# taz.de -- Rehabilitation der Hexen: Erst erdrosselt, dann verbrannt
       
       > Walpurgisnacht, die Hexen tanzen? In Köln tagt ein Ausschuss zur
       > Rehabilitation von Opfern der Hexenverfolgung. Nur der Erzbischof will
       > sich nicht entschuldigen.
       
 (IMG) Bild: Hex, hex – oder nur der Neid auf Frauen in Männerdomänen?
       
       Wäre eine Frau namens Katharina Henot vor 400 Jahren nicht auf dem
       Scheiterhaufen gelandet, Familie Hirtz könnte heute berühmt sein, sie
       könnte gar ein bekanntes Adelsgeschlecht sein wie die von Thurn und Taxis –
       wer weiß das schon?
       
       „Dann würden wir in einem Schloss leben, meine Frau hieße Gloria und würde
       Partys geben“, sagt Hirtz und lacht ein listiges Lachen. Der Mann ist fast
       achtzig und führt ein Familienunternehmen, das medizintechnische Geräte
       herstellt.
       
       Was die Hexenverfolgung mit seiner Familie und nebenbei auch mit den Thurn
       und Taxis zu tun hat, das erzählt der alte Herr in den Räumen seiner Firma
       in der Kölner Südstadt. Das ganz in Brauntönen gehaltene Interieur samt
       verklinkerten Wänden und bauchigen Lampen stammt aus den sechziger Jahren,
       sogar die Mülleimer auf der Toilette sind original. In diese Kulisse fügen
       sich Hirtz und seine Familie ein – Ehefrau, Tochter und Enkelsohn, alle
       arbeiten hier. In letzter Zeit wurde in der Stadt oft über sie geredet,
       geschrieben. Weil sie von einer Hexe abstammen.
       
       Hanns-Joachim Hirtz ist Nachfahre von Katharina Henot in der 16.
       Generation. Seine Ahnin war eine Patrizierin, deren Vater Jakob die
       kaiserliche Postmeisterei betrieb. Die kaiserliche Lizenz war praktisch
       eine Garantie auf großen Reichtum. Indem sie Reisenden Pferde und Kutschen
       zur Verfügung stellten und ein Gasthaus führten, konnten Postmeister
       finanziell zweifach profitieren.
       
       Neider ließen darum nicht lange auf sich warten – und unter den
       Persönlichkeiten, die ein Auge auf die kölnische Postmeisterei geworfen
       hatten, befand sich auch ein gewisser Graf Leonhard von Taxis. Katharina
       und ihr Bruder Hartger, der Domherr zu Köln war, wussten um ihre heikle
       Lage, und als der Vater starb, behielten sie dies tunlichst für sich. Sie
       versteckten seine Leiche außerhalb der Stadt, um so lange wie möglich ihre
       Lizenz zu behalten.
       
       Geholfen hat es nicht. Bald kamen Gerüchte auf, Katharina habe einer Nonne
       unkeusche Gedanken eingeflößt und sei außerdem für eine Raupenplage
       verantwortlich. War Gerede dieser Art – zu Zeiten, als die Existenz von
       Hexen kirchlichen Segen genoss – einmal in der Welt, war der Fortgang der
       Dinge meist unumkehrbar. Selbst der Bruder, der ein hohes geistliches Amt
       bekleidete, war machtlos.
       
       Katharina Henot wurde der Hexerei angeklagt, gefoltert und auf Beschluss
       des Kölner Stadtrats am 19. Mai 1627 zunächst erdrosselt und dann
       verbrannt. „Sie war reich und mischte sich in eine Männerdomäne ein, das
       war für gewisse Menschen nicht gut zu ertragen“, sagt Hirtz. Kurz nach
       Katharinas Tod gehörte die Postmeisterei Leonhard II. von Taxis.
       
