# taz.de -- Robert Glaspers „Black Radio“: „I’m in the cluuub“
       
       > „Black Radio“ heißt das neue Album des afroamerikanischen Pianisten
       > Robert Glasper. Es ist ein Update der spirituellen Stärke der Great Black
       > Music.
       
 (IMG) Bild: Robert Glasper: ein Hybrid aus Jazzpianomotiven, funkigen Synthesizerklängen, Vocodergesang und vielschichtigem Rap.
       
       Einst wurde die junge Kunst des Jazz von Theodor W. Adorno als Auswuchs der
       flachen Unterhaltungsindustrie verworfen, heute bietet sie ironischerweise
       gerade Zuflucht vor dem Einheitsbrei des Mainstream. Robert Glasper mag
       beides: Jazz und HipHop. Aber der US-Pianist will mit seinem neuen Album
       „Black Radio“ ein neues Publikum für den Jazz gewinnen und jungen Hörern
       beibringen, wie glaubwürdige Musik klingt.
       
       Auf die Vereinheitlichung des Popmainstreams im Jahre 2012 angesprochen,
       hebt Robert Glasper zu einem wütenden Gospel an. „Die beliebtesten Songs
       sind meist die entwürdigendsten, die dümmsten Songs überhaupt. Sie haben
       weder Tiefe noch Konzept, sie haben so gar nichts Positives an sich.
       Kommerz klingt immer gleich.“
       
       Er singt: „I’m in the cluuub. Alle sind ständig im Club. Sogar Mariah Carey
       ist im Club und schlendert durch die Gegend. Mariah, pack deine Titten ein!
       Mir wird schwindelig. Du konntest doch mal singen, warum singst du nicht
       einfach? Aber die Leute glauben, sie müssten alle dasselbe tun. Unsere
       Musik ist total verdummt. Und solange es 13-Jährige auf der Welt gibt, wird
       es immer einen Markt für dieses Zeug geben.“
       
       „Black Radio“ ist Robert Glaspers fünftes Album, jedoch das erste, das
       unter dem Projektnamen The Robert Glasper Experiment veröffentlicht wird.
       Benannt ist es in Anlehnung an die Black Box, den Flugschreiber, der alle
       Vorgänge eines Fluges aufzeichnet und jeden Absturz unbeschädigt übersteht.
       So will „Black Radio“ Elemente aller Musikrichtungen der afroamerikanischen
       Tradition aufnehmen und diese unbeschädigt ins Jetzt übersetzen.
       
       ## Verlorene Traditionen in der Black Box retten
       
       Herausgekommen ist ein Hybrid aus Jazzpianomotiven, funkigen
       Synthesizerklängen, Vocodergesang und vielschichtigem Rap. Der Band – neben
       Glasper an den Tasten, spielen ein Saxofonist, ein Bassist und ein Drummer
       –, gelingt es, sich graziös durch die verschiedenen Stile zu bewegen und
       dabei eine ganz eigene Soundsignatur zu schaffen.
       
       Der 33-jährige Glasper, Sohn einer Gospelsängerin, aus Texas stammend, hat
       in der US-Jazzszene bereits durch seine Trio-Alben überzeugt und sich
       zugleich als Leiter der Tourband des Rappers Mos Def sowie als Coproduzent
       auf Q-Tips Album „The Renaissance“ auch in HipHop-Gefilden bewiesen.
       
       „Unser Ziel war es, die verschiedenen Einflüsse zusammenzustricken. Alle
       Bandmitglieder haben schon an diversen Projekten zwischen HipHop, Soul und
       Jazz gearbeitet. Wir wollten ein Album machen, das all das reflektiert. Ich
       wusste nicht, wie es klingen würde. Nun hört es sich zum Glück so an, als
       wäre alles von einer Person produziert worden. Mittlerweile holen sich
       Künstler ja unzählige Produzenten für ein Album, was zuungunsten des Vibes
       geht. Alle meine Lieblingsalben wurden aber von einem Produzenten
       inszeniert, zum Beispiel ’Off the Wall‘ von Michael Jackson oder ’In
       Rainbows‘ von Radiohead.“
       
       Experimentierfreude offenbart sich auf „Black Radio“ vielleicht am
       deutlichsten in der Coverversion des Nirvana-Songs „Smells Like Teen
       Spirit“. Saxofonist Casey Benjamin mimt durch den Vocoder eine
       Roboterinkarnation von Kurt Cobain und transportiert, zusammen mit der
       aufregend dezenten Instrumentierung, die sich immer wieder selbst auflöst
       und dann wieder fängt, und dem sehr subtilen Bassdrum-Wirbel gekonnt die
       Ziellosigkeit, die das Feeling des Originals ausmacht.
       
