Rücktrittsankündigung: Der rätselhafte Herr Piening
       
       > Es blieb merkwürdig still, als der Integrationsbeauftragte Günter Piening
       > überraschend zurücktrat. Das lag auch daran, dass er öffentlich so wenig
       > präsent war.
       
 (IMG) Bild: Verlieh dem Thema Migration wenig Glamour: Günter Piening.
       
       Allein der iranische Flüchtlingsverein reagierte sofort: Er bedaure die
       Entscheidung, erklärte der Verein noch am selben Tag, an dem der
       Senatsbeauftragte für Integration, Günter Piening, seinen Rücktritt
       ankündigte. Piening sei es zu verdanken, so der Vorsitzende Hamid Nowzar,
       dass auch Flüchtlinge in die Berliner Integrations- und
       Partizipationspolitik einbezogen werden.
       
       Er sei „kein Typ für Rot-Schwarz“, hatte Piening am 24. Februar kurzerhand
       erklärt. Er sehe keine Möglichkeit, mit der CDU als neuem Koalitionspartner
       der SPD seine Sichtweise von Integration als „selbstbestimmte Mitgestaltung
       der Politik durch Migranten“ weiterzuführen. Der Rücktritt, wirksam zum 30.
       Juni, kam überraschend. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, dass
       Reaktionen von Migranten- und anderen integrationspolitisch aktiven
       Organisationen nur zögerlich kamen.
       
       ## Immer auch Zweifel
       
       Fünf Tage dauerte es etwa, bis der Türkische Bund (TBB), eine der größten
       migrantischen Dachorganisationen Berlins, Pienings „verantwortungsvolle“
       Arbeit würdigte. Sechs Tage waren es, bis auch der Polnische Sozialrat „die
       von ihm eingebrachten guten Ansätze“ lobte. Und immer klang in dem Lob auch
       der Zweifel an: Piening sei „bemüht gewesen“, MigrantInnen zu mehr
       Mitwirkungsrechten zu verhelfen, heißt es etwa in der Erklärung des TBB.
       Der Polnische Sozialrat stellt gleich direkt fest, die „guten Ansätze“ des
       Senatsbeauftragten „wurden leider nicht in die Praxis umgesetzt“.
       
       Was macht es so schwer, die Arbeit des seit 2003 amtierenden „Beauftragten
       des Berliner Senats für Integration und Migration“ zu würdigen? Immerhin
       gab sich Berlin unter seiner Ägide 2010 als erstes deutsches Bundesland ein
       „Gesetz zur Regelung von Partizipation und Integration“ –
       Nordrhein-Westfalen mit einem Migrantenanteil von 25 Prozent (Berlin: 25,7
       Prozent) zog gerade nach. Piening rief den Landesintegrationsbeirat ins
       Leben, dessen teils von Migranten- und Flüchtlingsorganisationen selbst
       gewählte Mitglieder Senatspolitik in allen Bereichen beratend mitgestalten.
       Und er installierte mit dem Berliner Islamforum ein Gremium, das zwar
       europaweit als Vorbild Beachtung findet, jedoch kaum in der Berliner
       Öffentlichkeit.
       
       Das mag daran liegen, dass der Senatsintegrationsbeauftragte sich nicht
       publicitywirksam beim Gebet in der Moschee oder mit einer Blumenkette um
       den Hals bei Frühlingsfesten von Einwanderervereinen ablichten ließ – die
       er durchaus besuchte. Piening habe verstanden, dass es bei der Arbeit des
       Integrationsbeauftragten „nicht um Zielgruppen, sondern ums Zusammenleben
       geht“, sagt Anetta Kahane, Vorsitzende der gegen Rassismus tätigen
       Amadeu-Antonio-Stiftung. „Es geht nicht um gute Taten für die armen
       Ausländer.“ Kahane war nach der Wende bis 1991 selbst
       „Ausländerbeauftragte“, wie das Amt damals hieß, des Ostberliner
       Magistrats.
       
       Piening, sagt sie, habe mit seinem Ansatz einer Integrationspolitik, die
       deutlich mache, dass Berlin eine multiethnische und multireligiöse Stadt
       sei, „unglaubliche Veränderungen in die Senatspolitik gebracht“. Denn noch
       lange nach „der Ära von CDU-Herrschaft und Kaltem Krieg“ sei Berlins
       Verwaltung „in einem konservierten Zustand erstarrt“ gewesen: „Die
       Vorstellung einer multiethnischen Gesellschaft passte da nicht rein.“
       
       ## Harte Bretter gebohrt
       
       Der Integrationsbeauftragte habe „im Max Weber’schen Verständnis der
       Politik als langsames Bohren harter Bretter“ kontinuierlich dagegen
       angearbeitet: „Da findet der eigentliche Kulturkampf statt und ist
       unglaublich mühsam“, so Kahane. So konnte etwa das Integrationsgesetz nur
       unter der Bedingung der „Kostenneutralität“ eingeführt werden.
       Interkulturelle Kompetenzerweiterung der Verwaltung ist jetzt zwar
       vorgeschrieben, finanzielle Mittel dafür gibt der Senat jedoch nicht.
       Symbolpolitik also?
       
