# taz.de -- Der Presserat kann sich nur wundern: Klammheimliche Korrektur
       
       > Wenn WK-Chefredakteurin Silke Hellwig über "Macht und Verantwortung der
       > Presse" spricht, bleibt die Transparenz außen vor. Sogar der Deutsche
       > Presserat wurde offenbar falsch informiert
       
 (IMG) Bild: Immobilienseiten: Was jetzt "Anzeige" ist, wurde bis vor kurzem als redaktioneller Aufmacher verkauft
       
       Silke Hellwig, seit sechs Monaten Chefredakteurin des Weser Kuriers, hatte
       einen denkbar schlechten Start. Sie regiere „auf Kosten von Transparenz,
       Information und sozialer Kompetenz und zum Preis von nicht
       nachvollziehbaren redaktionellen und personellen Entscheidungen“, schreibt
       der Betriebsrat in seinem Infoblatt. Und als wenn das nicht schon reichen
       würde, wirft der Presserat dem Blatt auch noch „Schleichwerbung“ vor.
       
       Überregionale Aufmerksamkeit erregte der Weser Kurier, Bremens lokale
       Quasi-Monopolzeitung, als 2009 bis 2011 Lars Haider als Chefredakteur neuen
       Schwung in das Zeitungshaus brachte. Der Weser Kurier sollte sich zur
       „Autorenzeitung“ mit deutlicher Schwerpunktsetzung auf lange Texte
       entwickeln, so sein Konzept, und gleichzeitig für Heimatgefühl bei seinen
       LeserInnen sorgen. Ob dieses Konzept bei einer älter werdenden Leserschaft
       aufgehen kann, muss offenbleiben – Haider wechselte nach zwei Jahren zum
       Abendblatt nach Hamburg.
       
       Als sich in Bremen das Gerücht verbreitete, dass Silke Hellwig die
       Haider-Nachfolgerin werden sollte, sorgte das für großes Erstaunen – war
       sie doch als Chefin des lokalen Fernsehmagazins „buten un binnen“ im März
       2010 abgesetzt worden. Über die Hintergründe kursierten jede Menge
       Geschichten und Gerüchte, ihre Freistellung trotz 5-Jahres-Vertrags
       dokumentierte erhebliche Zweifel an ihren Führungsqualitäten. Nach sechs
       Monaten Chefredaktion beim Weser Kurier scheint sie in dieser Hinsicht dort
       angekommen, wo sie bei „buten un binnen“ aufgehört hatte. Welches Konzept
       sie – insbesondere in der Nachfolge von Haider – für die Zeitung hat,
       darüber rätselt die Redaktion bis heute.
       
       Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hatte im Frühjahr über den neuen
       Führungsstil berichtet: „Aufforderungen zum gemeinsamen Gespräch werden von
       der Chefredakteurin rigoros abgelehnt“, und „Entscheidungen werden nicht
       erklärt und begründet, sie werden nur noch verkündet“.
       
       So wurde ein „Norddeutschland“-Buch eingeführt, eine alte Idee des
       Geschäftsführers und Vorstandsvorsitzenden Ulrich Hackmack, ohne dass ein
       Konzept dafür in der Redaktion diskutiert wurde. Das Ergebnis: Bremerhaven,
       Bremens „Schwesterstadt“, findet nun im „Norddeutschland“-Buch statt, und
       die Werder-Fans müssen ihre Zeitung von hinten aufschlagen, um die
       Sportseiten zu finden.
       
       Auch um die Unabhängigkeit fürchtet die Redaktion. Nach kritischen
       Berichten über die Bürgerparktombola wegen Lohndumpings „korrigierte“ der
       Weser Kurier das entstandene Bild mit Jubelmeldungen in Anzeigen, so
       berichtet der Betriebsrat. Der Hintergrund: Geschäftsführer Hackmack sitzt
       im Tombolavorstand und ist selbst seit Jahren heftiger Kritik wegen seiner
       Leiharbeitsstrategie ausgesetzt.
       
       Und dann flatterte im März eine offizielle Rüge des Presserates beim Weser
       Kurier ins Haus. Der Grund: Auf seinen Immobilienseiten würde so offen für
       bestimmte Objekte geworben, dass der Presserat dies als „Schleichwerbung“
       ansah und öffentlich rügte. Der Weser Kurier hatte dem Presserat vorher
       versichert, die Redaktion sei für diese Texte verantwortlich, die zudem im
       Leserinteresse stünden. Als Autorenkürzel stand zuletzt „wk“ vor den
       Texten. Der Weser Kurier veröffentlichte die Rüge nicht und änderte nichts
       an seiner Praxis – bis die taz berichtete, dass die Anzeigenabteilung diese
       Immobilientexte für 2.850 Euro anbietet. Zwei Wochen später stand über den
       Immobilientexten das Wort „Anzeige“.
       
       Beim Presserat ging allerdings keine Berichtigung der falschen Angabe ein.
       Der Betriebsrat beschrieb die interne Machtverteilung: Der Geschäftsführer
       habe nun „eine Chefredakteurin installiert, die seine Vorhaben vorbehaltlos
       unterstützt“.
       
