# taz.de -- die Wahrheit: Sprung in den Ruhm
       
       > Kindergebrüll und das trommelfellerschütternde Gezeter einer Frau dringen
       > aus dem geöffneten Tür einer Parterrewohnung ...
       
 (IMG) Bild: Das wird die eine Schlagzeile, das wird das Foto unseres Lebens, das wird der Hauptgewinn!
       
       ... im Hinterhof eines runtergekommenen Wohnhauses in Münster-Coerde. Der
       Hof ist vollgestellt mit Gerümpel und überfüllten Müllcontainern, es riecht
       nach Schimmel und Kohlsuppe. Eine vergammelte Matratze, die jemand aus
       einem Fenster geworfen haben muss, verfehlt uns nur um Haaresbreite.
       
       Nein, es ist keine schöne Umgebung, in der wir uns befinden – und dennoch
       sind wir freudig erregt, denn wir wissen, dass wir kurz davor sind, eine
       gewaltige Entdeckung zu machen …
       
       Daniel Tretow empfängt uns in seinem leicht unaufgeräumten
       Einzimmerapartment im dritten Stock. Er trägt eine schwarze Turnhose, ein
       durchgeschwitztes rotes T-Shirt und weiße Ballettschlappen, Größe 46, an
       den Füßen. Die langen Haare, die am Rande seiner Glatze wachsen, hat er
       sich mit einem Gummi nach hinten gebunden, seine kleinen, geröteten Augen
       glänzen fiebrig und sein Gesicht ist vor Aufregung gerötet. Tretow ist von
       gedrungener Gestalt und etwas untersetzt.
       
       Er ist 53 Jahre alt, was man ihm durchaus ansieht. In der Küchenzelle
       schmurgelt eine Kaffeemaschine munter vor sich hin. Das Bett, ein Tisch und
       ein Stuhl sind an den Rand des Wohnbereichs gerückt und mit allerhand
       schmutzigen Klamotten, Geschirr und anderem Krimskrams vollgepackt, so dass
       die Mitte des Zimmers völlig frei ist. Tretow schüttet sich eine Tasse
       Kaffee auf ex in den Hals und hüpft auf und ab. „Ich bin so froh, dass Sie
       gekommen sind“, ruft er, und seine Stimme überschlägt sich dabei. „Sie
       werden die Ersten sein, denen ich es zeige. Sie werden es vor aller Welt
       bezeugen. Danach werde ich auf Tournee gehen, ich werde berühmter als der
       Papst sein, sogar berühmter als Elton John!“
       
       Wir lassen uns von seiner Begeisterung gerne anstecken. Denn das, was er
       uns auf der mit engen, krakeligen Buchstaben beschriebenen Postkarte, die
       uns vor einer Woche in der Redaktion erreichte, angekündigt hat, war
       atemberaubend genug, um uns mehr als neugierig zu machen.
       
       Jeder Reporter hofft auf die eine Schlagzeile, auf das Foto seines Lebens,
       auf den Hauptgewinn – und wir scheinen das große Los gezogen zu haben.
       Adieu, du armselige Zeit der Ratssitzungsberichterstattung! Willkommen, du
       prachtvolle Zeit des Erfolgs! Daniel Tretow wird berühmter als der Papst
       sein, sogar berühmter als Elton John – und wir werden ihn begleiten auf
       diesem sagenhaften Weg zum Ruhm.
       
       Und nun wollen wir nicht länger warten, wir wollen es sehen, wir wollen es
       endlich erleben, wir wollen es filmen, fotografieren, bannen! Wir bauen
       Scheinwerfer und Kamera auf, Tretow macht sich derweil mit leicht
       unbeholfenen Kniebeugen warm. Eine ungeheure Spannung liegt in der Luft –
       denn wir werden Zeugen sein, wie zum ersten Mal in der gesamten Geschichte
       der Menschheit ein Mann über seinen eigenen Schatten springt.
       
       Nun kehrt Ruhe ein, die Ruhe vor der Sensation. Durch unsere Scheinwerfer
       wirft Tretow einen prachtvollen Schatten. Er duckt sich – sein Schatten
       duckt sich mit. Noch eine Sekunde bis zum Sprung. Er federt sich ab, macht
       einen Hopser nach vorn – und sein Schatten klebt wie Pech an ihm. Noch ehe
       wir einen Laut der Enttäuschung von uns geben können, stammelt er: „Moment,
       Moment, das war nichts, ich mache es nochmal.“ Er wiederholt das traurige
       Schauspiel noch diverse Male, während wir unser Zeug fluchend wieder
       abbauen.
       
       Als wir schon wieder auf dem schmuddeligen Hinterhof sind, ruft Daniel
       Tretow uns noch hinterher: „Das war der Vorzeigeeffekt. Immer wenn man was
       zeigen will, dann klappt es nicht! Aber vorher hat es jedes Mal geklappt!
       Ehrlich! Jedes Mal!“
       
       Doch wir können keine weitere Zeit mehr mit diesem Spinner verschwenden,
       wir haben Wichtigeres zu tun. Denn vorgestern erreichte uns eine Postkarte.
       Beschrieben mit engen, krakeligen Buchstaben. Ein Mann aus Unkel am Rhein
       teilte uns mit, dass es ihm als erstem Menschen der gesamten Geschichte der
       Menschheit gelungen sei, aus der eigenen Haut zu fahren.
       
       Das wird die eine Schlagzeile, das wird das Foto unseres Lebens, das wird
       der Hauptgewinn! Wir werden berühmter sein als der Papst, sogar berühmter
       als Elton John! Auf nach Unkel!
       
       27 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Corinna Stegemann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA