# taz.de -- Landtagswahl Schleswig-Holstein: Unendliche Weiden
       
       > Sylt, Schafe, Raps, Windräder - und sonst so? Eine Navigationshilfe für
       > das kleine Bundesland oben links auf der Landkarte, das am Sonntag wählt.
       
 (IMG) Bild: Was für ein Land ist Schleswig-Holstein? Pferde und Windräder gibt es dort auch.
       
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       Wenn in Schleswig-Holstein nicht gerade gewählt wird, bestimmt das
       nördlichste Bundesland selten den Takt der bundesdeutschen Politik – wie
       die jeweilige Opposition der jeweiligen Regierung gern vorwirft, vor allem,
       wenn Land und Bund von denselben Parteien regiert werden, wie zur Zeit.
       
       Aber für ihr Leichtgewicht kann die Politik nicht so richtig was.
       Schleswig-Holstein ist das zweitkleinste Flächenland, finanziell klamm und
       vergleichsweise dünn besiedelt – 2,8 Millionen Menschen auf 15.800
       Quadratkilometern lassen Platz für unendliche Weiden.
       
       Wenn mal was los ist, wird das außerhalb des Landes kaum wahrgenommen. So
       geht es dem großen Verkehrsprojekt am Fehmarnbelt. Noch kreuzen Fähren die
       Meerenge zwischen der deutschen Insel Fehmarn und der dänischen Insel
       Lolland. Geplant ist eine feste Querung – zurzeit ist ein Tunnel das
       favorisierte Modell. Von der Dimension birgt Fehmarn das Potenzial eines
       Stuttgarter Bahnhofs hoch zehn, nur gemerkt hat das noch keiner.
       
       Für Aufmerksamkeit sorgt Schleswig-Holstein eher mit Randthemen, aktuell
       mit dem Alleingang beim Glücksspiel. Seit März können Anbieter von
       Online-Sportwetten oder Poker Lizenzen kaufen und damit erstmals legal in
       Deutschland auftreten. Effektiv war der Protest aus Schleswig-Holstein
       gegen die unterirdische Speicherung von CO2. Eine Besonderheit prägt die
       Landespolitik:
       
       Seit 1947 ist die Partei der Dänen und Friesen, der Südschleswigsche
       Wählerverband (SSW), im Parlament vertreten. Sie ist nicht an die
       Fünfprozenthürde gebunden. Von 1971 bis 1996 saß Karl Otto Meyer als
       einziger SSW-Vertreter im Kieler Landtag, zurzeit sind vier Abgeordnete
       dabei. Nach der Wahl im Mai könnte die Partei erstmals mitregieren.
       
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       Zum Ausgleich der Themenflaute schwappen die Skandalwellen umso höher. Die
       Höhepunkte waren die Barschel-Affäre und der „Heide-Mörder“: Ein immer noch
       unbekannter Abgeordneter – mutmaßlich aus der SPD-Fraktion – verweigerte
       Heide Simonis vier Mal seine Stimme und vereitelte damit ihre Wahl zur
       Ministerpräsidentin.
       
       Im Sommer 2009 beendete der damalige und heutige Regierungschef Peter Harry
       Carstensen (CDU) die Koalition mit der SPD durch eine fingierte
       Vertrauensfrage. Die klare Mehrheit von CDU und FDP im Landtag schrumpfte
       auf eine Stimme zusammen, als ein nicht mitgezählter Packen Stimmzettel von
       Linken-Wählern auftauchte. Und sogar die verbliebene Mehrheit von einer
       Stimme ist laut Verfassungsgericht unrechtmäßig, daher muss jetzt vorzeitig
       neu gewählt werden.
       
       Auch das politische Personal hat es in sich: Seit Jahrzehnten spielt
       Wolfgang Kubicki, Möllemann-Freund und selbsternannter Retter der FDP, ganz
       vorne auf der Landesbühne. Ebenfalls unüberhörbar ist der Mann mit der
       Fliege, Ralf Stegner (SPD), der immer für scharfe Wortattacken und
       Twitter-Kommentare gut ist. Der Grüne Robert Habeck rockt und schockt seine
       Partei mit schwarz-grünen Flirts. Die ehemalige Bundesvorsitzende der
       Grünen, Angelika Beer, könnte jetzt im Piraten-Boot in den Landtag
       rauschen.
       
       Nach Berlin exportierte Schleswig-Holstein Raju Sharma, Schatzmeister der
       Linken, der seinem Parteichef Klaus Ernst öffentlich riet, „einfach mal die
       Klappe zu halten“. Sogar eher blasse Figuren sind skandalträchtig:
       Christian von Boetticher, CDU-Kronprinz und designierter Spitzenkandidat
       der CDU, stürzte über die Beziehung zu einer 16-Jährigen: „Es war einfach
       Liebe.“
       
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       Kurkonzerte – auf der Strandpromenade von Westerland etwa – gibt es
       natürlich. Aber eben auch anderes. So findet im 1.818-Einwohner-Ort Wacken
       das angeblich größte Heavy-Metal-Festival der Welt statt – alle Jahre
       wieder eingeleitet mit einem Konzert der lokalen Feuerwehrkapelle. Auf
       klassische Klänge an ungewöhnlichen Orten wie Scheunen oder Gutshäuser
       setzt das Schleswig-Holstein Musikfestival, das Konzept haben andere
       Bundesländer inzwischen übernommen.
       
