# taz.de -- Freelys Kulturgeschichte „Platon in Bagdad“: Es kam ein Stern aus Babylon
       
       > Mit „Platon in Bagdad“ hat der amerikanische Autor John Freely eine
       > aufregende Kulturgeschichte verfasst. Sie erzählt, wie das antike Wissen
       > nach Europa zurückkehrte.
       
 (IMG) Bild: Von heute aus ist schwer zu glauben, dass 60 Kilometer südlich von Bagdad, in Babylon, der Grundstein antiken Wissens gelegt worden ist.
       
       Einer der berühmtesten Astronomen in der Geschichte des Abendlandes war
       Regiomontanus. Er verließ 1467 Italien und ging zuerst nach Ungarn, wo er
       vier Jahre lang am Hof des Königs Mathias Corvinus seine Forschung auf dem
       Gebiet der Astronomie und Mathematik fortsetzte, bevor er später nach
       Nürnberg ging, wo er sich eine eigene Sternwarte und eine Druckerei
       einrichtete. Eines seiner wichtigsten wissenschaftlichen Werke waren die
       „Ephemeriden“, die ersten je gedruckten Planetentafeln, die die Positionen
       der Himmelskörper für jeden Tag zwischen 1475 und 1506 angaben.
       
       Ausgerechnet dieses Buch soll Columbus mit auf seine vierte und letzte
       Reise in die Neue Welt genommen haben, und die Vorhersage der
       Mondfinsternis vom 29. Febuar machte er sich zunutze, um die feindseligen
       Eingeborenen von Jamaika brutal in die Unterwerfung zu zwingen. Dies ist
       nur eine von vielen, interessanten Geschichten, die uns der Amerikaner John
       Freely in seinem wunderbaren Buch „Platon in Bagdad“ (Original „Alladins
       Lamp“) erzählt.
       
       In der Tat präsentiert uns der 1926 geborene Ex-Navy-Soldat des Zweiten
       Weltkriegs, der später Philosophie und Physik an der New York University
       und Geschichte in Oxford studierte, die aufregende Wanderroute, die die
       Wissenschaft über Jahrhunderte eingeschlagen hat, um ihren heutigen Stand
       zu erreichen. Für Freely hat alles in der Umgebung von Bagdad begonnen. Sei
       es im damaligen Mesopotamien, als es noch kein Bagdad, dafür aber Städte
       wie Babylon und Ur gab, oder danach, in der Zeit, als die Dynastie der
       Abbasiden über den Irak herrschte, eine Epoche die über 500 Jahre währte.
       
       Mit der Errichtung von Bagdad unter dem zweiten Abbasiden Kalifen Abu Jafr
       al-Mansur, der von 754 bis 775 regierte, als neuer Hauptstadt der
       arabischen-islamischen Welt, legten die Abbasiden den Grundstein für die
       spätere arabisch-islamische Renaissance. Laut dem Historiker al-Masùdi
       (gest. 956), auf den Freely sich mehrmals beruft, war al-Mansur „der erste
       Kalif, der Bücher aus einer fremden Sprache ins Arabische übersetzen ließ“.
       
       ## Von Bagdad aus in die arabisch-islamische Wissenschaft
       
       Darunter waren, so Freely, „Bücher von Aristotelis zur Logik und andere
       Bücher aus dem klassischen Griechisch, dem byzantinischen Griechisch,
       Pahlavi, Neupersisch und Syrisch“. Es genügt, zu wissen, dass einer der
       Astrologen, die am Hof des Kalifen tätig waren, Abu Salih ibn Nawbacht
       gewesen ist, dessen Schriften ins Lateinische übersetzt wurden und auf den
       Kopernikus sich Jahrhunderte später bezog.
       
       Im Haus der Weisheit Bait al-Hikma in Bagdad, einer Art Universität und
       Übersetzungszentrum, unterrichteten Wissenschaftler und Philosophen, die
       dem Abendland später durch Übersetzung ihrer Werke geläufig wurden. Gabir
       ibn Hayyan etwa, im Abendland genannt „Gabir der Weise“, gilt als Begründer
       der Alchemie. Oder Al-Chawarzmi, der für sein Buch „Kitab al-Dschabr
       wa‘l-Maqabala“ berühmt ist, bekannter unter dem einfacheren Titel Algebra,
       aus dem die Europäer später den danach benannten Zweig der Mathematik
       übernahmen. Oder Abu Yusuf ibn Ishaq al-Kindi (um 801-866), lateinisch
       Alkindus, der als Begründer der islamisch-arabisch Philosophie gilt und im
       Abendland „der Philosoph der Araber“ genannt wird.
       
       Bedeutende arabische Philosophen, wie der vorher erwähnte al- Kindi, oder
       der spätere Abu Nas al-Farabi (um 870 -950) haben sich an den alten
       Griechen orientiert. Al-Farabi, lateinisch Alpharabius, der der zweite
       aristotelische Wissenschaftler und Philosoph nach al-Kindi war ebenso stark
       von Platon beeinfluss. Er versuchte, platonische und aristotelische Ideen
       dort in Übereinstimmung zu bringen, wo sie sich widersprachen.
       
       Freely stellt uns eine Vielzahl von Wissenschaftlern und Philosophen der
       arabischen-islamischen Welt vor, die nur Dank einer großen, von Bagdad
       ausgehenden, Welle von Übersetzungen aus dem Griechischen ins Arabische
       zugänglich wurden. Wir erfahren, dass „die islamische Renaissance“ sich
       ostwärts nach Zentralasien und westwärts nach Nordafrika und auf die
       Iberische Halbinsel verbreitete. Die meisten frühen Vertreter dieser
       Renaissance waren in der Region zwischen Bagdad und Zentralasien tätig, wo
       die arabisch-islamische Wissenschaft, insbesondere die Astronomie, noch
       lange Zeit gedieh. In Damaskus, Kairo, Córdoba setzte sich fort, was in
       Bagdad anfing.
       
