# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Zwischenlanden in der Zeitschneise
       
       > Zwei Jahre nach der Öffnung des Tempelhofer Felds versorgt der Imbiss
       > "Zur Flugschneise" seine Stammkundschaft immer noch zuverlässig mit
       > Kaffee und Korn. Studierende, Künstler und sonstige Neubewohner machen
       > einen Bogen um das Büdchen.
       
 (IMG) Bild: Exotische Bierspezialitäten gab's in der "Flugschneise" noch nie. Wozu auch?
       
       Zwei junge Männer schlendern in Jeansleggings über die Oderstraße. Sie
       tragen gefälschte Ray-Bans, führen einen Mops Gassi und sind sich ihrer
       Sache sicher. Bis der Hund sich losreißt und auf den Imbiss zurennt, der am
       Rand des ehemaligen Flugfelds steht: „Zur Flugschneise“ heißt der Laden und
       bringt die Männer sichtlich aus der Fassung. Beherzt fangen sie das Tier
       ein, bevor es sein Ziel erreicht.
       
       In der Tat wirkt die „Flugschneise“ auf den ersten Blick ziemlich schräg:
       ein Büdchen, mit schwarz-rot-goldenen Flaggen in diversen Größen verziert,
       im Angebot Alkoholika von Korn bis Weinbrand. Wurst und Eis gibt es auch.
       Davor ein Freisitz, der mit dem Vierviertelbummsbeat eines privaten
       Radiosenders beschallt wird. Auf Korbstühlen um Tischchen gruppiert sitzt
       ein knappes Dutzend Gäste im Rentenalter. Sie rufen nach der nächsten Runde
       Sambuca und bekommen vom Mopsdrama nichts mit. Denn die „Flugschneise“ ist
       eine eigene, aus der Zeit gefallene Welt.
       
       Seit 70 Jahren gibt es den Laden im äußersten Osten des Tempelhofer Felds.
       Schon der Name ein Anachronismus: Er erzählt von den Tagen, da in Tempelhof
       noch Flieger landeten. Damals lag der Imbiss tatsächlich in der
       Einflugschneise. 2008 wurde der Flughafen geschlossen, das Gelände zu einer
       riesigen Wiese umfunktioniert, auf der nun gegrillt, gegärtnert und
       geskatet wird. An vielen Stammgästen der „Flugschneise“ scheint das
       vorbeigegangen zu sein.
       
       „Für mich bleibt das Tempelhofer Feld ein Flughafen“, sagt Rolf, ein
       untersetzter Mann in umgenähten Jeans und Turnschuhen. „Ich gehe da
       prinzipiell nicht drauf.“ Rolf schätzt, was er kennt – er kehrt seit 20
       Jahren auf das eine oder andere Bier hier ein. Jetzt, da er in Rente ist,
       bereits um 15 Uhr, gleich nach Öffnung. Von den Korbstühlen aus können er
       und seine Freunde das ehemalige Flugfeld nicht einsehen, das Büdchen ist
       links und rechts von Büschen zugewuchert. In den Fahrradweg, der zur
       „Flugschneise“ führt, haben Platanenwurzeln tiefe Furchen gesprengt. In
       dieser wilden Imbissoase bleiben die Gäste bis in die Abendstunden hängen –
       alteingesessene Neuköllner, ein Großteil lebt im Schillerkiez.
       
       ## Wolke aus Bockwurstduft
       
       Da ist Brigitte, die nach schwerem Parfüm duftet und lange rote Nägel mit
       Glitzerapplikation trägt. Und ihr Mann Manfred, gebürtiger Neuköllner, der
       ihr sagt, wie schön sie bis heute sei, „auf deine Art, Schatz“. Sie lachen
       viel miteinander. Ihr Pudel Ronny kläfft jeden Radfahrer an, der
       vorbeikommt. Eingehüllt in eine Wolke aus Filterkaffee- und Bockwurstduft,
       der dem Inneren des Büdchens entströmt, sitzen sie da und beschwören die
       Tage herauf, als sie zum Sound landender Flugzeuge einschlafen durften.
       Oder versuchen, sich an die Tramlinien zu erinnern, die einst durch den
       Bezirk fuhren. Bei jeder richtigen Endhaltestelle noch einen Schluck Sekt:
       „Auf die Heimat!“
       
       Hin und wieder platzt die Neuköllner Gegenwart in die traute Runde: Ein
       junger Mann mit Kapuzenpullover und Longboard unterm Arm schlängelt sich
       bis zum offenen Imbissfenster vor. „Ich hätte gerne ein Bier, bitte“, ruft
       er in den Laden, sein Hamburger Dialekt ist nicht zu überhören. Henry
       Brunow, der Besitzer der „Flugschneise“, streckt neugierig seinen Kopf nach
       draußen: „Zum Mitnehmen oder Hiertrinken?“, fragt er. „Zum Mitnehmen, zum
       Mitnehmen“, wiederholt der Skater, um jedem Missverständnis vorzubeugen –
       und verschwindet, um seine Runden auf der einstigen Landebahn zu drehen.
       
       „Für die jungen Leute ist alles immer nur to go, ob Kaffee oder Bier“, sagt
       der 49-jährige Brunow. „Ohne ein Verweilen gibt es kaum Austausch zwischen
       den Zugereisten und den alten Neuköllnern“, bedauert er und streicht sich
       über den Schnauzer. Stammgast Rolf tröstet: „Du musst cool bleiben, Henry,
       so cool wie diese jungen Leute. Die sind dein Kapital, wenn wir alle mal
       tot sind.“
       
       Tatsächlich sorgt sich Brunow manchmal, was aus seiner „Flugschneise“ wird.
       Vor 23 Jahren hat den Laden übernommen. Das Publikum habe sich mit der Zeit
       sehr gewandelt, erzählt er. Bis in die nuller Jahre wurde die
       „Flugschneise“ von Planespottern frequentiert. „Die kamen sogar aus der
       Schweiz und Österreich, um hier zu sitzen und bestimmte Flugzeuge beim
       Landen zu bestaunen.“ Mit der Eröffnung des Tempelhofer Feldes habe es
       junge Menschen in den Kiez gezogen. „Parallel steigen die Mieten“, sagt
       Brunow. „Ich weiß nicht, wie lange ich noch in die Gegend passe.“ Er selbst
       ist inzwischen nach Brandenburg gezogen und pendelt nun zur Arbeit nach
       Berlin. Von März bis Oktober betreibt er die „Flugschneise“. Dazwischen
       verkauft er Weihnachtsbäume am S-Bahnhof Südkreuz.
       
       Das mit den Jahreszeiten nimmt einer seiner Gäste nicht ganz so ernst.
       „Frohes neues Jahr!“, ruft Stephan zur Begrüßung in die „Flugschneise“. Mit
       Klingelgetöse kommt der dünne Mittvierziger auf dem Rad herangerollt. „Ein
       Bierchen, bevor es an die Arbeit geht!“, bestellt er fröhlich. Stephan
       sammelt seit zwei Jahren Leergut auf dem Tempelhofer Feld und ist einer der
       wenigen hier, die der großen Wiese etwas abgewinnen können. „An einem
       sonnigen Wochenende können schon 200 Euro Pfand zusammenkommen“, erzählt
       der Neuköllner und zischt sein Bier weg. Unter dem Gebelle von Pudel Ronny
       braust Stephan davon in die Wiesenwelt jenseits der „Flugschneise“. Wirt
       Brunow bleibt mit seinen Stammgästen verdutzt zurück.
       
       8 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joanna Itzek
       
       ## TAGS
       
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