# taz.de -- IG-Metall-Vorstand Urban über Eurokrise: „Wir brauchen erst mal Alternativen“
       
       > Die deutschen Gewerkschaften sind gegen den Fiskalpakt, rufen aber nicht
       > zu Protesten auf. IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban sagt, warum.
       
 (IMG) Bild: Metallarbeiter demonstrieren in Darmstadt.
       
       taz: Heute soll es europaweit Aktionen gegen die Krisenpolitik der
       Regierungen geben, für Mai sind weitere Proteste angekündigt. Deutsche
       Gewerkschaften rufen dazu nicht auf. Haben sie am Eurokurs von Angela
       Merkel nichts auszusetzen? 
       
       Hans-Jürgen Urban: Sogar jede Menge. Wir beteiligen uns auch an Protesten.
       Bevor wir aber selbst zu Aktionen mobilisieren, müssen die Gewerkschaften
       die Debatte über ihre Antworten auf die Krise zu Ende führen.
       
       Sie haben gerade einen Aufruf mitinitiiert, in dem führende Gewerkschafter
       an die Gewerkschaften appellieren, sich dem Fiskalpakt entgegenzustellen.
       Sie könnten doch einfach etwas tun, statt sich selbst dazu aufzufordern. 
       
       Es geht uns bei dem Appell darum, eine gesellschaftliche Debatte über
       Alternativen zur herrschenden Krisenpolitik anzustoßen. Es haben auch nicht
       nur Gewerkschafter unterschrieben, sondern viele Wissenschaftler und
       Intellektuelle. Wenn wir den Fiskalpakt stoppen und einen politischen
       Pfadwechsel durchsetzen wollen, brauchen wir Mehrheiten. Natürlich auch in
       den Gewerkschaften. Dazu soll der Aufruf dienen.
       
       Warum wollen Sie den Fiskalpakt stoppen? 
       
       Der Pakt ist ökonomisch unsinnig und sozialpolitisch gefährlich. Er zwingt
       verschuldete Länder zu weiterem Sparen, wodurch die Volkswirtschaften erst
       recht stranguliert werden. Das Beispiel Griechenland zeigt das sehr
       deutlich. Der Fiskalpakt ist sozialpolitisch fatal, weil er die Spaltung
       zwischen Arm und Reich vorantreibt. Und er setzt die Demokratie in den
       Mitgliedstaaten außer Kraft. Nach seiner Ratifizierung würde es egal sein,
       ob in einem Land Konservative oder Sozialisten gewählt werden – beide
       müssten den restriktiven Austeritätsvertrag umsetzen.
       
       Immerhin wollen auch SPD und Grüne dem Pakt zustimmen – allerdings unter
       Bedingungen. Ist das für Sie ein gangbarer Weg? 
       
       Nein, ich halte einen Tauschhandel nach dem Motto „Fiskalpakt gegen
       kastrierte Börsenumsatzsteuer“ für inakzeptabel. An den massiven
       wirtschaftlichen und demokratischen Folgeschäden würde sich nichts ändern.
       
       Wenn die Konsequenzen so gravierend sind: Warum holen Sie dann nicht doch
       umgehend die Streikwesten aus dem Schrank. 
       
       Weil spontane Aktionen keine ausreichende Antwort sind. Wir brauchen
       Alternativen, wir brauchen dafür Mehrheiten in der europäischen
       Öffentlichkeit, und wir brauchen eine realistische Perspektive für die
       praktische Durchsetzung.
       
       Dass die Gewerkschaften durchaus mobilisierungsfähig sind, zeigen sie
       gerade in mehreren Tarifrunden. Warum geht das nicht, wenn es sich um
       politische Fragen handelt? 
       
       Richtig ist, dass wir als Gewerkschaften unser gesellschaftliches Mandat
       stärken müssen. Das darf aber nicht zulasten unserer Betriebspolitik gehen.
       Die aktuellen Tarifrunden zeigen, dass es uns gelingen kann, beides
       miteinander zu verschränken. Das Ziel der IG Metall etwa, 6,5 Prozent mehr
       Gehalt durchzusetzen, kann ein erster Schritt in Richtung zu einer
       verteilungspolitischen Wende sein. Diese im wirtschaftlichen starken
       Deutschland wäre eine wichtige Voraussetzung zur Korrektur europäischer
       Ungleichgewichte. Außerdem fordern wir, dass der Anstieg der Vermögen
       gebremst wird. Dabei ist auch die Steuerpolitik gefordert. Wir machen also
       durchaus Gesellschaftspolitik!
       
       Was verteilungspolitisch sinnvoll ist, kann in einem anderen Sinne trotzdem
       falsch sein: Ihre Tarifziele setzen auf ein Wirtschaftswachstum, das ohne
       Raubbau an Natur und Rohstoffen nicht denkbar ist. 
       
       Das ist in der Tat eine Zwickmühle. Wir brauchen eine mutige
       Verteilungspolitik, mit der wir die skandalöse Ungerechtigkeit
       zurückdrängen können. Aber wir haben noch keine hinreichende Antwort auf
       die „Grenzen des Wachstums“ in einer kapitalistischen Welt gefunden. Diese
       Debatte müssen die Gewerkschaften energischer führen.
       
       Findet sie überhaupt schon statt? 
       
       Selbstverständlich, aber noch nicht mit der Dynamik, wie ich sie mir
       wünsche. In der IG Metall wird zum Beispiel über die Ökologisierung des die
       Bundesrepublik prägenden Industriemodells nachgedacht, also über den Umbau
       der Autobranche. Dabei geht es um umweltverträgliche Antriebstechniken,
       aber auch um völlig neue Mobilitätskonzepte.
       
       Dass sich die Gewerkschaften intensiver Fragen der sozial-ökologischen
       Transformation zuwenden müssen, ist keine neue Forderung. Warum ist es so
       schwer, in den Gewerkschaften Mehrheiten dafür zu finden? 
       
       Sie treffen einen wunden Punkt. Die ökonomischen Krisen der vergangenen
       Jahre, vor allem seit 2007, haben die Gewerkschaften vor allem in
       Abwehrkämpfe gezwungen. Selbstverständlich erwarten unsere Mitglieder, dass
       wir uns, wenn es brennt, zuallererst für die Sicherung ihrer Arbeitsplätze
       einsetzen. Das führt aber auch dazu, dass gewerkschaftliche
       Transformationsprojekte wie etwa eine ökologisch ausgerichtete
       Wirtschaftsdemokratie oder eine grundlegende sozialstaatliche Neuordnung in
       den Hintergrund treten. Der Handlungsdruck erscheint geringer.
       
       Aber er ist es nicht. 
       
       Genau. Deshalb muss man in den Gewerkschaften immer wieder neue Anläufe
       unternehmen. Verschlafen wir die Herausforderung, mit konkreten Utopien
       einen grundlegenden Wandel einzuleiten, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an
       dem die ökonomischen und ökologischen Probleme mit noch viel größerer Wucht
       auf uns zurückschlagen.
       
       Gewerkschaften allein werden das Ruder nicht herumreißen können. Sehen Sie
       Partner auf der parteipolitischen Bühne? 
       
       Es könnte besser sein. Ich bin darüber enttäuscht, dass ein rot-rot-grünes
       Bündnis entweder nicht konsequent genug angegangen oder gleich ganz
       abgelehnt wird. Andere Möglichkeiten für den Einstieg in einen wirklichen
       Politikwechsel sehe ich nicht.
       
       1 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Strohschneider
       
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