       ## Rehabilitation der Katharina Henot
       
       Knapp vierhundert Jahre später tagen Mitglieder des Kölner Stadtrates,
       jenes Gremiums, das einst das Urteil verhängte. In einem mintgrün
       gestrichenen Saal des Kölner Rathauses befindet der „Ausschuss für
       Anregungen und Beschwerden“ zwischen himbeerroten Säulen über Punkt 3.4 der
       Tagesordnung: „Rehabilitation der Katharina Henot und anderer Opfer der
       Hexenprozesse in Köln“.
       
       Neben Hanns-Joachim Hirtz, dem Hexennachfahren, meldet sich ein drahtiger,
       weißhaariger Mann zu Wort: Hartmut Hegeler, evangelischer Pfarrer und
       Religionslehrer im Ruhestand. „Es ist unsere moralische Pflicht, dass wir
       für das Schicksal von Menschen eintreten, die unschuldig verfolgt wurden.
       Wir müssen die Menschen sensibilisieren, weil auch heute noch viele unter
       Ausgrenzung leiden.“
       
       Bei seinen Predigten schlafen Gläubige wohl nur selten ein; im Rathaus
       jedenfalls verfehlen seine feierlichen Worte ihre Wirkung nicht. Der
       Beschluss des Ausschusses fällt einstimmig. Er verurteilt die „seinerzeit
       zu Unrecht vollstreckten Hinrichtungen“ und „bittet darüber hinaus, eine
       Überweisung an den Rat der Stadt Köln zu prüfen, damit dieser sich in einer
       offiziellen Erklärung von dem begangenen Unrecht distanzieren und der Ehre
       und Würde der verurteilten Personen Gerechtigkeit widerfahren lassen kann“.
       
       Der Ausschuss tagte vor zehn Wochen. Seither prüft das Kölner Amt für
       Rechtsfragen „die Rechtsproblematik“, wie eine Pressereferentin sagt.
       Welche Rechtsproblematik? „Ob das mit der offiziellen Erklärung rechtlich
       so geht.“
       
       ## Nationaler Hexenbeauftragter
       
       Pfarrer Hegeler ist zu einer Art nationalem Hexenbeauftragten geworden. Ihm
       ist es zu verdanken, dass das öffentliche Bedauern von Hexenprozessen und
       die „sozial-ethische Rehabilitierung“ der Opfer in den letzten Jahren
       regelrecht in Mode gekommen ist. Köln wird – sofern die Rechtsproblematik
       denn lösbar ist – die 14. Kommune sein, die sich für ihre mehrere hundert
       Jahre zurückliegenden Schandtaten entschuldigen wird. Den Anfang machte das
       nordhessische Eschwege, bald könnten Minden, Münster und Wiesbaden dran
       sein, letztere Stadt übrigens auf Antrag der Piratenpartei.
       
       Seine Schülerinnen waren es, die Hegeler zu den Hexen brachten. Weil sie
       immer nach der Geschichte der Hexenverfolgung fragten, begann er –
       widerwillig zwar – sich einzulesen. Zunächst überraschten ihn die
       Ergebnisse aktueller Forschung, die mit einigen Mythen aufräumte. „Es war
       nicht die katholische Inquisition, die Jagd auf Hexen machte. In
       evangelisch geprägten Gebieten gab es das eigentlich genauso. Die meisten
       Urteile wurden darüber hinaus von weltlichen Gerichten verhängt“, erzählt
       Hegeler.
       
       ## Auch männliche Hexen
       
       Und so geht es weiter: Nicht nur Frauen ging es an den Kragen; die „Hexen“
       seien zu einem Drittel männlich gewesen. Zudem waren sie oftmals Zugezogene
       – wie übrigens auch Katharina Henot, deren Eltern aus den spanischen
       Niederlanden nach Köln kamen. Und dann ist da noch die Eiszeit-Theorie: Die
       heftigsten Wellen der Hexenverfolgung fielen mit besonders kalten
       Zeitabschnitten zusammen. In den nasskalten Sommern verfaulte die Ernte,
       was zu sozialen Spannungen und zur Suche nach Sündenböcken führte.
       
