# taz.de -- Niedergang von Sat.1: Der Konservenkanal
       
       > Mit dem Ende der „Harald Schmidt Show“ am Donnerstag verliert der
       > Privatsender-Pionier Sat.1 weiter an Bedeutung. Chronik eines
       > Niedergangs.
       
 (IMG) Bild: Wenn die Kuh mal keine Milch mehr gibt, wird sie verkauft oder abgeschrieben. Die Kuh auf diesem Foto ist Harald Schmidt.
       
       Die Mitarbeiterin der Tickethotline antwortet mit freundlichem Bedauern in
       der Stimme. Alle Karten für die drei finalen Sendungen seien längst
       vergriffen. Am Donnerstag gehen die Lichter aus im Kölner Studio 449.
       Gerade mal ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr von der ARD ist für Harald
       Schmidt bei Sat.1 schon wieder Schluss.
       
       Es hat nicht funktioniert, heißt es beim Sender. Gute Show, schlechte
       Quoten. In der Zentrale in Unterföhring vor den Toren Münchens haben sie
       Routine im Umgang mit schlechten Nachrichten. „Powered by emotion“ ist
       lange her. Die Luft ist raus.
       
       Früher war der erste deutsche Privatsender mal innovativ und mutig: „ran“
       entstaubte die Bundesliga-Berichterstattung, die „Harald Schmidt Show“
       wurde zum Feuilletonliebling, „Der Bulle von Tölz“ war ein Zuschauermagnet.
       „Schreinemakers Live“ holte Zuschauerzahlen im zweistelligen
       Millionenbereich. Aber das ist fast 20 Jahre her. Es muss einem nicht alles
       gefallen, was früher bei Sat.1 lief. Aber der Sender hatte
       Aushängeschilder, Markenzeichen. Es ist nicht leicht zu beantworten, wofür
       Sat.1 heute noch steht.
       
       ## Happy End und Erlösung
       
       Der aktuelle Geschäftsführer Joachim Kosack hat für den Versuch einer
       Erklärung keine Zeit. Das ist nicht tragisch, wenn man liest, was er
       kürzlich dem Spiegel über seine Pläne sagte: „Nach der Sendung soll es dem
       Zuschauer immer ein bisschen besser gehen.“ Es gehe um Happy End und
       Erlösung. Innovation klingt anders. Kosack ist seit Oktober im Amt. Setzt
       sich die durchschnittliche Verweildauer auf diesem Posten in seinem Fall
       fort, wird er in etwa einem Jahr gefeuert. Allein in den vergangenen zehn
       Jahren hatte Sat.1 sieben Geschäftsführer. Branchenprimus RTL kommt auf
       vier – in 28 Jahren.
       
       Offiziell äußern sie sich bei Sat.1 fast schon hysterisch optimistisch zu
       ihrem Programm: super Quoten, super Formate, super Sender. Vielleicht lässt
       sich nur so der Job noch machen. Tatsächlich haben Sat.1-Chef Kosack und
       seine Mitarbeiter nicht weniger zu tun, als den Sender vor dem endgültigen
       Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit zu bewahren.
       
       In Imagestudien kommt Sat.1 beim Zuschauer auf teils verheerende Werte. Das
       Fernsehen ist ein altes Medium, sein ergrautes Publikum fordert
       Verlässlichkeit. Die Panik, mit der sie bei Sat.1 reagieren, wenn ein neues
       Format nicht auf Anhieb funktioniert, ist Gift für die Akzeptanz beim
       Zuschauer. Von der Qualität billiger Formate wie „Lenßen und Partner“ ganz
       zu schweigen.
       
       ## Seht her, wir leben noch!
       
       Ein Loch hatten sie sich in den Bauch gefreut, als sie im Herbst 2010
       Schmidts Verpflichtung bekannt gaben. Nicht nur wegen des vermeintlichen
       Coups, sondern auch, weil er nicht vorher publik geworden war. Solche
       Paukenschläge tun ihnen gut: Seht her, wir leben noch!
       
