# taz.de -- Späte Väter: Der ist doch noch gut
       
       > Knirschende Knie, kurzer Atem: trotzdem werden viele Männer mit 60 Vater.
       > Was das für Konsequenzen hat – und was es für Kinder heißt, mit Opa-Papas
       > aufzuwachsen.
       
 (IMG) Bild: Opa oder Papa?
       
       Eine Geburtstagsparty in Berlin. Ein älterer Mann tanzt mit einer Horde
       kleiner Kinder auf der Tanzfläche herum. Im Gegensatz zu seinen zwei
       Töchtern und deren Freunden braucht er aber zwischendurch mal eine Pause.
       Immerhin ist Jürgen Lindner gerade 60 geworden und seine jüngste Tochter
       wurde vergangenes Jahr erst eingeschult. Seine Frau Kerstin ist 15 Jahre
       jünger als Jürgen. „Ja, die Zahl 60 ist jetzt schon komisch, aber ansonsten
       denke ich darüber nie nach“, sagt sie.
       
       Der Altersunterschied und die Tatsache, dass die gemeinsamen Kinder einen
       ziemlich alten Vater haben, spielte bei ihrem Wunsch, mit Jürgen Kinder zu
       haben, keine Rolle. Jürgen war eigentlich durch mit dem Thema, beide
       Partner haben schon große Töchter aus ersten Ehen. Aber Kerstin wollte
       unbedingt noch mal Kinder haben. „Da hab ich gesagt, ich kann mit meinem
       Handwerkerlohn keine weitere Familie ernähren – das musst du dann machen.
       Da hat sie gesagt ’Ja‘ – und ich ’Na denn. Bitte‘.“
       
       Reihenweise betagte Herren des öffentlichen Lebens sind für ihre späte
       Vaterschaft bekannt: Anthony Quinn, der mit 81 noch Vater wurde, Rod
       Stewart mit 66, Jean Pütz mit 74, Franz Beckenbauer, Charlie Chaplin, Pablo
       Picasso, Heiner Müller: Was bei Frauen, wie im Einzelfall Gianna Nannini,
       als verantwortungslose Risikoschwangerschaft kritisch beäugt wird, gilt bei
       Männern als Zeichen für Vitalität – oder schlimmstenfalls als skurril.
       
       Doch laut aktueller Studien hat auch das Alter des Erzeugers Einfluss auf
       die Gesundheit des Kindes. So sollen Kinder älterer Väter einen geringeren
       Intelligenzquotienten haben als die jüngerer Männer und psychische
       Krankheiten wie Autismus, Schizophrenie und bipolare Störungen treten
       offenbar vermehrt auf, wenn der Vater die 50 überschritten hat. Laut
       Psychology Today ist das Risiko einer 40-jährigen Frau, ein Kind mit
       Downsyndrom zu bekommen, ebenso hoch wie das eines 40-jährigen Mannes, ein
       Kind mit Schizophrenie zu bekommen. Die biologische Uhr tickt also nicht
       nur für Frauen, sondern auch für Männer.
       
       Dennoch hat laut Bundesamt für Statistik mittlerweile jedes 20. geborene
       Kind einen Vater über 50, jedes vierte einen über 40 und mindestens jedes
       dritte Kind einen Vater über 35 Jahren. Seit den Siebzigern, so benennt es
       auch das Bundesministerium für Familie in einer Studie zu „Facetten der
       Vaterschaft“, gibt es einen Trend zu alten Vätern.
       
       ## Statussymbol spätes Kind
       
       Demnach sei nicht die späte Elternschaft an sich neu, sondern dass es sich
       häufig um das erste Kind einer Beziehung handelt. Was nicht ausschließt,
       dass der Vater schon erwachsene Kinder aus einer früheren Ehe hat. Für
       Berufstätige des gehobenen Mittelstandes sei es „zu einem Statussymbol
       geworden, in einem späten Lebensalter Kinder zu bekommen“.
       
       Anna Schoch beschäftigt sich seit 20 Jahren als Wissenschaftlerin,
       Psychotherapeutin und Mediatorin mit diesem Thema. Sie bezeichnet es als
       „gesellschaftliche Dekadenz“, wenn Männer meinen, mit drei Frauen Kinder
       haben zu müssen – das reduziere letztendlich den Sinn der zweiten
       Lebenshälfte auf Geld und Sex, statt auf eine von Gemeinsamkeit und der
       Weitergabe von Kultur und Erfahrung geprägte Zeit.
       
       Aus Angst vor dem Alter schnell noch ein Kind auf den letzten Drücker,
       damit die junge Frau nicht mehr weglaufen kann und Mann etwas
       Sinnstiftendes hinterlässt? Womöglich wollen die erwachsenen Kinder aus der
       ersten Ehe nichts mehr mit ihrem berufsjugendlichen Vater zu tun haben?
       US-Soziologen haben den Begriff des Start-over-Dads eingeführt, der mit
       einer jüngeren Frau das Thema Familie für sich in Ordnung bringen und alles
       richtig machen will. Was ihm, so die Studie des Ministeriums, meist auch
       gelingt.
       
