# taz.de -- Piraten zu Integration: "Im Netz ist schwarz oder weiß egal"
       
       > Integrations- und Netzpolitik haben vieles gemeinsam, findet Fabio
       > Reinhardt von der Berliner Piraten-Fraktion. Die will nun Integration neu
       > definieren
       
 (IMG) Bild: Das Netz macht "blinder" für Herkunft oder Religionszugehörigkeit - Piraten wollen Netz- und Integrationspolitik zusammenbringen.
       
       Taz: Herr Reinhardt, die Piraten wollen am heuteigen Donnerstag im
       Abgeordnetenhaus beantragen, den Integrationsbeauftragten umzubenennen.
       Warum? 
       
       Fabio Reinhardt: Wir wollen ihn in Beauftragten für Migration und
       Partizipation umbenennen, weil der Begriff Integration für uns zu negativ
       behaftet ist. Bei Integration geht es vorrangig um die Frage, wer sich wem
       anpassen soll. Der Beauftragte soll aber Partizipation fördern, damit
       möglichst alle Menschen an der Gesellschaft teilhaben können. Deshalb
       fordern wir auch eine Änderung seiner Aufgabenbeschreibung. Derzeit heißt
       es, er solle Integrationshemmnisse abbauen. Wir meinen, dass er
       Partizipationshemmnisse abbauen soll. Außerdem wollen wir sein Amt stärken.
       
       Wie genau? 
       
       Er soll künftig nicht mehr wie ein Amtsleiter eingestellt und dem
       Staatssekretär der Senatsverwaltung für Integration unterstellt sein,
       sondern vom Abgeordnetenhaus direkt gewählt werden. Daraus folgt auch, dass
       sein Amt künftig als oberste Landesbehörde dem Abgeordnetenhaus untersteht
       und berichtspflichtig ist. Das ist beim Datenschutzbeauftragten jetzt schon
       so.
       
       Was würde das bringen? 
       
       Es garantiert die größtmögliche Unabhängigkeit von einzelnen
       Senatsverwaltungen, auf die er dann besser Einfluss nehmen kann. So würde
       man zum Ausdruck bringen, dass Migrations- und Partizipationspolitik in
       Berlin so elementar wichtig ist, dass man sie auf oberster Stelle
       ansiedelt.
       
       Wäre die oberste Stelle nicht die Ansiedlung in der Staatskanzlei beim
       Regierenden Bürgermeister? 
       
       Theoretisch könnte man auch von dort aus auf alle Ressorts Einfluss nehmen
       – aber das eben unter der Exekutive des Bürgermeisters. Damit wären die
       Möglichkeiten begrenzt, Senatspolitik wirklich kritisch zu hinterfragen.
       Deshalb haben wir uns gegen diese Möglichkeit entschieden.
       
       Es überrascht, dass ein Antrag mit solch grundlegenden Änderungsvorschlägen
       ausgerechnet von den Piraten kommt. Wieso interessiert die Netzpartei das
       Thema Integrationspolitik? 
       
       Integrationspolitik gehört zwar nicht zu unseren Kernthemen, aber die
       Auseinandersetzung damit spiegelt die Grundüberzeugung der Piratenpartei
       wieder. Für uns stehen Partizipation und freie Entfaltung im Mittelpunkt.
       Menschen, die mit Migrationshintergrund in Deutschland leben, sind in der
       Teilhabe an der Gesellschaft und in ihrer Entfaltung oft eingeschränkt. Das
       wollen wir ändern. Natürlich müssen wir uns da reinarbeiten, mit
       verschiedenen Gruppen reden, ein Netzwerk aufbauen. Deshalb haben wir im
       Januar bereits einen Kongress zum Thema Integrationspolitik veranstaltet.
       Es ist aber auch ganz klar, dass wir gerade, weil wir unbefangen und neu an
       das Thema herangehen, eine Riesenchance haben, neue Ansätze mitzubringen.
       Denn die Fronten und Koalitionen sind in dem Themenbereich sehr verhärtet
       und eingefahren. Wir haben die Chance, neue Fragen zu stellen und neue
       Perspektiven reinzubringen.
       
       Woher nehmen Sie diese Ansätze, diese Fragen und Perspektiven? 
       
       Natürlich nicht nur aus unserer Naivität. Unsere Chance liegt auch darin,
       dass wir aus einem ganz anderen Milieu kommen, eben aus dem Internetmilieu,
       wo jeder erst mal hinter einem Bildschirm sitzt und nicht schwarz oder weiß
       und nicht männlich oder weiblich oder jung oder alt ist – sondern sich
       seine Identität frei zusammenklicken kann. Damit aufzuwachsen, ist eine
       unglaublich große Hilfe, wenn man sich mit Integrationspolitik beschäftigt:
       weil man vor diesem Hintergrund andere Fragen stellen und andere Themen
       aufgreifen kann.
       
       Was denn für Fragen? 
       
       Zum Beispiel die Frage, was Integration grundsätzlich sein soll. Wir haben
       uns dafür entschieden, nicht zu fragen, wer sich anpassen soll, sondern wer
       ausgeschlossen wird und warum. Im Netz haben wir gelernt, dass jeder
       mitmachen können muss, damit etwas ein Erfolg wird. Daraus folgt natürlich
       auch die Frage, ob man etwa Menschen überhaupt so stark in Kategorien
       einteilen muss, wie unsere Gesellschaft das derzeit tut.
       
       Das Netz macht blind für Herkunft oder Religionszugehörigkeit? 
       
       Blinder.
       
       Aber es ist auch ein Tummelplatz für Hass und Ressentiments. Manche
       rassistischen Äußerungen im Netz übertreffen alles, was jemand
       auszusprechen wagte. 
       
       Das Netz ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Seine Anonymität ermutigt zu
       solchen Äußerungen. Das ist der Preis für eine Plattform, auf der jeder
       alles maximal frei sagen kann. Es bietet aber gleichzeitig auch die Chance,
       von solchen Vorurteilen und von diesem Hass zu erfahren, dem man in der
       Realität aus dem Weg geht. Der Hass ist jedoch für viele Menschen, die in
       diesem Land und dieser Stadt leben, Teil ihres Alltags. Das Netz macht ihn
       sichtbarer. Und das ist erst mal gut. Nur wenn wir den Hass kennen, können
       wir mit ihm umgehen.
       
       Integrationspolitik kann also vom Internet lernen? 
       
       Ja. Der Kernbegriff dabei ist Partizipation. Er ist das Zentrum der
       Integrationspolitik und gleichzeitig ein Schlüsselbegriff, wenn ich über
       das Internet rede. An der Stelle kann die Integrationspolitik unglaublich
       viel vom Internet lernen. Etwa dabei, Angebote zu schaffen, die jeder
       nutzen kann. Wir sind da noch ganz am Anfang, aber das geht in eine sehr
       spannende Richtung.
       
       Inwiefern? 
       
       Es ist heute für viele Leute ganz selbstverständlich, sich über soziale
       Netzwerke mit Menschen auszutauschen, die aus anderen Ländern kommen. Wir
       haben Aktivisten, die auf diesem Weg von hier aus in den Freiheitskampf der
       syrischen Bevölkerung involviert sind. Das war vor 20 Jahren undenkbar,
       dass man tagsüber arbeiten geht und sich abends mit syrischen
       Widerstandskämpfern vernetzt. Dadurch haben viele Menschen hier jetzt einen
       ganz anderen Hintergrund an Informationen, andere Perspektiven. Die sind
       dann auch weniger empfänglich für Rassismus und Ressentiments.
       
       22 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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