       Vergangenen Freitag hatte die Weser Kurier-Chefredakteurin Silke Hellwig
       eine große Chance. Vor neutralen Publikum des Vereins „Bremen kommt“ hätte
       sie erklären können, was ihre Idee vom Weser Kurier ist und aus welchem
       Grunde sie dafür negative Schlagzeilen in Kauf nimmt.
       
       „Macht und Verantwortung der Presse“ war das Thema ihres Vortrages im
       Gerhard-Marcks-Haus. Wer erwartet hatte, dass sie hier erklären wird, wie
       sie mit den konzeptionellen Veränderungen ihres ehrgeizigen Vorgängers Lars
       Haider verfahren will, für welche internen Veränderungen sie den Vorwurf
       eines „Basta-Führungsstiles“ in Kauf nimmt, was sie vom
       Journalistik-Professor Michael Haller erwartet, der für viel Geld eine
       Leser-Befragung durchführen soll, der wurde enttäuscht: Kein Wort über den
       Auftrag an Haller, kein Wort über ihren Vorgänger Haider und über
       konzeptionelle Fragen nur so viel: Ihr sei es wichtig, dass man „unabhängig
       berichten kann und nicht von Anzeigenkunden unter Druck gesetzt wird“. Und:
       „Der klassische Journalismus ist mir wichtig, der richtig recherchiert, der
       neutral ist, der allen auf die Finger schaut.“ Kein Wort zu der Rüge des
       Presserates – und auf Nachfrage nur die Auskunft, dass dazu öffentlich
       nichts gesagt werde. Weser Kurier-intern übrigens auch nicht.
       
       „Entscheidungen ohne Sinn und Verstand“ schreibt der Betriebsrat der Bremer
       Tageszeitungen-AG (Bretag) auf einem Infoblatt über den internen Ärger. Und
       sieht im Hintergrund den Vorstands-Vorsitzenden und Geschäftsführer Ulrich
       Hackmack, der inzwischen für die Redaktion zuständig ist. Hackmack habe
       angekündigt, er wolle sich „da durchfressen“. Bisher sei Hackmack bei
       seinen Versuchen, Einfluss auf die Redaktion zu nehmen, oft an
       Chefredakteuren oder Ressortleitern gescheitert. „Nun aber ist der Weg
       frei“, heißt es wörtlich: Mit Silke Hellwig habe er „eine Chefredakteurin
       installiert, die seine Vorstellungen vorbehaltlos unterstützt“, und das
       „auf Kosten der redaktionellen Unabhängigkeit“.
       
       Welche Ziele mit der Absetzung des Ressortleiters Politik Jörg-Helge Wagner
       verfolgt werden, wird man erst später sehen. Im Hause des Weser Kuriers
       wurden Unterschriften für Wagner gesammelt – vergebens. Erklärungen, was
       der Neue anders machen soll, gibt es nicht.
       
       Ebenso wortkarg ist der Weser Kurier über die Rüge des Presserates
       hinweggegangen. Das sei „ein Fall, wie wir ihn noch nie erlebt haben“, sagt
       die Sprecherin des Presserates, Ursula Ernst: Offensichtlich hat Weser
       Kurier dem Presserat gegenüber unwahre Angaben gemacht. Nachdem der
       Presserat beim Weser Kurier nachgefragt hatte wegen einer Beschwerde, die
       im Dezember über die Texte der Rubrik „Immobile der Woche“ eingegangen war,
       hatte die Rechtsabteilung des Weser Kuriers mitgeteilt, die Auswahl dieser
       Texte, die samstags im Weser Kurier auf der Seite „Immobilien & Wohnen“
       erscheinen, „erfolge durch von der Zeitung beauftragte Redakteure. Die
       Veröffentlichungen seien im Interesse der Leser und würden auf
       Projektierungen in unterschiedlichen Stadtteilen hinweisen.
       Individualinteressen wirtschaftlich Beteiligter hätten auf die Auswahl
       keinen Einfluss.“
       
       Der Presserat beurteilte die Texte daraufhin als „Schleichwerbung“ und
       rügte den Weser Kurier am 16. März. „Wir hoffen, dass der Weser Kurier die
       Rüge veröffentlichen wird“, sagt ein Sprecher des Presserates, „das
       entspricht den Gepflogenheiten“.
       
       Am 4. April machte die taz öffentlich, dass die Anzeigenabteilung des Weser
       Kuriers diese Texte für 2.850 Euro verkauft – als Werbung. Seitdem
       erscheinen die Texte „Immobilien der Woche“ in einem anderen Schrifttyp und
       mit dem Zusatz „Anzeige“. Der Weser Kurier hat diese Änderung seiner
       Veröffentlichungspraxis dem Presserat mitgeteilt – ohne sich allerdings für
       die falschen Angaben aus dem Frühjahr zu entschuldigen.
       
       Ganz ausgestanden ist der Fall damit nicht: Beim Bremer Stadtamt liegt eine
       Anzeige vor gegen den Weser Kurier. Denn „ordnungswidrig handelt“, heißt es
       in Paragraph 22 des Bremer Pressegesetzes, wer „eine Veröffentlichung gegen
       Entgelt nicht als Anzeige kenntlich macht oder kenntlich machen lässt“.
       Solche Ordnungswidrigkeiten können „mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro
       geahndet werden“.
       
       22 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Wolschner
       
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