# taz.de -- Der „Tatort“-Doppelpack: Alphatierchen in Ost und West
       
       > Zu Ostern bringt eine Doppelfolge im städtepartnerlichen Doppelpack die
       > Marke „Tatort“ zum Glänzen. Ambitioniert, aber nicht allzu aufregend.
       
 (IMG) Bild: Leichte Beute? Auf dem Kinderstrich schaffen obdachlose Mädchen an.
       
       Warum eigentlich immer Leipzig? Nirgendwo sonst tauchen „Tatort“-Kommissare
       derart häufig und unangemeldet auf wie in der sächsischen Großstadt, wo sie
       in fremden Revieren wildern. Das war schon ganz am Anfang so.
       
       „Taxi nach Leipzig“ hieß der erste „Tatort“ überhaupt, damals, anno 1970,
       ermittelte der Hamburger Kommissar Trimmel in der Mustermessenstadt. Die
       Messe hat längst ihre Bedeutung verloren, doch das Muster blieb: Schlappe
       457 „Tatorte“ später machte sich im Jahr 2000 das Kölner Ermittlerduo Max
       Ballauf und Freddy Schenk ebenfalls nach Leipzig auf, ohne sich bei den
       Kollegen vor Ort anzumelden. Im Jahr 2002 revanchieren sich wiederum die
       Leipziger und fahndeten ohne Ankündigung in Köln.
       
       Und am Osterwochenende ist es endlich wieder einmal so weit: Mit gar nicht
       polizeifeiner Dauerhöchstgeschwindigkeitsübertretung rasen Ballauf (Klaus
       J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) nach Leipzig. Es geht um eine junge
       Frau aus Leipzig, die gerade eben tot aus dem Rhein geborgen wurde. Dieses
       Mal hat es sogar nur zehn Jahre für den kooperativen Einsatz - und trotzdem
       320 Folgen der Krimireihe gedauert, was man ganz nach Belieben als Beleg
       für den Erfolg der Marke „Tatort“ oder den Beweis des inflationären
       Einsatzes von TV-Krimis im Hauptabendprogramm werten kann.
       
       Das Opfer, die 15-jährige Sarah Stellwag, hatte in Leipzig auf der Straße
       gelebt und war auf den Strich gegangen, weshalb sich Ballauf dort ganz
       unbürokratisch umschaut. Dabei kriegt er prompt von seinem Leipziger
       Amtsbruder Andreas Keppler (Martin Wuttke) auf die Nase. Denn Keppler und
       seine Kollegin Eva Saalfeld (Simone Thomalla) ermitteln ebenfalls im
       Straßenkindermilieu, ihre Tote heißt Lisa Noack, war ebenfalls 15 und
       schaffte gelegentlich an. „Kinderland“ heißt dieser „Tatort“ aus Leipzig,
       bei dem von heiler Welt der Jugend nicht die Rede sein kann. Und der -
       Weltpremiere! - nach den üblichen 90 Minuten auch noch weitergeht.
       
       Denn am Ostermontag ermitteln beide Kommissarteams in Köln weiter („Ihr
       Kinderlein kommet“, Mo., 9.4., 20.15 Uhr, ARD). Ein weiteres, in Leipzig
       verschwundenes Mädchen wird nun in der Stadt am Rhein vermutet. Sie lebt -
       noch. Doch die Zeit drängt: Hat man es doch offenbar mit einem Serienmörder
       zu tun, der sich an jungen Menschen vergreift, die ohnehin schon „vermisst“
       sind.
       
       ## Kleine amouröse Andeutungen
       
       Laut Bundeskriminalamt waren Anfang 2012 rund 1.900 Kinder und Jugendliche
       unter 17 Jahren als vermisst gemeldet, rund drei Prozent von ihnen, so die
       BKA-Statistik, blieben auch nach einem Jahr verschwunden. Keine ganz
       leichte Kost, die Thomas Jauch (Regie) und Jürgen Werner (Buch) da zum
       Osterfest servieren – noch dazu mit der doppelten Herausforderung der
       Doppelfolge. Denn natürlich hat auch „Kinderland“ einen abgeschlossen
       Handlungsstrang – der Fall Noack wird gelöst, doch die große Frage bleibt
       am Ende offen. Wobei der Cliffhanger einen auch nicht um den Osterschlaf
       bringt.
       