       Schmidt war ein Puzzleteil, das dem Sender zu einem neuen Image verhelfen
       sollte, genau wie Johannes B. Kerner und Oliver Pocher, die der damalige
       Geschäftsführer Guido Bolten von ZDF und ARD geholt hatte. Deren Sendungen
       sind längst abgesetzt, der Vertrag mit Pocher ist aufgelöst. Ebenso der von
       Bolten. Und auch der seines Nachfolgers Andreas Bartl, zuständig für
       Schmidts Einkauf.
       
       Die aufgeregten Wechsel in der Führung haben desaströse Folgen für die
       Programmentwicklung, sie verhindern langfristige Konzepte. Jeder
       Geschäftsführer setzt eigene Schwerpunkte, er stellt sich ein Team
       zusammen, dem er die Verantwortung für das Produkt anvertraut.
       
       Das Verantwortungsgefühl indes hat irreparablen Schaden genommen, als Sat.1
       2009 unter Bolten von Berlin nach Unterföhring zog. Nur ein Bruchteil der
       Mitarbeiter ging mit. Was bei den kleinen Angestellten ein erwartbarer
       Nebeneffekt war, ließ den Mutterkonzern ProSiebenSat.1 Media AG auf
       höchster Ebene erbeben: Auch 90 Prozent des Managements verweigerten die
       Gefolgschaft. Viele glaubten nicht an die Zukunft des Senders. Ganze
       Abteilungen kamen dadurch abhanden.
       
       ## Neue Stadt, neue Strukturen
       
       Der Konzern änderte mit dem Umzug auch die Strukturen. Waren die
       Mitarbeiter zuvor für einzelne Sender aus der Gruppe zuständig, zu der
       neben ProSieben auch Kabel Eins gehört, betreuen sie seitdem
       senderübergreifend Sparten wie Sport oder Fiction. Diese sogenannte Matrix
       habe die emotionale Identifikation gekostet, sagt ein Fernsehmanager. An
       ihre Stelle setzte sich eine diffuse Gleichgültigkeit: Wenn das Format
       nicht funktioniert – egal, kommt danach halt ein neues.
       
       Bolten versuchte Sat.1 mit den prominenten Zukäufen einen positiven
       Anstrich zu geben. Es war ein Scheitern mit Ansage. Pochers Sendeplatz
       wechselte, es gab Umbauten im Studio, die Band wurde gestrichen, der
       Produzent ausgetauscht. Kerner wurde von Montag auf Donnerstag verlegt,
       Korrekturen am Format folgten. Und es ist ohnehin schwer vorstellbar, dass
       sie bei Sat.1 glaubten, mit Harald Schmidt den Quotenkrieg zu gewinnen. Auf
       einen Fernsehzuschauer, dem an Kontinuität und Verlässlichkeit gelegen ist,
       muss Sat.1 jedenfalls wirken wie ein Orientierungsloser auf Speed.
       
       Besonders mit Kerner verknüpften sie die Hoffnung auf ein neues
       Sendergesicht, die Rückkehr zu einer Marke. Doch sein Talk „Kerner“ verkam
       zu einem müden Mix an Servicethemen. Die Sendung wurde im vergangenen
       Winter nach zwei Jahren eingestellt. Auch mit der Champions League, die
       Kerner moderiert, ist bald Schluss. Ab der kommenden Saison überträgt das
       ZDF, Kerners früherer Arbeitgeber. Ausgerechnet.
       
       Kerner möchte sich zu alldem nicht äußern, seine Assistentin bittet um
       Verständnis. Auch bei Sat.1 hält man sich bedeckt, was die künftige
       Zusammenarbeit angeht. „Zu Vertragsinhalten äußern wir uns wie gewohnt
       nicht“, sagt Sat.1-Sprecherin Diana Schardt. Man sei mit Kerner aber „nach
       wie vor in Gesprächen über neue Showformate“. Das haben sie auch nach dem
       Aus der „Oliver Pocher Show“ gesagt – kurz vor der Vertragsauflösung.
       