       Für die Rehabilitation der Katharina Henot hat Hegeler über ein halbes Jahr
       gekämpft. Auf der Suche nach Mitstreitern fand er schnell eine Reihe von
       Nachfahren. Unterstützung bekam er auch vom Kölner Frauengeschichtsverein,
       der seit Jahren Führungen zur Geschichte der Hexenverfolgung in der Stadt
       anbietet, sowie der Gruppe Bläck Fööss, die Katharina Henot ein Lied
       gewidmet hat:
       
       Salve Katharina in memoriam
       
       Du bes für uns die Königin
       
       Salve, salve Regina Katharina
       
       Do läävs en unserm Hätze dren. – Du lebst in unserm Herzen drin.
       
       Katharina Henot war also schon vor dem Antrag zu lokalen Ehren gekommen –
       eine Straße und eine Schule sind zudem nach ihr benannt, und am Rathausturm
       ist sie mit einer Figur verewigt, die eine weitere Hexennachfahrin, die
       Bildhauerin Marianne Lüdicke, gemacht hat. Kürzlich ließ auch Wolfgang
       Niedecken, Sänger der Kölschrock-Band BAP, die Öffentlichkeit wissen ließ,
       dass er von einer Hexe abstammt. In dieser von Folklore und Bekenntniseifer
       geprägten Stimmung konnte Hartmut Hegeler nur Erfolg haben.
       
       ## Meist alte Frauen
       
       „Man denkt, die Opfer seien junge und schöne Frauen gewesen, deshalb übt
       das Thema solche Faszination aus. Vor allem auf die Frauenbewegung“, sagt
       Irene Franken vom Kölner Frauengeschichtsverein. „Eigentlich waren es aber
       meist arme, alte Frauen, Witwen.“ Katharina, die der Oberschicht
       entstammte, sei ein untypischer Fall gewesen. „Sie war nicht nur das
       unschuldige Opfer, sondern auch eine nach Macht strebende Kapitalistin.“
       
       Hanns-Joachim Hirtz jedenfalls bereitet es Freude, über seine berühmte
       Vorfahrin zu sprechen. Seine Abstammung ließ er sich urkundlich bestätigen.
       Das kann man als obskuren Ahnenkult abtun, doch in diesem Fall kann die
       Herkunft tatsächlich von Bedeutung sein. Es gibt da nämlich doch etwas, was
       von der Henot’schen Post übrig geblieben ist: Katharinas Bruder, der
       Domherr Hartger, flüchtete nach ihrem Tod nach Salamanca und gründete vom
       Familienvermögen einen Fonds zur Studienförderung seiner Erben.
       
       Diese Stiftung Henot besteht als Teil des Kölner Gymnasial- und
       Stiftungsfonds noch heute; urkundlich bestätigte Nachfahren können daraus
       einen Zuschuss zum Studium bekommen. Letztendlich glaubt Hirtz aber, dass
       der Stadtrat sich gerne auch mit aktuelleren Problemen beschäftigen dürfte,
       wovon es in Köln durchaus genug gebe.
       
       ## Erzbischof bedauert nichts
       
       In den Reigen der Mundartbands und öffentlich vorgebrachten Bitten um
       Entschuldigung hat sich übrigens nur einer nicht eingereiht: der Kölner
       Erzbischof. Hegeler hatte seine Petition auch an Kardinal Meisner
       geschickt, der jedoch keineswegs sein Bedauern über den historischen
       Vorfall ausdrückte.
       
       Stattdessen ließ er seinen Generalvikar antworten: „Wir als Christen dürfen
       in dem Glauben an Gott als ewigen Richter darauf vertrauen, dass er selbst
       einst alle irdischen Ungerechtigkeiten und Unvollkommenheiten heilen wird.“
       
       28 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Meyer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hexenverfolgung
 (DIR) Reiseland Belgien
       
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