# taz.de -- Debatte Italien: Alter, go home!
       
       > Die Berlusconi-Generation 50+ hat das Land zum Absturz gebracht. Wer eine
       > neue Arbeits- und Lebenswelt will, muss sie zum Teufel jagen.
       
 (IMG) Bild: Das Land mit alten Männern vollgepflastert: Silvio Berlusconi.
       
       Die aktuelle italienische Debatte um die Deregulierung der Arbeitswelt, die
       auch von Deutschland und der EU gefordert wird, dreht sich wesentlich um
       den Paragrafen 18 des Strafgesetzbuches. Die Regierung Monti will den
       Kündigungsschutz für Betriebe ab 15 Angestellten aufweichen.
       
       Was sich als Konflikt zwischen den Rechten abhängig Beschäftigter und
       Forderungen von Politik und Unternehmern präsentiert, ist in Wirklichkeit
       komplexer: Es geht nicht so sehr um „Klasse“, sondern vor allem ums
       „Alter“.
       
       Der Paragraf 18 hat nämlich Bedeutung im Wesentlichen nur für die Gruppe
       der 50-, 60-Jährigen – für die sich auch schon ein eigenes Kürzel in der
       Diskussion etabliert hat: „C/S“ (Cinquanta/Sessantenni).
       
       Wer zu dieser Generation zählt, verfügt zumeist über einen zeitlich
       unbegrenzten Arbeitsvertrag mit der Perspektive auf eine Rente, auf die man
       zwar lange warten muss, die aber sicher ist. Für die 30-, 40-Jährigen
       hingegen existieren mehr als 40 verschiedene Vertragsformen – und auch für
       sie gibt es schon ein Label: T/Q (Trenta/Quarantenni).
       
       ## Degeneriert und ungebildet
       
       Der Exzess von zeitlich befristeten Arbeitsverträgen hemmt das
       Entwicklungspotenzial der italienischen Gesellschaft: Die Generation der
       50-,60-Jährigen hält ein Übermaß an Macht in den Händen, ohne dabei über
       die nötigen Kompetenzen zu verfügen, das Land aus der Krise zu führen.
       
       Als sie ihr Arbeitsleben begannen, boomte Italien wie noch nie zuvor. Die
       C/S bekamen ihre Jobs in Schule und Universität, in Verwaltung und
       Privatwirtschaft oft ohne Hochschulstudium, ohne Ausschreibung, ohne
       Eignungstests. Die Vorgesetzten, die sie einstellten, waren vor allem daran
       interessiert, sich eine treue Klientel zu verschaffen.
       
       Gleichzeitig sind die die C/S Protagonisten der Revolten von 1968 und 1977.
       Aus der Liberalisierung der Gesellschaft wurde schnell die Liberalisierung
       des Konsumverhaltens, aus der befreiten Sexualität der Sex als Tauschware,
       mit der sich Einfluss und Aufstieg kaufen ließen. Als weiteres typisches
       Merkmal der modernen italienischen Gesellschaft etablierten die C/S das
       System der „tangenti“, also der planmäßigen Bestechung, um sich öffentliche
       Aufträge zu sichern. Die C/S waren die Protagonisten des
       Berlusconi-Regimes, haben die Parteien entwertet, den Rechtsstaat
       ausgehöhlt und ein korruptes, informelles Mafiasystem etabliert.
       
       Sie haben das große Potenzial Italiens, die Schönheit seiner Städte und
       Landschaften, durch Betonwüsten ersetzt, sie haben alle Bereiche der Kultur
       und Unterhaltung – angefangen beim Fernsehen bis zum Kino, der Literatur,
       den bildenden Künsten und sogar den Sport – zu Branchen der reinen
       Prostitution erniedrigt.
       
       Neben Prominenten wie Fiat-Boss Marchionne stehen für die Degeneration
       dieser Altersklasse die Chefs der politischen Parteien in Italien und die
       Spitzenmanager der Konzerne und großen Banken. Kurz gesagt: Die größte und
       dank des historischen Moments einfach zu erlangende Machtkonzentrierung
       überhaupt liegt in den Händen einer faulen und inkompetenten Generation.
       
