# taz.de -- Deutsche Künstler in Tel Aviv: Heimat ist nicht da oder dort
       
       > Israelische Künstler gibt es viele in Berlin. Die Anziehungskraft wirkt
       > auch umgekehrt. Spannung, Inspiration und Liebe finden deutsche Künstler
       > in Tel Aviv. 3 Porträts.
       
 (IMG) Bild: Filmemacher Tomer Heymann folgt den wohl wichtigsten Menschen in seinem Leben: seiner Mutter Noa und seinem Freund Andreas.
       
       Über Israelis in Berlin und ihre Faszination für die Stadt wird viel
       berichtet. Besonders Künstler fühlen sich von Berlin angezogen. Was macht
       eine Stadt wie Tel Aviv umgekehrt für deutsche Künstler attraktiv, was
       motiviert sie zu gehen oder zu bleiben und wie findet man sich in als
       Deutscher in Israel zurecht?
       
       Der Film “I Shot My Love“ (arte, 3.25 Uhr) stellt diese Frage an den Tänzer
       Andreas Merk, die taz hat den Protagonisten des Films von Tomer Heymann und
       andere Künstler in Tel Aviv getroffen.
       
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       „Ich kam während des Libanon-Kriegs“, erinnert sich Andreas Merk. Der
       32-jährige Tänzer und Choreograf ist seit 2006 in Tel Aviv. Zwar hat Tel
       Aviv eine sehr lebendige und originäre Tanztheaterkultur, aber Andreas kam
       der Liebe wegen. Wie das war, einem Mann hinterher zu reisen, den er in
       einem Berliner Club kennengelernt hat, ohne Rückflugticket, hat er bereits
       mit der ganzen Welt geteilt. Sein Freund ist der israelische Filmemacher
       Tomer Heymann, der den Besuch Merks und seine Einbeziehung in den für ihn
       ungewöhnlichen israelischen Alltag rückhaltlos mit der Kamera begleitet
       hat.
       
       Wie er sich einfindet in das Land und das enge Verhältnis des Regisseurs zu
       seiner Mutter Noa wird ebenso nah dokumentiert wie das Verhältnis von
       Heymanns Familie zu Deutschland und Berlin, wo seine jüdischen Großeltern
       bis 1936 zu Hause waren. Das Ergebnis, der Film „I Shot My Love“, wurde
       2010 auf der Berlinale gezeigt und läuft am 5. April erstmals auf arte.
       
       Für Merk war es klar, dass er seinem Freund nachreisen würde, denn
       schließlich sei der Tanz international – und weniger abhängig von
       Netzwerken und Sprache als der Dokumentarfilm. Er hat aber auch schon
       vorher die Ferne gesucht. Nach dem Studium in Frankfurt und einer
       Tanzausbildung in Brüssel lebte er in der Schweiz und Lissabon.
       
       Bisher hat er überhaupt erst ein Projekt in Deutschland gehabt, sonst nur
       im Ausland getanzt. „Ich wollte weg von der Heimat. Das Eigene
       interessierte mich nicht, ich wollte mich von der eigenen Wahrnehmung
       distanzieren“, sagt Merz. Nun aber will er genau dahin zurück.
       
       „Ich bin an einem Punkt in meinem Leben, wo ich mich wieder mit den
       Parametern, mit denen ich aufgewachsen bin auseinandersetzen muss. Ich
       merke, ich muss die Dinge auf Deutsch verbalisieren um Erkenntnis zu
       erlangen, denn die Wortwahl in einer Fremdsprache schränkt die
       Denkmöglichkeit ein.“
       
       Derzeit ist er viel in Europa unterwegs, gerade in einer Produktion einer
       israelischen Regisseurin zum Thema Richard Wagner in München und er
       arbeitet auch viel in Frankreich. Der Hauptwohnsitz ist noch immer da wo
       die Liebe ist, in Tel Aviv.
       