       Männer wiederholten, so Schoch, immer wieder die erste Lebenshälfte, die
       für die Reproduktion gedacht sei, und würden am liebsten beim Orgasmus
       sterben. „Und die Frauen machen das mit. Sie schmeißen sich den alten
       Männern an den Hals, denn dann sind sie versorgt und erben. Ob dadurch eine
       Familie zerstört wird, ist den jungen Frauen vollkommen egal“, sagt Schoch.
       
       ## Luxusphänomen eitler Männer
       
       Natürlich sei dieser Trend ein Luxusphänomen, geprägt durch die Eitelkeit
       der Männer, die unschuldig mit „Es ist eben passiert“ ihre 30 Jahre jüngere
       Frau und das gemeinsame Kind präsentieren. „Männer mit 70 sollten sich um
       ihre Enkel und Urenkel kümmern. Aber nein: Die Männer haben vergessen, wie
       die Lebenszyklen sind. Mit 70 zu sagen, man sei erst jetzt reif für ein
       Kind – um Gottes willen!“, sagt Anna Schoch.
       
       So will Uly Förster (64), Autor des Buches „Alte Väter“, seine späte
       Vaterschaft auf keinen Fall verstanden wissen. In seiner ersten Ehe habe er
       sich mit seiner gleichaltrigen Frau auf Kinderlosigkeit zugunsten der
       Karriere geeinigt. Mit seiner jüngeren zweiten Frau zunächst auch, dann
       hätten sie aber beide ihre Meinung geändert: „Das Leben ist nicht planbar.
       Ich muss mich nicht rechtfertigen.“
       
       Was Anna Schoch so aufregt, findet er vollkommen normal. Er genieße die
       Zeit mit seinem Kind, konzentriere sich viel stärker darauf: „Von den
       zwanzig Jahren, die ich ungefähr mit meiner Tochter haben werde, sind schon
       vier um – solche Dinge sind einem mit 30 nicht so bewusst.“
       
       ## Unterschiedliche Auffassungen von Erziehung
       
       Bei Elisabeth Faber (Name von der Redaktion geändert) und ihrem 15 Jahre
       älteren Mann gab es keine vorherigen Ehen oder Kinder – und auch keine
       Bedenken des Alters wegen. „Außer, dass es viele Kinder sein sollen. Nicht,
       dass nachher eines mit mir im Alter allein dasitzt“, sagt die 37-jährige
       Psychologin und Mutter von drei Kindern aus Regensburg. Allerdings müsse
       häufiger über unterschiedliche Auffassungen von Erziehung diskutiert werden
       – so habe sie vorher nicht bedacht, dass die Eltern ihres Mannes praktisch
       aus derselben Generation stammen wie ihre Großeltern.
       
       „Einen klassischen Fußball-Papi haben unsere Kinder nicht. Für Kämpfchen
       und Kindergartenfeste bin eher ich zuständig“, sagt Faber. Dafür kümmert
       ihr Mann sich an den Nachmittagen um die Kinder, wenn sie arbeitet. Den
       Kampf darum, wer Karriere machen darf, wie ihn Faber bei vielen
       gleichaltrigen Paaren beobachtet, gibt es bei ihnen nicht, sagt sie.
       
       Auch Jürgen Lindner findet, dass seine Gelassenheit sich positiv auswirkt,
       schließlich habe er bei seiner Großen nichts hingekriegt, sei ein richtig
       schlechter Vater gewesen. Diesmal war er in Elternzeit, mit seinen kleinen
       Mädchen beim Eltern-Baby-Kurs und auf dem Spielplatz. Wenn er dort mal
       „Opa“ genannt wird, kann er darüber lachen. „Das ist eine ganz andere
       Bindung diesmal“, sagt er. Solche Aussagen, sagt Anna Schoch, seien für die
       Kinder aus den früheren Beziehungen immer schmerzhaft. Auch wenn sie das
       meistens nicht zeigen würden.
       
       Für deren jüngere Halbgeschwister überwiegen laut der Studie des
       Familienministeriums die Vorteile der späten Vaterschaft, weil die gesamte
       Lebenssituation stabiler ist – sowohl in Bezug auf die emotionale Reife als
       auch die finanzielle Lage. Schlimmstenfalls würden die Kinder sehr verwöhnt
       und wie kleine Erwachsene behandelt.
       
       Was in der Praxis oft bedeutet: Die mangelnde Vitalität und das
       schmerzverzerrte Gesicht beim Hubschrauberspielen wird mit iPads fürs
       7-jährige Kind wettgemacht und die Malerei auf dem Sofa großzügig belächelt
       – der reife Vater hat seine Prioritäten zugunsten der Familie klar gesetzt.
       
       Doch wer meint, immer noch eine zweite Chance zu haben, nutzt womöglich die
       erste nicht. Das kann man wie Anna Schoch empörend finden – oder wie die
       alten Väter gelassen sehen. Der Trend zur späten Vaterschaft wird die
       Vorstellungen von Familie und gesellschaftlichen Normen jedenfalls weiter
       prägen und ein Aufwachsen mit Großeltern eher als Kuriosum erscheinen
       lassen als mit einem alten Vater.
       
       28 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Niemann
       
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