       ## Die neue Moral der Jungen
       
       Im Gegensatz dazu stellen die unter 40-Jährigen (T/Q) die letzte
       Generation, die an Universitäten ausgebildet wurde, die noch nicht durch
       sogenannte Bildungsreformen geschwächt waren. Im Arbeitsleben besetzen die
       T/Q meist untergeordnete Positionen, auf denen sie inhaltlich wesentlich
       zur Innovation beitragen. Es sind diese prekär beschäftigten Spezialisten,
       die Italien am Laufen halten.
       
       Sie bekommen keine Kredite, um sich selbstständig machen zu können, sie
       können sich weder Haus noch Wohnung kaufen, für sie scheint es in den
       urbanen Zentren überhaupt keinen Platz zu geben. Das Einzige, was sie
       haben, ist das Erbe der C/S: ein kaputtes Land und die Aufgabe, es wieder
       aufzubauen. Aber wie?
       
       Die Psychologie der Altersklasse T/Q ist komplex. Sie würden gern Familien
       gründen, können es aber nicht. Sie haben nichts außer ihren Ideen. Doch in
       Italien ist der Markt der Ideen seit Langem einer kulturfeindlichen
       Hegemonie unterworfen, es bleibt nur entweder der „brain drain“ oder die
       erbitterte Opposition gegen die C/S.
       
       Während diese immer noch den (weiblichen) Körper ausschlachten, versuchen
       die T/Q eine andere Moral zu etablieren. Die C/S sind die eifrigsten
       Konsumenten der Prostitution in Italien, die T/Q sind auf der Suche nach
       Liebe. Die C/S demonstrieren nicht mehr – warum auch: Sie sitzen sicher und
       gut in ihren Konsumentensesseln; die T/Q werden von Polizisten
       zusammengeschlagen, weil sie öffentlich Würde und Respekt einfordern.
       
       ## Selbst die Mafia ist dabei
       
       Der eigentliche Konflikt aber zwischen den Generationen dreht sich um die
       Demokratie. Das Erbe des Antifaschismus und der „Resistenza“ haben die C/S
       ausgeschlagen zugunsten einer gelenkten TV-Demokratie auf Quizniveau.
       
       Vom Widerstand gegen den G-8-Gipfel in Genua bis zu den aktuellen Kämpfen
       gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke im Piemont („No-Tav“) – die Antwort
       der C/S ist immer der Polizeiknüppel. Die C/S sind ein gewalttätiges
       Kartell, das in der neuen Ära der globalisierten Demokratie anachronistisch
       wirkt. Und es ist kein Zufall, dass mit dem Sturz Berlusconis die Schwäche
       dieser Alten offenbar geworden ist.
       
       Die italienischen Universitäten sind geistig verwaist, die Massenmedien
       haben das Thema für sich entdeckt, die jungen Arbeiter in den Fabriken
       streiken, die Parteien vergreisen vollends. Sogar die Camorra lebt in
       blutigen Mafiakriegen diesen Kampf zwischen Jung und Alt aus – wie auch die
       klassische italienische Familie: Der Konflikt zwischen Vater und Sohn ist
       nicht mehr abstrakt. Es geht ums Materielle, ums Geld.
       
       Wenn die C/S ihren ruhigen Lebensabend retten wollen, dann müssen sie sich
       jetzt aus dem Arbeitsleben zurückziehen. Sonst wird, was man früher einen
       Klassenkonflikt nannte, in voller Härte als Generationenkonflikt
       aufbrechen; wird das T/Q-Proletariat die Reihen schließen, um gleiche
       Rechte auf dem Arbeitsmarkt einzufordern und die unfähige und ungebildete
       C/S-Aristokratie zum Teufel jagen.
       
       19 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leonardo Palmisano
       
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