# taz.de -- Doom-Metal: Mönche des Schmerzmetalls
       
       > Die US-Doom-Band Earth eröffnet ihre kleine Deutschlandtour mit einem
       > Konzert im Alten Schlachthof Wiesbaden. Sie macht LaLaLa-Musik: lang,
       > langsam, laut.
       
 (IMG) Bild: So könnte Kurt Cobain heute auch aussehen: Earth.
       
       Dass Dylan Carlson von Earth mit Kurt Cobain befreundet und wie dieser ein
       Junkie war, das steht in jedem Text über Earth. Dass er das Gewehr gekauft
       hat, mit dem der Nirvana-Sänger sich erschoss, in jedem zweiten.
       
       Womöglich sähe Cobain heute auch aus wie Carlson, hätte er sich nach den
       Heroinjahren in ein Kloster zurückgezogen und dem Studium synkretistischer
       Religionen gewidmet. Ein ausgemergelter Mönch des Schmerzmetalls, mit zu
       langem Backenbart, der adlergesichtige Hohepriester des
       Leidenfrost-Effekts.
       
       Johann Gottlob Leidenfrost entdeckt 1756 das Phänomen der auf heißem
       Untergrund tanzenden Tropfen. Ein Vierteljahrtausend später feiert er ein
       Comeback, sein Name soll die Band aus Seattle umschreiben. Warum nicht?
       Auch Blitzkrieg und Götterdämmerung haben eine Popkarriere hingelegt.
       
       Um Wörter wie dark, doom, drone und noir zu vermeiden, reden wir einfach
       von LaLaLa-Musik. Lang. Langsam. Laut. Erschlagend laut, Hingebung
       verlangend laut, so soll Earth sein. Sich freudig ausliefern dem
       Leidenfrost, dem Blitzkrieg in Slow Motion. So geht die Sage von Earth.
       Lang und langsam sind die gesangslosen Stücke, aber laut? Hin und wieder
       übertönt die Klimaanlage der Räucherkammer (kein Witz, der Laden heißt so)
       die Band, ohne den rauchverbotbedingten Smell aus Rauch und Schweiß
       vertreiben zu können.
       
       90 Prozent Männer im Saal. Auf die Einschüchterungsästhetik der Loudness
       verzichten Earth, vermutlich weil sie dazugelernt haben. Der verhärmte
       Carlson fungiert immer noch als Bandleader/Leadgitarrist, Sound und Optik
       prägen die beiden Frauen.
       
       ## Holger Meins auf dem Totenbett
       
       Die Schlagzeugerin Adrienne Davies wird für die im Southern Gothic Style
       sepiagetönte Titelgeschichte des britischen Magazins The Wire als
       kinderschreckende, wagnerianische Walküre inszeniert, mithin als blondes
       Gegenbild zum grauen Holger-Meins-auf-Totenbett-Look des Dylan Carlson. Von
       wagnerianischer Weite sind auch ihre Ausholbewegungen am Schlagwerk,
       zuletzt sah man so einen Vorlauf, als Günter Netzer seine Pässe aus der
       Tiefe des Raumes schlug.
       
       Lori Goldstone strich schon auf „Nirvana Unplugged“ die Saiten, hier holt
       sie alles raus aus ihrem Cello: von Pentanglehaft-folkjazzigem Kontrabassen
       zu John Cales Viola bei Velvet Underground. Zu gern hätte ich gehört, wie
       das Streichen die Geschmacksgrenze der Lautheit überschreitet und ins
       Kreischen kippt. Tut es nicht. Exzess und Transgression brauchen ihren
       Kontext, sonst bleiben sie konformistisch leere Gesten, wie immer im Rock,
       nicht nur im Metal.
       
       Der historische Moment von Earth war gekommen, als der sogenannte
       Alternative Rock alternativlos das Regime übernahm, nach „Nevermind“. Da
       war die regressiv-autistische Rückzugs-Zeitlupe in Überlaut die passende
       Antwort auf den sich rapide standardisierenden, epigonalen Männerrock von
       Soundgarden und Konsorten.
       
       2012 kämpfen Earth mit dem Problem, dass ihrer Musik und ihrer Idee das
       Gegenüber verloren gegangen ist. The Wire schreibt das tolle neue Album in
       Zusammenhänge, die der Band vielleicht selbst nicht geheuer sind. Gute
       Kunst ist eben oft klüger als ihre Produzenten. The Wire spricht von
       verlangsamt-depressiver Funkadelia.
       
       Tatsächlich preisen Earth den dystopischen Funk der East-L.A.-Band War und
       „downer R&B like Funkadelics ’Maggot Brain‘“. Als er den
       deprofunkadelischen Song „The Rakehell“ ansagt, macht Carlson ein
       unmoralisches Angebot: „If you feel like dancing, go ahead!“ Es bleibt beim
       leicht heroinösen Wiegen einzelner Oberkörper.
       
       Weitere Konzerte: 29. März, UT Connewitz Leipzig; 31. März, Festsaal
       Kreuzberg Berlin
       
       28 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Walter
       
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