       In Büdelsdorf bei Rendsburg wurde aus einer ehemaligen Eisenschmiede das
       „Kunstwerk Carlshütte“, wo in alten Fabrikhallen „Nord-Europas größte
       jährliche Kunstausstellung“ zu sehen ist. Und in Husum findet jeden Herbst
       das internationale Pole-Poppenspäler-Figurentheater-Festival statt.
       
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       Schafe und Krabbenkutter sehen gut aus auf Prospekten – doch große Umsätze
       machen Landwirtschaft und Fischerei nicht mehr. Ganz weit oben steht die
       Tourismusbranche: 130.000 Beschäftigte erwirtschaften einen Umsatz von 4,5
       Milliarden Euro. Auch die „maritime Wirtschaft“ zählt die Landesregierung
       zu den wichtigen Industriezweigen: Rund 1.800 Unternehmen mit 50.000
       Beschäftigten erwirtschaften einem Jahresumsatz von 8,8 Milliarden Euro, so
       das Wirtschaftsministerium. Die „High-Tech-Industrie“ hat sich aber vor
       allem auf Zulieferung von Spezialteilen konzentriert. Wenn Schiffe gebaut
       werden, sind es vor allem U-Boote der Kieler HDW-Werft.
       
       Heimliche Siegerin ist die Gesundheitswirtschaft. Unter der Bezeichnung
       „Life Science“ fassen Schleswig-Holstein und Hamburg rund 500 Unternehmen
       mit einem Umsatz von 2,7 Milliarden Euro zusammen. Angesichts dieser Zahlen
       war es erstaunlich, dass die schwarz-gelbe Regierung ausgerechnet die
       Medizinfakultät der Universität Lübeck schließen wollte. Als 15.000
       aufgebrachte Lübecker in der Hauptstadt Kiel protestierten, änderte das
       Land seine Pläne.
       
       In der Aufholjagd ist die Energiebranche. Schleswig-Holstein will bald
       Strom exportieren – Ökostrom. Dazu sollen noch mehr Windparks an Land
       entstehen: Geplant ist, 1,8 Prozent der Landesfläche mit Rotoren zu
       bepflanzen. Vielerorts sind die Windräder als „Bürgerwindparks“
       organisiert, in die sich alle Bewohner einer Gemeinde einkaufen können.
       Nach einem ähnlichen Konzept sollen auch neue Stromtrassen bewirtschaftet
       werden. Auch Biogasanlagen sind überall neu entstanden – sorgen aber für
       Monokulturen durch Mais und Raps, die wachsen, um verfeuert zu werden.
       
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       Die Mehrheit der Schleswig-HolsteinerInnen lebt auf dem Lande, so weit
       stimmt das Klischee. 1.118 Gemeinden gibt es in Schleswig-Holstein, und
       eine Reihe davon ist so klein, dass statt eines Gemeinderats alle
       Dorfbewohner gemeinsam entscheiden. Aber dörflich geprägt ist das Land
       nicht überall. Der Osten ist reicher, moderner, städtischer: Drei der
       größten Städte des Landes, Flensburg (Bier), Kiel (Kieler Woche), Lübeck
       (Holstentor), liegen an der Ostsee.
       
       Die vierte kreisfreie Stadt, Neumünster (Hans Fallada), liegt mitten im
       Land. Sie ist Teil einer Kette von Mittelstädten, die sich in Abständen
       langsamer Tagesmärsche von Norden nach Süden herunterzieht. Diese Route,
       die mal Ochsenweg, mal Heerweg heißt und im Lauf der Jahrhunderte beides
       war, ist seit der Bronzezeit die Lebensader Schleswig-Holsteins.
       
       Im Osten liegen eiszeitliche Hügel und Seen, westlich wird das Land weit
       und flach, der Himmel hoch, Deiche begrenzen den Blick. Zwischen ihnen
       liegen Köge, Land, das aus dem Meer gewonnen wurde. Dass einer der
       bedeutsameren Orte nahe der Nordseeküste „Heide“ heißt, sagt eigentlich
       alles.
       
       Eines der Probleme des Landes ist die beginnende Überalterung. Im Jahre
       2025 werden 35 Prozent der Schleswig-HolsteinerInnen älter als 60 Jahre
       sein. Hinzu kommt, dass gerade im ländlichen Raum die Zahl der Jugendlichen
       bis dahin stark sinkt. Schon heute liegt die Zahl stationärer
       Altenheimplätze über dem Bundesdurchschnitt, ebenso wie die Ausgaben für
       Menschen mit Behinderung – nicht, weil es so viel mehr gebe als im Rest der
       Republik, sondern weil es in der wirtschaftlich schwachen Region an
       einfachen Arbeitsplätzen fehlt, so dass mehr Behinderte in betreuten
       Werkstätten landen.
       
       4 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
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