       ## Hoffnung auf den Paukenschlag
       
       Vor einigen Tagen hatten sie gehofft, mal wieder für einen Paukenschlag
       sorgen zu können. Sat.1 hatte für die Übertragungsrechte der
       Fußball-Bundesliga ab der Saison 2013/14 mitgeboten. Für welches Paket,
       bleibt geheim. Als andere den Zuschlag erhielten, sagten sie bei Sat.1 ein
       bisschen beleidigt, sie hätten „ein betriebswirtschaftlich vernünftiges
       Angebot abgegeben“. Als isolierte Maßnahme aber hätte der Einkauf der
       Bundesliga die Probleme des Senders sowieso nicht behoben. Die liegen
       tiefer und haben dort Wurzeln geschlagen.
       
       Und trotzdem ist nicht alles schlecht im Sat.1-Programm: „Danni Lowinski“,
       „Der letzte Bulle“, „Pastewka“, „Ladykracher“ und „Knallerfrauen“ sind
       originelle Formate – von denen es aber jedes Jahr nur acht oder zehn neue
       Folgen gibt. Danach folgen Wiederholungen in Dauerschleife, Sat.1 ist zu
       einem Konservenkanal verkommen: Wiederholungen, die längst abgeschrieben
       sind, verursachen keine Kosten. Da wird Programmvielfalt schnell
       zweitrangig.
       
       Für die werktägliche Daytime billig produzierte Scripted-Reality-Formate
       werden seit Jahren zusätzlich am Wochenende ausgestrahlt. Die Folge: Das
       Programm sieht immer gleich aus. Ödnis, sieben Tage die Woche.
       
       ## Vor dem Quotendesaster
       
       Diesen Sommer laufen Olympia und die Fußball-EM bei ARD und ZDF, beide
       Turniere in deutscher Zeitzone. Das wird alle Sender Marktanteile kosten.
       Bei Sat.1 drohen die nächsten Monate aber ein elementares Problem zu
       offenbaren: Schon jetzt kratzt der Senderschnitt an einstelligen
       Marktanteilen bei der werberelevanten Zielgruppe. Wenige erfolgreiche
       Sendungen hieven ihn mühsam auf zweistellige Werte – noch. Der Sommer
       könnte ein Desaster werden, von dem sich Sat.1 nicht mehr erholt.
       
       Das dürfte auch die Eigentümer beunruhigen, die Sat.1 ohne Rücksicht auf
       Verluste zum profitabelsten Sender im Konzern machen. Der gehört den
       Finanzinvestoren Permira und KKR. Denen geht es nicht um Investitionen und
       Qualität, sondern um Gewinnmaximierung. Da wird Kaputtsparen schnell Teil
       der Strategie.
       
       Sat.1 ist eine Kuh zum Melken, da ist es egal, dass sie keine Seele mehr
       hat. Wenn die Kuh mal keine Milch mehr gibt, wird sie verkauft oder
       abgeschrieben. Langfristige Schäden müssen die Gesellschafter nicht
       ausbaden.
       
       ## Angespanntes Verhältnis
       
       Den Kostendruck spüren auch Auftragnehmer des Senders. Von Produzentenseite
       ist zu hören, dass das Verhältnis zu Sat.1 angespannt ist. Von Dailys
       würden bis zu 50 Prozent weniger Folgen bestellt als üblich. Entscheidungen
       fielen beim Sender nicht mehr programmorientiert, sondern aus
       betriebswirtschaftlicher Sicht, um jeden Euro werde gefeilscht. Irgendwann
       schlage sich das natürlich in der Qualität der Produktionen nieder.
       
       Sat.1 war immer eine treibende Kraft für die deutsche
       Produktionswirtschaft. Die ist inzwischen besorgt, dass ihr wichtigster
       Auftraggeber wegbricht.
       
       In der Branche ist von einem Grundsatzjahr für den Sender die Rede.
       Kurzfristige Besserungen sind nicht zu erwarten. Ein Jahr gilt als Minimum,
       bis Programmreformen greifen. Und die erforderten viel Geld, Zeit und
       Rückgrat, sagt jemand, der den Sender gut kennt. Das würde die Umkehrung
       dessen verlangen, wofür Permira und KKR stehen. Es wird schwer mit Kosacks
       erhofftem Happy End. Er kann eigentlich nur auf seine baldige Erlösung
       hoffen.
       
       3 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Torsten Landsberg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Harald Schmidt
 (DIR) Nürtingen
       
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