# taz.de -- Die Wahrheit: Törichte Tante
       
       > Persönlicher Abgesang auf ein eigentlich überflüssiges Stück Hauptstadt,
       > Hertha BSC Berlin. Höchstwahrscheinlich wird sie heute absteigen. Und so
       > soll es auch sein.
       
 (IMG) Bild: Da spielt man einmal gegen Barcelona – und dann das: dichter Berliner Novembernebel.
       
       Der Meistertitel ist längst vergeben, aber am heutigen letzten Spieltag der
       Bundesligasaison 2011/2012 steht noch eine große Entscheidung aus: Steigt
       Hertha BSC Berlin oder der 1. FC Köln ab?
       
       Im Fall der seltsamen Domstädter wäre es nicht sehr dramatisch, Kölner sind
       sowieso alle vollkommen irre. Die krepeln egal in welcher Liga vor sich hin
       und sind dennoch weiterhin glücklich. Höchstwahrscheinlich aber wird heute
       Hertha absteigen. Und so soll es auch sein. Es ist nur gerecht und gut.
       
       Einmal absteigen darf jeder. Man fällt, um zu zeigen, dass man wieder
       aufstehen kann. Mit frischen Kräften rundum erneuert wird das Feld von
       hinten aufgerollt. Wie in der vergangenen Saison, als man direkt wieder
       aufstieg. Jetzt aber droht das endgültige Abseits: erneuter Abstieg, zweite
       Liga, durchgereicht werden in die dritte und dann unbemerkt verschwinden.
       Das Flutlicht erlischt. Dunkelheit legt sich über das Olympiastadion …
       
       Dabei gab es viele dunkle Stunden in der Geschichte der Hertha, die vor
       sage und schreibe 81 Jahren das letzte Mal deutscher Meister war. Erinnert
       sei hier nur an den wenn schon nicht dunkelsten, so doch nebligsten Moment
       – am 23. November 1999 im Berliner Olympiastadion. Wie hatte man sich auf
       den FC Barcelona gefreut, der an diesem Dienstagabend mit dem Staraufgebot
       um Luis Figo, Josep Guardiola und den ganzen Holländern unter Trainer Louis
       van Gaal der Hertha zeigen wollte, was eine katalanische Harke ist.
       
       Und dann kam der Nebel! Langsam schwappte die milchige Suppe durchs
       Marathontor. Anfangs verspottet als Marketingmaßnahme des Managers Dieter
       Hoeneß, wurde die weiße Wand immer dicker, bis man die Hand nicht mehr vor
       Augen sehen konnte. Geschweige denn den weißen Ball, der nach der Halbzeit
       durch einen orangeroten ersetzt wurde.
       
       Auf der Tribüne blickte man trotzdem nicht mehr durch und fluchte oder
       ergab sich dem Trunke oder telefonierte mit dem Mobilfunkgerät nach Hause,
       um sich die Spielzüge mit Hilfe des Fernsehers nacherzählen zu lassen. Die
       Kameras hellen doch alles auf, da muss doch durch die Nebelbank etwas zu
       erkennen sein! Nüscht war.
       
       Das vernebelte Spiel ging dann eins zu eins aus durch Tore von … – aber das
       interessierte dann schon weniger als das spätere Gezänk um eine
       Wiedergutmachung der behumsten Zuschauer. Letztlich war auch das egal, man
       schenkte sich und Hertha eine mögliche Entschädigung. Bald nach dem
       Nebelspiel setzte die Verklärung ein. War man doch tapfer durch die
       unansehnlichste Partie aller Zeiten gegangen, hatte den Hörfußball
       angeblich genossen, wenn fingierte Torschreie von überdrehten Fans aus
       irgendwelchen Kurven durchs weite Rund hallten.
       
       Wer leiden will, muss nicht schön sein, sondern sollte besser Fußballfan
       werden. Nur wer einmal im wabernden Novembernebel ein Spiel nicht erlebt
       hat, weiß, wie eng man aneinandergekettet sein kann auf der Galeere der
       Leidenschaft. Besonders sobald es danach nur noch bergab geht bis in den
       Tabellenkeller und hinaus über die Kante der bekannten Fußballwelt.
       
       Hertha – dieser grauenhafte Klub mit seinen ewigen Lebenslügen: Trainer und
       Spieler verkörpern seit rund 80 Jahren das absolute Mittelmaß, allerdings
       ausgestattet mit dem typischen Berliner Schuss Größenwahn. Bereits nach
       einem zufälligen Sieg gegen irgendeine andere graue Maus meint man,
       mindestens die Champions League gewonnen zu haben. Schnell kippt dann
       Begeisterung um auf der dünnen Linie zwischen Liebe und Hass. Dann sagt man
       Dinge, die man nicht mal bei einer Ehescheidung sagen würde: „Hertha BSC
       Berlin ist eine Art Bielefeld mit einer Überdosis Bagdad.“
       
       Jetzt haben sie einen sogar so weit gebracht, sich selbst zu zitieren,
       stammen die Worte doch aus einer persönlichen Bußpredigt, die einst den
       Leidensüberdruck mindern sollte. Erst vier Jahre ist es her, und es ist
       alles geblieben, wie es war. Es hilft nichts, nicht einmal, diesen elenden
       Verein endgültig zu verstoßen.
       
       Selbst wenn man die stinkenden Fische an der Vereinsspitze unter die
       Guillotine legte, es würde sich nichts, rein gar nichts ändern. Und so
       wursteln sie weiter, der dilettantische Managerpraktikant, sein sauberer
       Präsident und der morsche Beirat – eine einzige Ansammlung unfähiger
       Wenigkönner.
       
       Eigentlich ist Hertha BSC längst nicht mehr Berlin: ein überflüssiges
       Reststück. Es gibt andere Vereine, andere Stadien, andere Möglichkeiten.
       Und doch! Sie ausgerechnet jetzt fallen zu lassen, das ist undenkbar.
       Vermutlich ist man Masochist, zumindest aber hat man Charakter: Man tritt
       keine auf dem Boden liegende alte Dame, selbst wenn sie den tantenhaft
       törichten Namen Hertha trägt.
       
       5 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
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