# taz.de -- Genozid an Armeniern: Grabsteine des Anstoßes
       
       > Berlins größte Moschee erinnert mit erneuerten Grabsteinen an Drahtzieher
       > des Völkermords an den Armeniern. Armenier protestieren gegen den
       > „Täterkult“.
       
 (IMG) Bild: Kein Wort über die Verbrechen der Toten: Die Grabsteine in Berlin.
       
       BERLIN taz | Zwei Dutzend Aktivisten haben sich am Dienstag gegenüber dem
       Haupteingang der größten Berliner Moschee, der Sehitlik-Moschee im Bezirk
       Neukölln, zu einer Mahnwache versammelt. „Ich stehe hier, weil ich
       Armenierin bin“, sagt eine Demonstrantin. „Ich möchte meinen türkischen
       Mitbürgern die Chance geben, von diesem Völkermord zu erfahren.“ Auf einem
       Plakat steht: „Völkermord anerkennen“, „Sie verdienen keine Verehrung“ auf
       einem anderen.
       
       Der Stein des Anstoßes befindet sich auf dem islamischen Friedhof, der zu
       der Moschee gehört. Dort liegen zwei jungtürkische Politiker begraben,
       Behaeddin Shakir Bey und Jemal Azmi. Nicht nur Historiker machen die beiden
       für Massenmorde an Armeniern im Ersten Weltkrieg verantwortlich: Ein
       osmanisches Kriegsgericht in Istanbul verurteilte sie deshalb 1919 in
       Abwesenheit zum Tode, doch die Briten ließen sie frei; beide wurden im
       April 1922 in Berlin von armenischen Rächern erschossen.
       
       Hier, zwischen verwitterten Grabstelen aus alten Zeiten, lagen ihre Gräber
       schon immer. Doch erst im vergangenen Jahr wurden sie aufwendig erneuert.
       Seither prangt auf zwei Marmorsteinen die Inschrift: „Von armenischen
       Terroristen ermordet.“ Über die Verbrechen, die den beiden angelastet
       werden, findet sich dagegen kein Wort.
       
       Bei der Sehitlik-Moscheegemeinde mag man darin kein Problem sehen. „Die
       Gräber wurden bewusst erneuert, um zu zeigen, dass es in dieser Zeit auf
       beiden Seiten Massaker und auch unzählige muslimische Opfer gab, was gerne
       vergessen wird“, sagt Ender Cetin, der Vorsitzende der Ditib-Moschee.
       
       ## „Tragödie, bei der auf allen Seiten viele Menschen gestorben sind“
       
       Erst vor einer Woche lud der Atatürk-Gedenkverein Berlin-Brandenburg (ADD)
       sogar zu einer Veranstaltung in die Moschee, um des 90. Todestags der
       beiden ermordeten Politiker zu gedenken. Olcay Basegmez, der Vorsitzende
       des linksnationalistischen Vereins, verteidigt diesen Schritt: Er möchte
       die beiden Politiker nicht als Kriegsverbrecher, sondern als Opfer der
       Geschichte und feindseliger imperialistischer Mächte sehen. Statt von
       gezielten Massakern an Armeniern spricht er lieber von „einer Tragödie, bei
       der auf allen Seiten viele Menschen gestorben sind“. Damit liegt er ganz
       auf der Linie der Genozidleugner in der Türkei, die vor allem das Leid
       muslimischer Opfer betonen.
       
       Tessa Hofmann von der Arbeitsgruppe Anerkennung (AGA), die den Protest vor
       der Moschee initiiert hat, hält das für einen Skandal. „Wir erwarten von
       Klaus Wowereit, dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, und Heinz
       Buschkowsky, dem Bürgermeister von Neukölln, dass sie sich diesem Täterkult
       stellen. Das Thema gehört auch auf den Lehrplan der Schulen“, fordert
       Hofmann.
       
       Auf der anderen Seite der vielbefahrenen Straße nehmen derweil nur wenige
       Moscheebesucher Notiz von der Mahnwache oder kommen herüber, um sich ein
       Flugblatt zu nehmen. „Jeder hat das Recht, zu demonstrieren“, sagt ein
       junger Mann vor der Moschee, „aber warum gerade heute, wo es hier zwei
       Beerdigungen gibt?“ Über den Völkermord an den Armeniern wisse er nicht
       viel, fährt der 28-Jährige fort. „Aber aus den Erzählungen meiner Familie
       kann ich mir nicht vorstellen, dass unsere Soldaten systematisch gemordet
       haben.“
       
       24 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) J. Kalarickal
 (DIR) D. Bax
       
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