       Für Regisseur Thomas Jauch stand denn auch die Idee, die Zusammenarbeit der
       beiden Kommissarteams von immer mal wieder stattfindenden „kleinen
       Besuchen“ zu einer echten „Erweiterung als Zweiteiler zu verzahnen“, im
       Vordergrund.
       
       Anders als die sonst üblichen ein bis zwei Tage Drehzeit im jeweils
       „anderen“ Revier wurden bei „Kinderland“ und „Ihr Kinderlein kommet“ eher
       neun bis zehn Tage in der „Partnerstadt“ gedreht, erzählt Jauch. Und dass
       die vor allem von Keppler und Ballauf zunächst gepflegte Animosität der
       Alphatierchen hübsch aufs Drehbuch beschränkt blieb. Was wohl erst recht
       für die kleinen amourösen Andeutungen zwischen Schenk und seiner Leipziger
       Kollegin Eva Saalfeld gilt.
       
       „Spaß gemacht hats, das war ganz souverän, uneitel und mit sehr viel
       Humor“, sagt Jauch, keiner habe "um noch ein Close-up oder ein paar Zeilen
       mehr" gefeilscht. Wenn es überhaupt Stress gab, dann eher den, die vier
       vielbeschäftigten Darsteller terminlich unter einen Hut zu kriegen. Die
       „Spielfreude hat das jedenfalls eher noch beflügelt“.
       
       Stimmt: Die interkommissarisch-menschlichen Zwischentöne machen den Reiz
       der Doppelfolge aus. Wobei die Sachsen nicht ganz so brillieren wie die
       Herren vom Rhein; dafür liegen die Leipziger Ermittler immerhin in Sachen
       Ökobilanz ganz weit vorn: Während die Kölner Kommissare mit dem Bleifuß in
       Schenks unvermeidlichem Straßenkreuzer unterwegs sind, kommen Saalfeld und
       Keppler brav mit der Bahn.
       
       ## Mit der Marke „Tatort“ sorgsam umgehen
       
       Und obwohl die Problematik der Straßenkinder nicht so prägnant
       herausgearbeitet wird wie sonst die in fast allen „Tatorten“ zu findende
       gesellschaftspolitische Dimension, passt sie zu den Darstellern. Klaus J.
       Behrendt und Dietmar Bär engagieren sich seit dem „Tatort: Manila“ (1998)
       für Kinder auf den Philippinen. Und Simone Thomalla hat in Leipzig einen
       Scheck übergeben für den Verein Straßenkinder, der sich seit 2003 für junge
       Menschen einsetzt, die auf der Straße leben.
       
       Schränkt so viel Anteilnahme den Regisseur eigentlich in seiner Arbeit und
       Freiheit ein? „Nein“, sagt Jauch, „das hat uns in keiner Weise tangiert“,
       schließlich habe das „nichts Missionarisches, und ne Sammelbüchse hat auch
       niemand bei den Dreharbeiten aufgestellt“.
       
       Das Team war am Ende mit der Köln-Leipziger Viererbande höchst zufrieden,
       und Jauch, der ab Mittwoch in Dortmund den neuen Ruhrgebiets-„Tatort“
       dreht, hofft auf Neuauflagen. „Natürlich muss man mit der Marke
       ,Tatort´sorgsam umgehen, aber im Jahresabstand ließe sich da bestimmt was
       machen." Zumal die Münchner, die sich noch gerne an den Kurzbesuch ihrer
       Ludwigshafener Kollegin Lena Odenthal erinnern, auch "mal gern was mit den
       Kölnern drehen würden“.
       
       Doch noch mehr scheint der Krimistadt Leipzig das Reisen im Blut zu liegen,
       nicht nur in der ARD. Das ZDF hat jedenfalls seine „Soko Leipzig“ schon
       2009 in einem gemeinsamen Fall mit dem Ermittlerteam der britischen
       TV-Krimireihe „The Bill“ gekreuzt und in London ermitteln lassen. Da gibt
       es allerdings nicht so schöne, kommissarabschiedstaugliche Imbissbuden wie
       am Rhein. Obwohl: Die Kölner Wurstbraterei mit dem berühmten Domblick ist
       ja auch nicht echt.
       
       Tatort, „Kinderland“, Regie Thomas Jauch / Kamera Clemens Messow. ARD,
       Sonntag, 8. April, 20:15 Uhr.
       
       8 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Grimberg
       
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