# taz.de -- Lehrer in Online-Netzwerken: „Facebook nimmt mir Arbeit ab“
       
       > Immer mehr LehrerInnen kommunizieren in sozialen Netzwerken mit ihren
       > Schülern. Diese „Freundschaften“ haben Vorteile. Und sie können
       > gefährlich werden.
       
 (IMG) Bild: Die „Freundschaften“ zwischen Lehrern und Schülern können eskalieren.
       
       „Reifen zerstochen vor der Tür – Leute, wessen Klausur habe ich aus
       Versehen unfair bewertet? Mit mir kann man doch reden.;o)“, schreibt
       Katharina Lüders* auf ihre Facebook-Pinnwand, nachdem sie mit einem
       Fahrradplatten zu Hause angekommen ist.
       
       Die Schülerinnen und Schüler freuen sich über den Post ihrer
       Spanischlehrerin. Zehn „Likes“ bekommt sie für diesen Eintrag. Auf ihrer
       Facebookseite finden sich neben aktuellen Fotos vom letzten Skiurlaub auch
       Bilder aus ihrer Vergangenheit. Sie zeigen Lüders als junge, hübsche
       Studentin am Strand und wild tanzend auf einer Party.
       
       Die Schüler haben vollen Einblick in das Privatleben der Pädagogin. „Ein
       persönliches Verhältnis zu meinen Schülern war mir schon immer wichtig. Sie
       können doch ruhig sehen, dass ich auch ein normaler Mensch bin, der nicht
       immer Lehrerin war. Ich möchte authentisch sein und nicht durch die
       Glasscheibe unterrichten“, erklärt Katharina Lüders die
       Facebook-Freundschaften zu ihren Schülern.
       
       „Private Sorgen, Zukunftsängste und Liebeskummer werden im Unterricht nicht
       angesprochen. Eine kurze Nachricht an mich hilft dann vielen Schülern
       weiter“, sagt sie der taz.
       
       ## Erhöhte Missbrauchsgefahr
       
       Kritiker sehen in den Facebook-Freundschaften eine erhöhte
       Missbrauchsgefahr. Die nötige Grenze zwischen Lehrer und Schüler droht aus
       ihrer Sicht zu verwischen. Zu oft seien diese Verbindungen in jüngster
       Vergangenheit eskaliert, woraufhin Lehrer suspendiert wurden.
       
       Auch Johannes-Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte der
       Bundesregierung, stuft diese „Freundschaften“ als gefährlich ein. „Lehrer
       unterrichten Schüler, sie sind keine Freunde und sollten dieses
       Distanzgebot einhalten“, sagte er.Befürworter unter den Pädagogen halten
       Facebook für ein neues Wunder, das die Kommunikation außerhalb des
       Klassenraums ermöglicht und Grillfeste und Elternabende schneller planbar
       macht.
       
       Gerade deswegen ist Robert Trömer*, Lehrer für Chemie und
       Sozialwissenschaften in Nordrhein-Westfalen, von dem sozialen Netzwerk
       begeistert. Aus seiner Sicht ist Facebook für die Schule der ideale
       Kommunikationskanal. „Meine Schüler sind doch ständig da drin. So können
       wir uns schnell austauschen“, erklärt er.
       
       Trömer will auf die Jugendlichen zugehen können, sie „abholen“, wie er
       sagt. Kurzfristige Änderungen wie Stundenausfälle oder Verspätungen trägt
       er auf seiner Pinnwand ein. „Ich muss niemanden anrufen oder eine E-Mail
       schreiben“, erklärt er. „Facebook nimmt mir so entscheidende Arbeit ab.“
       
       ## Privates ist in den Gruppen tabu
       
       Als sich das soziale Netzwerk in Deutschland verbreitete, „befreundete“
       sich Trömer auch mit seinen Schülern. Kein Problem, dachte er. Doch dann
       sah er an Sonntagabenden die Partyfotos seiner neunten und zehnten Klasse.
       „Das war für mich schon ein Zwiespalt“, erinnert er sich. „Schließlich bin
       ich doch ihr Lehrer und der muss ich auch bleiben.“
       
       Trömer kündigte die „Freundschaften“ und kommuniziert heute mit seinen
       Schülern in geschlossenen Facebook-Gruppen, die nicht öffentlich sind.
       Privates ist dort tabu. Es geht nur um die Schule.
       