       Wenn jemand seit 12 Jahren nicht in Deutschland lebt, wo ist dann die
       Heimat? „Tomer ist so etwas wie Heimat für mich“, sagt Merk. Er möchte sich
       aber in Israel nun nicht mehr auf den Status „Gast“ beschränken und
       Ausreden dafür finden, warum er bestimmte Dinge nicht angeht. „Ich habe das
       Bedürfnis nach Positionierung und danach etwas aufzubauen. Als Gast ist man
       nicht so eingebunden, hat keine Fesseln, sondern eher Narrenfreiheit.“
       
       Narrenfreiheit als Deutscher in Israel? „Ich wurde hier immer als Mensch
       angesehen und selten mit der Vergangenheit konfrontiert. Ich hatte das
       Gefühl, als Deutscher hier zu leben etabliert etwas Neues,
       Zeitgenössisches. Während ich auf eine unmenschliche Vergangenheit
       zurückschaue, konnte ich etwas Menschliches, Liebevolles entwickeln.“
       
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       „Der Rest der jüdischen Kultur in Deutschland ist die Sprache“, sagt
       Larissa Aharoni (37). Sie ist seit 2006 in Tel Aviv. Sie hat Kunst in
       Düsseldorf studiert und arbeitet mit Sprache. Nach einem USA-Stipendium
       stellt sie diesen Sommer 7 neue Straßenschilder in der Steiermark auf, die
       daran erinnern, dass 150 Sinti und Roma während des Nationalsozialismus zum
       Straßenbau zwangsverpflichtet und anschließend in Polen ermordet wurden.
       Außerdem plant sie eine Soundinstallation mit jiddischen Flüchen, die
       voraussichtlich 2013 in der neuen Hafencity stattfindet.
       
       Obwohl sie schon sechs Jahre in Israel lebt, arbeitet sie meistens
       außerhalb des Landes. In Israel gibt es nicht so etwas Komfortables wie das
       Künstlerstipendium in Deutschland. Aharoni ist, um all die Jahre hier zu
       bleiben, mit ihrem Touristenvisum immer wieder ein- und ausgereist und hat
       sich mit Filmjobs, Kunstverkäufen, Stipendien und als Deutschlehrerin für
       Israelis über Wasser gehalten.
       
       „Es ist erstaunlich wie viele Israelis Deutsch lernen wollen. Es geht ihnen
       dabei um die Bewahrung der deutschen Kultursprache“, meine Aharoni. „Die
       meisten wollen gerne die Klassiker wie Schopenhauer, Wittgenstein und Kant
       im Original lesen. Aber auch, weil sie Berlin toll finden, der Familie oder
       Jobs oder der Kultur wegen nehmen sie Deutschunterricht. Aber keiner will
       Arabisch lernen.“
       
       Für Künstler sei Tel Avivs kulturelle Infrastruktur eine Katastrophe, sagt
       Aharoni. Alles sei doch sehr jüdisch ausgerichtet, Israelis fördern
       Israelis. Das macht es schwierig für Ausländer – trotz Exotenbonus. Wenige
       Sponsoren und sich verschärfende Ausländergesetze sorgen ebenfalls dafür,
       dass es immer schwieriger wird, sich als Künstlerin eine Existenz
       aufzubauen. Dass sie dennoch hier bleibt, liegt an der ständigen
       Veränderung, die hier existenziell und den Alltag prägend ist, sagt sie.
       „Das erfordert eine Wachheit und Präsenz sowohl im Alltag als auch in der
       Kunst, die ich für das Arbeiten brauche.“
       
       Und die Maßstäbe im Stadtbild findet sie angenehm: „Es gibt hier keine
       Machtarchitektur, nur kleine Häuser. Ich empfinde es als sehr menschlich,
       dass ich vor den Gebäuden nicht auf die Knie fallen muss. Aber natürlich
       fühlt man sich hier als Zugereiste gleichzeitig drinnen und draußen“, sagt
       Aharoni.
       
       Als sie kurzzeitig mit einem Israeli verheiratet war, kam die Frage auf, ob
       potenzielle Kinder in Israel aufwachsen sollten, „mit dieser Art von
       Gefängnisgefühl, dass mich hier manchmal überkommt“. Es kam nicht dazu,
       diese schwierige Frage beantworten zu müssen. Aber für ihre Kunst sei das
       alles gut so, das intensive Erleben, die Wärme, der ständige Kampf um
       Förderung und um im Land bleiben zu können, die Ellenbogen und die
       Lautstärke.
       
