# taz.de -- Bericht einer Aussteigerin: Kein Urlaub, kein Sabbatjahr
       
       > Ich bin 28 Jahre alt und lebe vom Arbeitslosengeld. In einem Land, in dem
       > andere Urlaub machen. Ich hatte Lust dazu. Und es ging nicht anders.
       
 (IMG) Bild: Keine Pause, um wieder zurückzukehren – sondern die Sehnsucht nach einer selbst bestimmten Ruhe, aus der heraus sich alles neu ordnet.
       
       Ich gehe am frühen Abend in den Tabakladen am Ende der Straße. Die Lust am
       Rauchen ist größer geworden hier draußen. Die Türen sind verschlossen. Es
       ist also Montag. Der erste Werktag in der Woche ist so gut wie vorüber, und
       ich: habe lediglich die Sonne wandern gesehen.
       
       Es ist nicht so, dass ich immerzu nichts tun würde, seitdem ich mich
       freiwillig aus dem Erwerbsleben, der Arbeit, meiner Funktion verabschiedet
       habe. Doch ohne Funktion schwindet der Alltag nur allzu schnell in Routinen
       wie Körperpflege, Schlafen, Wachsein, Kaffee aufsetzen. Dazwischen ist
       jeder Tag so anders wie das Meer hier draußen. Mal brodelt es vor
       Betriebsamkeit und treibt das Wasser bis auf die Promenade, mal verschmilzt
       der Horizont in einem trüben lethargischen Blau aus Meer und Himmel.
       
       Ich musste jetzt zwei Zigaretten lang darüber nachdenken, warum so eine
       Naturanalogie nicht bloß dem Zweck dient, hübsch lyrisch zu klingen.
       Womöglich, weil sich mein derzeitiges Leben manchmal wie eine Naturgewalt
       anfühlt. Denn für die Kapitulation gibt es keine Ratgeberlektüre. Ich
       ergebe mich jedem Tag, bin allein mit meinen Zweifeln, aber beschwere mich
       nicht mehr. Mal ist es pur, mal zerstörerisch. Doch es ist immer so wie
       noch nie.
       
       Ich bin 28 Jahre alt und habe vor vier Monaten gekündigt, weil ich Lust
       dazu hatte. Oder weil ich nicht anders konnte. Das wechselt. Ich will keine
       neue Festanstellung, es gibt keinen Masterplan. Ich kann es mir nicht
       leisten, aber ich mache das jetzt so. Seither lebe ich in einer Wohnung,
       deren Möbel mir nicht gehören, in einem Land am Rande der Eurozone, dessen
       Sprache ich nicht spreche. Ich muss hier sein – jedenfalls überall, nur
       nicht in Deutschland.
       
       ## Illegale Auswanderin
       
       Denn es ist nicht allein die Lust auf den Karriereknick, die mich reizt,
       sondern vielmehr die Sehnsucht nach einer selbst bestimmten Ruhe, aus der
       heraus sich alles neu ordnet, weil es aus einem reinen Instinkt und
       wahrhaftigem Willen entspringt. Dafür brauche ich das Exil. Ich bin eine
       illegale Auswanderin. Das Geld, das ich für Essen und Zigaretten ausgebe,
       ist kein Gehalt – sondern mein Arbeitslosengeld.
       
       Studiert, Journalistin geworden, Traumberuf bei der Zeitung, Termin-,
       Kreativ- und Profilierungswahn – yeah! Dann das Angebot aus der Politik:
       Eine deutsche „Volkspartei“ will eine Journalistin mit externem Blick, für
       ihr kommendes großes Kommunikationsprojekt. Schluss! mit dem trainierten
       Politiker-Bla!, das die Leute! da draußen allenfalls noch über die
       Verballhornung! in der TV-Satire! erreicht!
       
       Frisch, ein Neustart, eine neue Abteilung für Millionen von Euro, mit neuen
       Freiheiten, neuem Personal, Demokratie at its best. Als einzige Frau im
       Team, alles auf Anfang – Moment bitte: Das Treffen mit dem Industrieverband
       Oer-Erkenschwick müssen wir bringen, Leute, da hilft nichts. Wir haben
       einen Top-Mann aus dem Parteiapparat. Der ist schon so lange dabei und
       wartet auf eine echte Chance.
       
       Wir schwitzen, wir brüten, wir sind auf dem richtigen Kurs, sagt der
       Top-Mann von der Abteilungsleitung. Ein fresher Typ und unabhängig,
       Parteimitglied, ein Bombenjournalist vom Bad Beutelsbach Observer. Ich bin
       einem Polittheater aufgesessen, das Relevanz nur behauptet. Weil alles
       andere Mut verlangen würde. Man führt das große Wort Mut gern im Mund, aber
       ernst nimmt man es nicht.
       
       Alles andere ist ernster. Ich kündige. Bin ja noch jung und unschuldig. Was
       soll’s. Heiter weiter. Die Kommunikationsagentur sendet Signale, auch die
       alte Redaktion nähme mich wohl zurück. Und wenn das beides nicht, dann:
       irgendwas. Geht immer. Aber irgendwas war anders jetzt.
       