       ## Medikament auf der Basis von Opium
       
       Dort wirkte der Mediziner al-Razi (854-um 930), im Orient und Okzident als
       Arzt berühmt. Als er später das Krankenhaus der Stadt leitete, kamen die
       Studenten von weit her, um von ihm zu lernen. „Der arabischen Galan“ soll
       laut Freely 232 Werke verfasst haben, von denen die meisten verschollen
       sind. Zu den Substanzen seiner chemischen Experimenten gehörte „Naft“, das
       arabische Wort für das Öl, das heute die unverzichtbare Energiequelle für
       die Menschen darstellt.
       
       Der andere bedeutende Arzt war al-Magusi (925-994), lateinisch Haly Abbas.
       Er erkannte die Bedeutung der Psychotherapie für die Behandlung
       psychosomatischer Erkrankungen, Jahrhunderte bevor Sigmund Freud davon
       sprach. Der Mediziner und Philosoph Ibn Sina, im Abendland als Avicenna,
       „Fürst der Ärzte“, bekannt, kombinierte platonische mit aristotelischen
       Auffassungen. Seine Ideen prägten das abendländische Denken des 13.
       Jahrhunderts.
       
       Freely berichtet auch von der goldenen Zeit der Wissenschaft in Al-Andulus,
       in Córdoba. Hier lebten und forschten Astrologen und Mathematiker, wie
       Abbas ibn Firnas (gest. 887), der erste Flugversuche wagte. Mediziner oder
       Philosophen, wie al-Zahrawi (um 936 - um 1013), lateinisch Albucasis, der
       nicht nur durch sein gigantisches Werk, „Kitab al-Tasrif“, eine
       Medizinische Enzyklopädie in 30 Bänden, bekannt war, sondern weil er
       Pionier in der Anwendung von Medikamenten in der Psychotherapie gewesen
       ist. Unter anderem stellte er ein Medikament auf der Basis von Opium her.
       
       Córdoba war nach Bagdad Ausgangspunkt der Verbreitung der alten
       griechischen Schriften. Ihren Zenit erreichte die arabische Philosophie mit
       Ibn Ruschd, lateinisch Averroes (1126-1198), dessen philosophische
       Schriften sich in seine monumentalen Aristoteles-Kommentare und eigene
       Abhandlungen zur Philosophie teilen. Er war auch der erste Autor überhaupt,
       der die Diskriminierung der Frau beklagt, für ihn eines der gravierenden
       Probleme der muslimischen Gesellschaft.
       
       Das Wissen der griechischen Antike kam über Córdoba und Toledo nach Europa.
       Die ersten Universitäten des Abendlands verwendeten von dort kommende, aus
       dem Griechischen und Arabischen ins Lateinische übersetzte Werke. Darunter
       die Universität Bologna, im Jahre 1088 gegründet, gefolgt von den
       Universitäten Paris (1150), Oxford (1167), Salerno, Cambridge (1209),
       Salamanca (1218). Viele diese Werke landeten später auf dem Index. In der
       Zeit der Inquisition um 1616 erlebten die Schriften von Aristoteles, Kepler
       und Ibn Ruschd ihre ersten Verbote.
       
       ## Verbote hin – Verbote her
       
       „Absurd, philosophisch falsch und förmlich ketzerisch“, wie das Oberhaupt
       der katholischen Kirche, Papst Paul V., in seinem Dekret gegen solche
       Schriften schrieb. Galileo Galilei musste gerügt werden, weil er seine
       Theorien auf der Basis dieser Schriften entwickelte.
       
       Verbote hin. Verbote her. Das Wissen der alten Griechen war da. Und es
       gelang Platon, Hippokrates, Aristoteles, Herakleides, Heraklit, Pythagoras,
       Anaxogoras, Euklid, Galen, Ptolemaio oder Archimedes einzig und allein über
       Byzanz und den Islam ins Abendland zu kommen, denn von früheren
       Übersetzungen gibt es kein Spur.
       
       Eine Frage stellt sich aber immer noch: Woher hatten die alten Griechen Ihr
       Wissen? Um sie zu beantworten, führt Freely uns nach Mesopotamien. Die
       Handelswege führten nach Milet, zu einer Insel, auf der Freely den Beginn
       der griechischen Antike vermutet, und von dort nach Mesopotamien, wo die
       Griechen vermutlich das astronomische Wissen erwarben, das sie für
       Navigation und Zeitmessung brauchten. Aus Mesopotamien brachten sie den
       Gnomon, den Schattenzeiger, mit.
       
       „Denn die Sonnenuhr mit ihrem Zeiger und die Einleitung des Tages in zwölf
       Stunden haben die Griechen von den Babyloniern übernommen“, heißt es bei
       Herodot. Die Griechen übernahmen von den Babyloniern auch das griechische
       Wort für Stern, aster, das sich von Ischtar, der babylonischen
       Fruchtbarkeitsgöttin, ableitet.
       
       Von heute aus ist schwer zu glauben, dass 60 Kilometer südlich von Bagdad,
       in Babylon, der Grundstein für dieses Wissen gelegt worden ist. Eine der
       antiken Städte, über die die Handelswege liefen, war Harran. Von Harran kam
       das Wissen aus Mesopotamien und über Harran machte die griechische Antike
       ihren Weg ins Bagdad der Abbasiden-Dynastie.
       
       John Freely zeigt uns mit Leidenschaft, dass Kulturen nur durch den
       kulturellen Austausch mit anderen aufblühen. Isolation bedeutete immer
       schon den sicheren Tod.
       
       24 Apr 2012
       
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