       Auch die bewegt: Piening habe mit seinen Ansätzen klargemacht, dass
       „Integration nicht die Bringschuld von Leuten ist, deren Eltern mal zum
       Arbeiten hierher gekommen sind“, sagt Philippa Ebéné, die Leiterin der
       Werkstatt der Kulturen. Und: „Er hat verstanden, dass man in Deutschland
       nicht über Integration sprechen kann, ohne auch über Rassismus zu
       sprechen.“ Denn Deutsche würde ihre Identität zwar gerne zwischen Antike
       und Aufklärung verorten, so Ebéné. „Aber was in den letzten 150 Jahren
       passiert ist, vergisst man dabei oft.“ Piening dagegen habe „über
       Kolonialrassismus, über Antisemitismus und Antiziganismus“ gesprochen. Vor
       allem aber auch darüber, „dass Rechtsextremismus immer mit Rassismus,
       Rassismus aber nicht immer nur mit Rechtsextremismus zu tun hat“. Piening
       habe erkannt, „dass das unaufbereitete Themen sind, die Partizipation
       verhindern“, so Ebéné. „Und dass Partizipation ein wechselseitiger Prozess
       ist.“
       
       In den hat Piening auch Berlins Muslime einbezogen: Im Islamforum treffen
       diese sich seit 2005 viermal jährlich mit VertreterInnen der
       Senatsverwaltungen und der Bezirke, anderer Religionsgemeinschaften sowie
       zivilgesellschaftlicher Organisationen. Dabei sollen „konkrete
       Angelegenheiten und Probleme“ besprochen werden: „In großer Offenheit“, wie
       Abdul Hadi Christian Hoffmann betont. Der stellvertretende Vorsitzende der
       Muslimischen Akademie leitet das Forum gemeinsam mit dem
       Integrationsbeauftragten.
       
       Wichtig für die Entwicklung der vertrauensvollen Zusammenarbeit sei
       gewesen, dass es Piening gelungen sei, „die Vertreter der Verwaltung
       verpflichtend an diesen Tisch zu bringen und dafür zu sensibilisieren, dass
       es beim Dialog mit Muslimen nicht nur um sicherheitspolitische Fragen
       geht“. In einem Bericht der EU-Kommission werde das Forum „als einziges
       gutes Beispiel in Deutschland für solche Zusammenarbeit beschrieben“, so
       Hoffmann.
       
       Dass Pienings Image in der Hauptstadt trotz solcher Erfolge blass blieb,
       hat auch Hoffmann festgestellt. Doch eigentlich habe der gerade mit seiner
       wenig auf große Auftritte bedachten Art, mit der er „nach außen hin nicht
       den Eindruck eines großen Dynamikers macht“, so Hoffmann, „Großes
       geleistet“: Denn Piening habe die Debatten um Integration und Islam
       „entemotionalisiert“: „Das kann nicht jeder.“
       
       ## Jede Menge Forderungen
       
       Wer soll nun Pienings Arbeit fortsetzen? Jemand, der die Zuwanderung aus
       den neuen EU-Ländern stärker beachtet, fordert der Polnische Sozialrat. Der
       Paritätische Wohlfahrtsverband erhofft sich weiteren Austausch mit
       Wohlfahrtsverbänden und Trägern von Migrationssozialarbeit. Der TBB wünscht
       sich eine Person, die sich – wie Piening – „vom alltäglichen Populismus
       nicht beirren lasse“ und zudem die Position des Integrationsbeauftragten
       stärkt. Genau das dürfte die tatsächliche Herausforderung für Pienings
       NachfolgerIn sein.
       
       Denn nicht nur die CDU wird sich mit Verve in eine rückwärtsgewandte
       Leitkulturdebatte stürzen wollen, wie ihr integrationspolitischer Sprecher
       Burkard Dregger im taz-Interview bereits ankündigte. Nach Dreggers
       Auffassung mache Pienings Sicht von Integration „den Menschen“ Angst. Auch
       die neue Integrationssenatorin, Dilek Kolat (SPD), scheint die Position
       nicht gerade stärken zu wollen: Als eine ihrer ersten Amtshandlungen hat
       sie den ihrem Haus zugeordneten Posten des Integrationsbeauftragten
       organisatorisch herabgestuft.
       
       6 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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