       ## Wir nennen es Burn-out
       
       Beschließe: Ich will kein Rädchen mehr sein in dieser bleiernen
       Maschinerie, die presst, hebelt, ächzt und druckt, aber nur weiße Blätter
       auswirft. Ein Triebwerk, das konstant rattert und dabei wie geschmiert die
       Jugend überfährt, noch jede Reform in Tortendiagramme deformiert und die
       Risse im Beton mit immer neuem Altherren-Speichel zukleistert. Wir nennen
       es Burn-out.
       
       Ich ließ mir das von meiner Hausärztin bescheinigen. Mit
       Kündigungsschreiben und Attest in einer ordentlichen Kunststoffmappe
       verpackt, ging ich zur Bundesagentur für Arbeit, meldete mich
       „arbeitssuchend“ – und verließ das Land. Ich bekomme ALG I, schreibe
       Bewerbungen mit Berliner Absender. Die den Wunsch einer Zukunft in
       geregelten Verhältnissen vortäuschen. Ich lese die Bücher, die ich in den
       letzten fünf Jahren nur bis Seite 80 lesen konnte, und bin geringfügig über
       die Weltlage informiert. Ticke ich noch ganz sauber?
       
       Was bilde ich mir denn ein, einfach so das gutdeutsche Arbeitslosengeld am
       Rande der Eurozone auszugeben? Gelebte Aufbauhilfe? Und wenn das jeder …?
       Würde das, was ich hier gerade mache, mit der Wucht einer Massenbewegung in
       die Auflösung der politisch gemachten Werte, also der Pflicht zur Arbeit,
       führen. Ich muss mir nicht wünschen, dass doch einer mal ein Modell
       entwickelt. Das Internet ist voll davon. Doch solange es eben nicht von den
       politischen oder sonstigen Eliten gewollt ist, nehme ich den Hinterausgang.
       
       Das Pamphlet in meinem Kopf ist geschrieben: Ich glaube nicht mehr an den
       Staat und an seine drei bis vier Säulen der Macht, die einmal dem Zweck
       dienen sollten, Freiheit und Gleichheit zu sichern. Denn wie hatte meine
       Frau Merkel schon vor Jahren befohlen: „Ohne Wachstum ist alles nichts.“
       
       ## Ohne Not wähle ich Nichts
       
       So ist es also, der Kapitalismus hat uns in der Mangel. Und ohne Not wähle
       ich Nichts. Denn als ein Opfer des Systems will ich mich nicht sehen. Ich
       möchte meine Karriere an dieser Stelle als gescheiterte Risikoinvestition
       betrachten und mich mit einem kleinen Rettungspaket verabschieden. In einer
       Zeit, in der offensichtlich jener Wahnsinn regiert (in mir, in allen), der
       Demokratie und Sozialstaat auf konstanter Sparflamme abzuköcheln gedenkt,
       während der Panzerwagen vorm Kanzleramt gewienert wird, will ich mir genau
       überlegen, wo und wie es sich besser auf den Tod warten lässt.
       
       Ich bin nicht depressiv. Aber: Ich bin schon immer ein sehr ernsthaftes
       Kind gewesen. Sagt meine Mutter. Und ich bin so gelangweilt. Alle
       Durchhalteparolen sind wirkungslos. Ich will mich nicht im Establishment
       durchbeißen. Und so verzichtete ich leise auf den restlichen Teil der
       Reise.
       
       Einige Leute in meinem Umfeld lasse ich in ihrem Glauben zurück, dass das
       hier das „schöne Leben“ sei. Nichts tun müssen an einem Ort, wo andere
       Ferien machen? Ist ja superschön! Ich will sie keine Kraft mit Verständnis
       für Erklärungen kosten, was es macht und bedeutet in dieser Blase inmitten
       einer fremden Normalität, in dieser vorläufigen Melancholie zu leben, in
       Bescheidenheit auf die Inspiration zu lauern, ohne entsetzlich bemüht weit
       reichende Pläne zu schmieden. Superschön ist vielmehr die Freiheit, auf den
       Moment warten zu können, das vermeintliche Paradies wieder zurückzulassen
       zu wollen.
       
       Doch egal, wie schrecklich ähnlich die Funktion vielleicht wieder sein
       wird, in der ich eines Tages landen werde, weil mir einfach nichts Besseres
       eingefallen ist oder alle ausgeheckten Pläne scheitern, weiß ich genau,
       dass nichts so sein wird, als wäre nichts gewesen. Das ist hier kein
       Urlaub, und auch kein Sabbatjahr. Ich mache keine Pause von etwas, um
       wieder zurückzukehren. Ich bin nicht krank, ich bin diagnostiziert. In ein
       paar Wochen reise ich nach Tripolis. Systemwechsel gucken.
       
       Name der Autorin geändert.
       
       4 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Angela Maschine
       
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