       Am Piano steht Glasper weniger durch großzügige Solos im Mittelpunkt als
       vielmehr durch die Leitung des gesamten Projekts. Doch sind die übrigen
       Bandmitglieder und die vielen Sänger auf den insgesamt dreizehn Songs mehr
       als Gäste, eher Wegbegleiter des Künstlers. Dabei stellt Robert Glaspers
       Vision eine Schnittstelle für die autonomen Darbietungen aller Beteiligten
       her. Jede Kollaboration eröffnet eine neue Welt, die sich aber ebenso
       leicht ins Glasper-Universum fügt wie in das Einzelwerk des Partners.
       
       ## Erykah Badu unterhält sich mit einer Flöte
       
       Erykah Badu etwa eröffnet das Album nicht ihres Ruhmes wegen, sondern weil
       die Sängerin das Konzept der unbefangenen Jazzfusion mit Soul heute am
       eindringlichsten verkörpert. Mongo Santamarias Latinjazz-Klassiker „Afro
       Blue“, dessen sich schon John Coltrane, Lizz Wright und Diane Reeves
       annahmen, gleitet in Glaspers Interpretation über ein wunderschön
       programmiertes Drumset, das Anfang der Neunziger entstanden sein könnte.
       Badus spielerischer Gesang unterhält sich versweise mit einer Flöte, der
       immerzu dieselbe niedergehende Melodie antwortet. Als würde sie die Landung
       eines Raumschiffs verkünden, vielleicht die Ankunft auf dem erträumten
       Heimatplaneten „Afro Blue“?
       
       Tatsächlich schafft es The Robert Glasper Experiment, die verschiedenen
       Genres der afroamerikanischen Musik zu verschmelzen, ohne dass es zwanghaft
       klingt. Natürlich, es gab unzählige Projekte mit ähnlichem Anspruch, doch
       ist das Ergebnis meist ein HipHop-Album, das musikalisch irgendwie
       interessanter gemacht wird, oder umgekehrt, ein Jazzprojekt, auf dem ein
       bisschen gerappt wird.
       
       Auf „Black Radio“ eröffnen sich tatsächlich neue Horizonte. Hier bekommen
       HipHop, Soul und Jazz gleiche Gewichtung, ohne dass die Musik ins Ungefähre
       ausartet. Viele Arrangements sind so simpel gehalten, dass sie von jedem
       Hobbymusiker nachgespielt werden könnten.
       
       Glasper geht es jedoch um die Idee hinter der Sache, die gelungene
       Kombination der Einzelteile, den ausgeglichenen Vibe, der „Black Radio“
       schlüssig macht. Jedoch geht er damit auch das Wagnis ein, seinem
       Jazzpublikum nicht mehr gerecht zu werden. „Normalerweise, wenn ich zu
       Hause in New York bin, kann ich gut einschätzen, wie es den jazzcats so
       gefällt. Ich hänge viel in Clubs rum. Jamme und kriege mit, was die Leute
       so von meinen Sachen halten. Ob sie sagen, ’Uhh, aber das ist doch kein
       Jazz!‘, ist mir schnuppe. Ich will gute Musik machen, egal wie man sie am
       Ende nennt.“
       
       ## Sieben Minuten Ekstase
       
       Das Jazzige an „Black Radio“ ist vor allem die Vorrangstellung der
       Instrumentierung. Zwar wird auf jedem Song gesungen, doch folgen die Sänger
       vielmehr der Band als andersherum. Der Brückenschlag zum Rap erscheint hier
       nicht willkürlich und sehr natürlich. Zum einen ist da der raffinierte Lupe
       Fiasco mit den R&B-Star Bilal auf „Always Shine“, einem Lied, das genauso
       als straighter Rapsong funktioniert wie als smartes Jazzstück.
       
       Und dann natürlich das rhythmische Genie von Mos Def, hier unter dem neuen
       Pseudonym yasiin bey, der seinem Herzen folgend schon immer auf die Snare
       schlug. Der Titeltrack macht drei thematische Transformationen durch,
       yasiin beys Stimme hält locker mit, endlich scheinen auch seine
       Gesangsimprovisationen den letzten notwendigen Schliff erhalten zu haben.
       
       Den Höhepunkt des Albums markiert der Bonus-Song „Fever“, auf dem die
       französisch-marokkanische Sängerin Hindi Zahra und Glaspers Piano einander
       umtänzeln. Mit der Ausdruckskraft des Undramatischen erzählt das Stück von
       der Sehnsucht nach Ungewissheit. Was sehr klar und geordnet anfängt,
       wechselt – der Idee entsprechend – seine Richtung, Farbe, vermehrt sich,
       aber kann nicht dem starren Groove entfliehen, der die zahlreichen Stimm-
       und Klangschichten umklammert. Eine Ekstase von sieben Minuten.
       
       20 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fatma Aydemir
       
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