# taz.de -- Kurdische Kämpfer: Die verlorenen Kinder
       
       > Sie sind frustriert, weil sich in der Kurdenfrage in der Türkei nichts zu
       > ändern scheint. Sie werden in den Knast gesperrt. Nicht wenige greifen
       > zur Waffe – wie Ebru Muhikanci.
       
 (IMG) Bild: Ebru Muhikanci (links) als Teenagerin mit ihren Freundinnen. Gerechtigkeit ist ihr da schon wichtig.
       
       Als Ebru Muhikanci 2006 zum Studieren nach Kars in den Nordosten der Türkei
       geht, fühlt sich das für sie wie eine Rückkehr an. Sie ist in Kars
       aufgewachsen, in dieser kurdisch geprägten Gegend, bevor ihre Familie nach
       Istanbul zog. Ebru Muhikanci ist Kurdin. Sie beginnt in Kars Wirtschaft zu
       studieren. Eine junge fröhliche Frau, der Gerechtigkeit wichtig ist.
       
       Am 19. Oktober 2011 stirbt Ebru Muhikanci in Cukurca, einem Ort nahe der
       türkisch-irakischen Grenze. Die kurdischen Kämpfer der PKK haben einen
       Militärposten der türkischen Armee angegriffen. Muhikanci war eine der
       PKK-Kämpferinnen.
       
       Zusehends mehr junge Kurdinnen und Kurden scheinen denselben Weg in die
       Radikalität zu beschreiten wie die junge Studentin Ebru Muhikanci. Eine
       frustrierte Generation, die desillusioniert ist, weil sich für die
       Situation ihres Volkes viel zu wenig verbessert hat. Die etwa 15 Millionen
       Kurden in der Türkei sind die größte Minderheit im Land, wurden aber bei
       der Republikgründung nicht als Minderheit anerkannt. Aufstände wurden
       brutal niedergeschlagen, ihre Sprache, ihre Feste, ihre Musik, die
       Literatur, die Nationaltrachten waren lange Zeit komplett verboten.
       
       ## Was der Tod eines Armeniers sie angehe?
       
       Erst Anfang der 90er-Jahre wurde das Sprechen der kurdischen Sprache
       erlaubt, 2009 eröffnete der Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan einen
       staatlichen kurdischen Sender, der dem Propagandakanal der PKK etwas
       entgegensetzen sollte. Es gab theoretische Zugeständnisse. Aber praktisch,
       beklagen viele Junge, hat sich wenig geändert. Das muss auch Ebru
       Muhikancis Gefühl gewesen sein.
       
       In den ersten Monaten an der Uni in Kars geht alles gut. Ebru Muhikanci
       fühlt sich wohl und findet schnell Freunde, Studenten, die sich für Mode
       und Popmusik interessieren.
       
       Bald aber kommt der erste Bruch. Als im Januar 2007 der armenisch-türkische
       Journalist Hrant Dink von einem jungen Nationalisten erschossen wird, gibt
       es auch in Kars Trauermärsche. Ebru Muhikanci trauert mit. Ihre Clique
       versteht das nicht. Was der Tod des Armeniers sie angehe? Sie wendet sich
       von ihren Freunden ab. Stattdessen geht sie immer häufiger zu einem linken
       Studentenverein, lernt junge Leute kennen, die so idealistisch sind wie
       sie. Und gerät ins Visier der Staatsschützer. Sie muss ins Gefängnis.
       
       ## 45 Tage Knast
       
       Den Recherchen der Reporterin Özlem Agus zufolge ist das keine unübliche
       Praxis, junge Leute, die mit kurdischen Organisationen sympathisieren, früh
       zu kriminalisieren. Sie fand kürzlich heraus, dass Jugendliche zwischen 13
       und 17 Jahren in einem Gefängnis in Adana als angebliche PKK-Mitglieder
       festgehalten und misshandelt wurden. Die Enthüllung löste eine Welle von
       Kritik in der Türkei aus, nicht nur Kurden zeigten sich entrüstet. Die
       Journalistin wurde ebenfalls ins Gefängnis gesperrt.
       
       Ebru Muhikanci verändert sich nach den 45 Tagen im Knast. Sie weiß nicht
       mehr, wem sie trauen soll. Manche Professoren und Studenten schikanieren
       sie, von den meisten wird sie ignoriert.
       
       Muhikancis Freund hatte sich schon im Sommer 2007 den Rebellen
       angeschlossen, als sie ein knappes Jahr zusammen waren. Er stammte aus
       einer Familie, in der viele für die kurdische Sache gestorben sind, Freunde
       mussten für lange Jahre ins Gefängnis. Er wollte nicht warten, bis es auch
       ihn erwischt, dann lieber zur PKK und in Freiheit sterben.
       
       Der 24. Juni 2008 ist ein Dienstag. Morgens erzählt Ebru Muhikanci ihrer
       Tante, dass sie Prüfungen habe und ihr Handy deshalb aus sein werde. Als
       sie abends nicht nach Hause kommt, telefoniert ihre Tante Freunde und
       Kommilitonen ab in der Hoffnung, Ebru sei irgendwo versackt. Aber sie ahnt
       etwas anderes.
       
       Wie die Eltern sich auf die vergebliche Suche nach ihrer Tochter Ebru
       machen, warum sie nach ihrem Tod den Staat anklagen und weshalb die Tante
       sich selbst und ihrer Nichte Vorwürfe macht, lesen Sie in der [1][sonntaz
       vom 12./13. Mai 2012].
       
       11 May 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://bit.ly/gcsTy1
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Yasemin Ergin
       
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