# taz.de -- Kolumne Älterwerden: Beruhigungspille vor dem Zahnarzt
       
       > Fersensporn, Kniearthrose und dann noch die Ohren. Warum reden wir
       > plötzlich so viel über unsere Wehwechen? Dabei ist das Wetter doch so
       > schön. Und der Wald auch.
       
 (IMG) Bild: Wer weiß, was WSR ist, lag schon öfter mal in dieser Haltung auf einem Stuhl.
       
       Mein Onkel Wladimir hatte eine einfache Regel für seine Geburtstagsfeiern.
       Jedenfalls, nachdem er die 70 überschritten hatte. Zu Beginn, bevor die
       immer sehr opulente Torte angeschnitten wurde, versammelte er das Dutzend
       Geburtstagsgäste um den Tisch. Dann durfte jeder erzählen, was er oder sie
       so an Wehwehchen hatte, was sich verschlimmerte. Sehr ernsthafte
       Krankheiten waren tabu.
       
       Als die Wehklagen über Kniebeschwerden, Bandscheiben und Zahnprobleme durch
       waren, sagte Wladimir: „So, und nun wird gefeiert.“ Niemand wagte mehr, im
       weiteren Partyverlauf das Thema Krankheiten anzuschneiden.
       
       Ich musste an Wladis Geburtstagsfeiern denken, als ich neulich mit ein paar
       Bekannten wandern war. „WSR“, höre ich Winfried sagen, „das ist schon ein
       Horror. Ich kenne Leute, die nehmen Beruhigungspillen vorher.“ Wir wandern
       zu sechst durch die Müggelberge in Berlin. Eigentlich eine nette Gruppe von
       Menschen um 50. Aber dass Winnie jetzt die Abkürzung „WSR“ im Gespräch mit
       Suse benutzt, lässt mich aufhorchen. Der Dialog ist schon auf einer sehr
       fachlichen Ebene angekommen. Ich habe auch „WSR“ gesagt statt
       „Wurzelspitzenresektion“, nachdem ich die zweite Prozedur dieser Art beim
       Zahnarzt hinter mir hatte.
       
       Einschalten in das Gespräch will ich mich allerdings nicht. Schließlich
       habe ich auf unsrer Zweieinhalb-Stunden-Tour durch den lichten Wald schon
       genug mit meinen Auftrittsschmerzen unter der linken Fußsohle zu tun.
       „Plantarfasziitis“ hatte ich Suse auf der Herfahrt erklärt, „so was ist
       hartnäckig“. Suse hatte mich verständnislos angeschaut. „ ’Plantar‘ heißt
       Fußsohle“, hatte ich erklärt, „es ist eine Entzündung des Bindegewebes.
       Kann eine Vorstufe zum Fersensporn sein.“
       
       Um mich zu entlasten, wandere ich mit meinen neuen Stöcken Modell „Edurne
       Pasaban“, es sind leichte Frauenstöcke mit Powerlock-II-Verstellsystem und
       Aircork-Griff. Dass Gehhilfen so in Mode gekommen sind und niemand mehr
       dabei das Wort „Spazierstock“ in den Mund nimmt, sondern stattdessen von
       „Trekkingstöcken“ spricht, zeigt schon, dass das Naturerleben heute als
       echte Herausforderung begriffen wird.
       
       „Findest du das mit den Stöcken nicht übertrieben?“, fragt Lise, die neben
       mir geht. „Wir haben heute doch nur einen Höhenunterschied von 80 Metern zu
       überwinden.“ Sie hat die Tourenbeschreibung vorher eingescannt und
       herumgemailt. Da weiß man alles über Streckenlänge, Höhenunterschiede,
       „reine Gehzeit“ und die Wegbeschaffenheit, heute „breite und bequeme
       Waldwege“.
       
       „Stöcke können schon praktisch sein, bei Kniearthrose“, sagt Thomas,
       „sollte ich mir auch mal anschaffen.“ Suse und Winnie haben den Schritt
       jetzt verlangsamt. Sie sind bei dem Thema Ohrenpfeifen angelangt. Wie
       erkennt man, ob es was wirklich Ernstes ist? „Ohren zuhalten, wenn der Ton
       dann noch da ist, besser zum Arzt“, empfiehlt Suse. „Ist ein irre sonniger
       Tag heute“, wirft Lise ein, „was haben wir ein Glück mit dem Wetter.“
       Genau. Und der Wald ist auch sehr schön.
       
       1 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hygiene
       
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