# taz.de -- Die ersten Worte des Bundespräsidenten: Der Schönredner
       
       > Amtseid, erste Rede und die Kanzlerin hört mit Pokerface zu, wenn Joachim
       > Gauck erklärt, was er erreichen will. Er sorgte für eine Überraschung –
       > mit einem Lob der 68er.
       
 (IMG) Bild: Kinn hoch, Arsch raus, Bejubelt-werden-Pose annehmen: Gauck kriegt Applaus von seiner Lebensgefährtin.
       
       BERLIN taz | Vielleicht ist es einfach zu viel: Gerade hat Joachim Gauck
       die Hand gehoben und im Plenarsaal den Amtseid gesprochen. Nach dem „So
       wahr mir Gott helfe“ geht er die Stufen herunter zu seinem Platz, schüttelt
       seinem Vorgänger Christian Wulff die Hand, dann die seiner Frau Bettina.
       Gaucks Lebensgefährtin Daniela Schadt steht lächelnd daneben. Er dreht sich
       zu ihr – und schüttelt auch ihr die Hand. Steif, als sei sie eine Fremde.
       
       Dass Gauck, 72, nervös war, ist ihm kaum zu verdenken. Denn die Erwartungen
       waren groß an diesem Freitagvormittag. Gauck hielt seine erste
       programmatische Rede als gewählter Präsident. Um nicht weniger sollte es
       vor den Parlamentariern und Ministerpräsidenten gehen als um die Frage: Was
       will der Neue? So viel kann man sagen: Gauck hielt ein leidenschaftliches
       Plädoyer für eine aktive Demokratie und gegen Extremismus – und sorgte für
       eine Überraschung.
       
       Er begann historisch. Und erinnerte an das Wirtschaftswunder in der
       Bundesrepublik, was aber nicht das Maßgebliche dieser Jahrzehnte sei.
       Sondern: „Ich empfinde das Land als Demokratiewunder.“ Nazistischer
       Revanchismus sei nicht mehrheitsfähig gewesen.
       
       Dann tut der Präsident, der zu konservativen Positionen neigt, etwas
       Unerwartetes – er lobt die 68er und ihre Bewegung. „Sie haben die
       historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt.“ Die Abgeordneten
       der Grünen fangen an zu klatschen, zögerlich fallen auch CDUler mit ein.
       Findet der etwa langhaarige Spinner gut?
       
       ## Gauck nimmt zu vielem Stellung
       
       Wohl noch nie war so leidenschaftlich über einen kommenden Präsidenten
       gestritten worden wie über Gauck. Denkt er in seinem Freiheitsbegriff
       soziale Gerechtigkeit mit? Wie steht er zu Integration? Was ist mit den
       Finanzmärkten? Gauck geht in seiner Rede nicht auf jede Kritik ein, doch er
       nimmt zu vielem Stellung. Das Land müsse soziale Gerechtigkeit, Teilhabe
       und Aufstiegschancen verbinden, sagt er etwa. Der Weg dazu sei nicht
       „paternalistische Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der vorsorgt
       und ermächtigt“.
       
       Da klingt an, dass Gauck eher in Schulen investieren würde, als die Hartz
       IV-Sätze zu erhöhen – die Debatte führen auch SPD und Grüne. Er versucht,
       seinen Leitbegriff Freiheit mit Gerechtigkeit zu verbinden. So sei Freiheit
       die Bedingung für Gerechtigkeit, sagt Gauck. „Aber Gerechtigkeit ist die
       Bedingung dafür, Freiheit erfahrbar zu machen.“
       
       Dann kommt der Präsident zur Integration. Sein Lob für Thilo Sarrazin hatte
       ihm scharfe Kritik eingebracht. Er schaut vom Blatt auf und schaut zu Wulff
       hinüber: „Ihr Anliegen wird auch mir beständig am Herzen liegen.“ Neben die
       deutschsprachige und christliche Tradition seien Religionen wie der Islam
       getreten, auch andere Sprachen und Kulturen, sagt er. Und fügt eine
       Binsenweisheit hinzu: Dass das Grundgesetz allen diesselbe Würde zuspricht,
       bräuchte er eigentlich nicht zu erwähnen. Da war Amtsvorgänger Wulff mit
       seinem Islam-Satz prägnanter.
       
       ## Gauck trifft den Ton
       
       Dennoch: Gauck trifft den Ton. Auch deshalb, weil sich seine Rhetorik –
       wenn sie nicht ins Selbstverliebte kippt – wohltuend von der vieler
       Politiker abhebt. An die Adresse der Rechtsextremisten sagt der Präsident:
       „Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir
       schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein, und
       unsere Demokratie wird leben.“
       
       Ein interessantes Paar sitzt nur wenige Meter hinter ihm auf der
       Kabinettsbank. Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vizekanzler Philipp Rösler.
       Während er Gauck anschaut und ab und zu lächelt, blickt Merkel mit
       regungsloser Miene die meiste Zeit an dem Präsidenten vorbei. Merkels
       Pokerface. Sie wollte Gauck bis zuletzt verhindern. Auch, weil seine Wahl
       belegt, dass sie mit seinem Vorgänger einen Fehler gemacht hat.
       
       Und noch etwas dürfte die Kanzlerin stören, die in der Koalition,
       vielleicht sogar in ganz Europa unangefochten das Wort führt: Mit Gauck
       erwächst ihr ein Konkurrent, der sich meinungsstark in öffentliche Debatten
       einschalten wird. Während Wulff blass blieb, wird Gauck die Konservativen
       begeistern. Anders als die meist hölzern klingende Merkel spielt er auf der
       Klaviatur des Pathos, liefert in Reden das ganz große Gefühl. Und dieses
       Mal nicht mal zu viel.
       
       23 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bettina Wulff
 (DIR) Besser
       
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