# taz.de -- Heinemann-Bürgerpreis an Pater Mertes: „Es brauchte sehr mutige Betroffene“
       
       > Pater Mertes soll für seine Aufklärungsverdienste am
       > Canisius-Kolleggeehrt werden. Warum auch der gequälte Exschüler Matthias
       > Katsch geehrt werden sollte. Ein offener Brief.
       
 (IMG) Bild: Hier quälte ein Lehrer jahrelang Schüler. Der Jesuitenorden wusste seit langer Zeit davon.
       
       Die Nachricht, dass der Gustav-Heinemann-Bürgerpreis an Pater Klaus Mertes
       verliehen werden soll, ist eine erfreuliche Geste. Ich möchte Ihnen
       allerdings vorschlagen, diesen Preis ex aequo auch an Matthias Katsch zu
       verleihen. Er ist derjenige, der mit seinem offenen Sprechen über den
       erlittenen Missbrauch Pater Mertes zu seinem Schritt veranlasst hat. […]
       
       Die Leistung von Pater Mertes sehe ich darin, dass er unmittelbar nach den
       ersten Veröffentlichungen in der Presse als erster Vertreter seiner
       Institution den Opfern öffentlich versicherte: „Wir glauben euch und
       ermuntern euch, zu sprechen.“
       
       Da durch ist er zum Vorbild für den Umgang mit sexuellem Missbrauch in
       Institutionen geworden. Noch immer neigen Führungskräfte dazu, in
       Verdachtsfällen mehr die Interessen der Institution als die der Opfer zu
       sehen und sich gegen Transparenz zu entscheiden.
       
       Pater Mertes wusste jedoch schon jahrelang von den Missbrauchsfällen, ohne
       zu handeln. Es brauchte ganz offensichtlich den Willen sehr mutiger
       Betroffener, die Fälle öffentlich zu machen.
       
       Der Betroffene, der diesen Prozess maßgeblich angeschoben hat, ist Matthias
       Katsch, heute bekannt als der Sprecher der von ihm mitbegründeten
       Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ ([1][www.eckiger-tisch.de]).
       
       Seit der von ihm initiierten Bekanntmachung der Fälle im Januar 2010
       engagiert sich Matthias Katsch intensiv für die Aufarbeitung der
       Missbrauchsfälle an den Jesuitenschulen und an anderen Einrichtungen, für
       die Einbeziehung der Betroffenen in die Diskussionen um Aufarbeitung und
       Prävention.
       
       Ich kenne diese Männer, die heute unter dem Begriff Eckiger Tisch bekannt
       geworden sind, sehr gut. Ich habe im Verlauf der beiden vergangenen Jahre
       einen intensiven Einblick gewonnen in ihre Aufdeckungsarbeit, die Mühen,
       Höhen und Tiefen.
       
       Hinter diesen Männern und hinter Matthias Katsch stand keine Organisation
       oder Gemeinschaft, die ihn/sie aufgefangen hätte.
       
       Das Handeln der engagierten Männer um den Verein Eckiger Tisch ist eine
       ehrenamtliche Arbeit, die kaum unterstützt wurde, sodass einige dieser
       Männer in den vergangenen zwei Jahren erhebliche finanzielle Einbußen
       aufgrund ihres für unsere Gesellschaft wichtigen Engagements hatten, teil-
       und zeitweise schwer erkrankten und Beziehungen scheiterten. Leider ist das
       Thema des sexuellen Missbrauches an Institutionen weiterhin nicht
       ausreichend bearbeitet. […]
       
       Ich finde es einen wichtigen Schritt, den Pater Mertes gegenüber seiner
       eigenen Gemeinschaft geleistet hat. Die katholische Kirche hat nach wie
       vor, wie jüngste Veröffentlichungen zeigen, sowohl in der Aufklärung als
       auch in der Aufarbeitung versagt.
       
       Bis heute haben wir kein zusammenhängendes Bild der Verbreitung sexueller
       Gewalt im Bereich der katholischen Kirche. Es gibt keine Zahlen und Daten
       dazu, weil niemand – keine Instanz – sie gesammelt hat.
       
       Im Unterschied zu Irland oder den Niederlanden hat keine unabhängige Stelle
       bisher eine entsprechende Untersuchung durchgeführt. Entschädigungen werden
       nicht gezahlt, rechtliche Ansprüche gelten als verjährt.
       
       Die Institution, die die Verbrechen gedeckt und vertuscht hat, hat
       stattdessen aus eigener Entscheidung eine sogenannte Anerkennungszahlung
       von bis zu 5.000 Euro festgesetzt, die jedoch nur von wenigen Betroffenen
       bislang angenommen wurde. […]
       
       Viele dieser Männer leiden bis heute unbeschreibbar, sodass es im
       Umkehrschluss nicht als Tat von Pater Mertes gewürdigt werden darf, was in
       den vergangenen Jahren in Deutschland passiert ist. Ich schlage daher vor,
       den Preis ex aequo an Pater Klaus Mertes und Matthias Katsch zu verleihen.
       Dies wäre ein Zeichen der Würdigung des Mutes, Schweigen zu brechen.
       
       17 Apr 2012
       
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