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       Giulia Bowinkel (28) und Friedemann Banz, (31) sind mit einem Stipendium
       des Goethe Instituts für ein halbes Jahr in Tel Aviv gewesen und haben über
       ihre Zeit und Erlebnisse in Israel ein [1][Blog] geführt. Sie sind nach
       Israel gekommen mit einer großen Neugier auf das Land. „In der Hoffnung,
       einen blinden Fleck auf der Landkarte und in der eigenen Geschichte zu
       entdecken“ – und haben mit Tel Aviv „das Berlin des Nahen Ostens“
       kennengelernt.
       
       „Die Kunstszene ist vital, denn alle sensiblen Geister dieses Landes
       versammeln sich hier in Tel Aviv. Nach dem Studium in Jerusalem wollen alle
       der erdrückenden Enge dort entfliehen“, meint Banz. Die Kultur, die
       Besatzung, die innerisraelischen Konflikte und die ständigen
       Bombeneinschläge irgendwo im Land, fanden die beiden Westdeutschen schon
       spannend – aber das war noch nichts gegen die Proteste auf dem
       Rothschild-Boulevard. „Eine reine Work-in-progress-Bewegung“, analysieren
       Banz und Bowinkel, bei der nur wenige daran dachten, wie auch langfristig
       etwas erreicht werden kann.
       
       „Generell habe ich den Eindruck, dass ein muffiger Schleier der
       Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation über allem hängt und sich besonders
       bei sensiblen Menschen wie Künstlern niederschlägt. Das wird überspielt
       durch Posen, Witze und eine Art AD-Syndrom – eine Unruhe, die keinen Moment
       der Kontemplation zur Auseinandersetzung mit den Dingen zulässt“,
       beschreibt Banz seine Wahrnehmung der israelischen Kunstszene.
       
       „Sie ist etwas konzept- und planlos – ein bisschen so wie der Autofahrstil
       hier. Gute Kunst kann bei der Sache bleiben. Ich kann gut verstehen, dass
       die Künstler hier raus und nach Berlin kommen wollen – einfach um mal
       runterzukommen“, meint auch Bowinkel. Natürlich sind sich die beiden ihrer
       privilegierten Situation bewusst – ihnen wurden Wohnung und Atelier zur
       Verfügung gestellt. Das Atelier benötigten sie gar nicht, denn sie machen
       in erster Linie Grafik-Kunst am Computer. Deshalb ließen sie einheimische
       Künstler den Raum nutzen.
       
       Die Tel Aviver Kunst empfindet das Künstler-Duo als fast gefällig. „Sie
       eckt nicht an, es gibt keine Schwere mehr. Ich sehe darin eher Weltflucht“,
       sagt Banz. „Aber schließlich gibt es in Tel Aviv auch nur zwei namenhafte
       Galerien, die international aufgestellt sind. Kommerzielle Galerien gibt es
       einige, aber eher national agierend und dementsprechend nicht auf
       internationalen Kunstmessen auftauchen. Das ist schon einschränkend. Es
       entsteht ein Sackgassengefühl aus dem die Kunst ausbrechen muss“, so Banz.
       
       Dieses Sackgassengefühl hat im Sommer 2011 eine ganze Generation von
       Israelis eingeholt und kam in Form der Rothschild-Bewegung zum Ausdruck.
       Die Bewegung hat die Arbeit der beiden stark beeinflusst und die
       Auswirkungen können sie noch gar nicht benennen. „400.000 Menschen
       begriffen, das die Zukunft nicht existiert. Nicht auf der Basis dessen, was
       ist – deshalb wollten sie ihre Gegenwart ändern. Jetzt müssen wir beide
       begreifen, was die Kunst damit zu tun hat. Wie stehen wir zu einer
       Massenbewegung? Sind wir Teil der Masse, der Masse als Körper und ich als
       Zelle dessen?“
       
       Der Eindruck wirkt nach bei Banz, und auch Bowinkel ist von der Sogkraft
       der Bewegung so beeindruckt gewesen, dass sie sich jetzt fragen muss: „Was
       bin denn ich und was dieses Riesenvieh? Wie kann ich das verarbeiten?“
       
       Als die beiden sich den Moment des Scheiterns der Verarbeitung eingestanden
       haben, beschlossen die, „den Reboot-Knopf zu drücken und sich läutern zu
       lassen“. Diese Läuterung nahmen sie mit zurück nach Deutschland: „Mal
       gucken was aus dem Samen sprießt“, sagt Banz.
       
       “I Shot My Love“, arte, 3.25 Uhr.
       
       5 Apr 2012
       
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 (DIR) Julia Niemann
       
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