       Auch Katharina Lüders weiß, dass sie in dem Netzwerk Lehrerin bleiben muss.
       Aus privaten Posts und Fotos ihrer Schüler hält sie sich raus, nimmt nur
       „Freundschaften“ aus der Oberstufe an. Denn wenn aus dem ursprünglichen
       Lehrer-Schüler-Verhältnis über Facebook ein privates wird, kann es sehr
       gefährlich werden – für beide Seiten.
       
       „Sieht eine Lehrerin auffällige Fotos oder Beleidigungen ihrer Schüler,
       steht sie vor schwierigen Entscheidungen. Ist das privat oder nicht? Soll
       sie einschreiten oder nicht?“, fragt sich Heinz-Peter Meidinger,
       Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbandes. Ein Pädagoge sei zur
       Objektivität verpflichtet. Wenn er nur mit einigen Schülern „befreundet“
       sei, sei er nicht mehr unabhängig, meint Meidinger.
       
       ## Modellprojekte gefordert
       
       Der Verband für Bildung und Erziehung fordert, dass der professionelle
       Umgang mit Facebook Teil der Lehrerausbildung und der Fortbildungen werde
       sollte. „Dieses Medium rollt auf uns zu. Wir brauchen Modellprojekte an
       Schulen, damit wir als Lehrer unsere Erfahrungen mit sozialen Netzwerken
       ausbauen können“, sagt der Bundesvorsitzende Udo Beckmann der taz. Wenn ein
       Lehrer mit seinen Schülern über Facebook kommuniziere, dann sollte er dafür
       auch einen speziellen Account einrichten, um die notwendig Distanz zu
       wahren, erklärt Beckmann weiter. Schüler seien schließlich Schutzbefohlene.
       
       Das weiß auch die Spanischlehrerin Katharina Lüders. „Ich habe die
       Verantwortung, dass bei meinen ’Freundschaften‘ nichts schiefgeht. Die
       Ebenen müssen gewahrt bleiben“, sagt sie.
       
       Doch es geht immer wieder schief. Mitte April wurde ein Hamburger Lehrer
       wegen Missbrauchs zu fünfzehn Monaten Haft verurteilt, weil er mit einer
       14-jährigen Schülerin eine sexuelle Beziehung eingegangen war. Beide waren
       sich über Facebook nähergekommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
       Vonseiten der Staatsanwaltschaft heißt es, dass der Mann in Revision
       gegangen sei.
       
       Auch für das Hamburger Gymnasium ist der Fall noch lange nicht erledigt.
       Lehrer, Schüler, aber auch Eltern werden derzeit von psychologischen
       Krisenteams gecoacht. Denn wie sollen sie mit den Medien in dieser heiklen
       Situation umgehen? Sie fragen sich, wer doch etwas gewusst haben könnte,
       wer vorher hätte einschreiten können.
       
       ## „Kaum zu bewältigende Zerreißprobe“
       
       Christian Böhm leitet diese Teams. Für ihn ist „der Umgang mit so einem
       Vorfall für eine Schule eine kaum zu bewältigende Zerreißprobe“. Böhm ist
       promovierter Psychologe, erfahren, ruhig. Doch bei diesem Thema kann auch
       er lauter werden. „Niemand denkt gerade an Präventionsmaßnahmen. Wir müssen
       zuerst das 14-jährige Mädchen ohne Schaden durch die Schullaufbahn bringen
       und dafür sorgen, dass irgendwie der Alltag an diesem Gymnasium
       zurückkehrt“, erklärt Böhm gegenüber der taz.
       
       Er glaubt nicht, dass die Internetkommunikation für solche Missbrauchsfälle
       allein verantwortlich ist. „Der Umgang von Nähe und Distanz zwischen
       Lehrern und Schülern muss geschult werden. Denn gerade an der Schule
       entstehen Gefühle wie Sympathie oder Ablehnung, mit denen alle täglich
       umgehen müssen“ sagt Christian Böhm.
       
       Lehrer an anderen Schulen können das Wort Facebook nicht mehr hören. „Ich
       bin strikt dagegen und warne meine Kollege davor, sich dort zu engagieren“,
       sagt der stellvertretende Leiter eines Gymnasiums in Niedersachsen. Die
       Rolle des Lehrers und des Schülers würden durch Facebook unscharf. Der
       direkte, menschliche Kontakt sei wesentlich wichtiger als irgendein
       virtueller.
       
       An dieser Schule versuchen jetzt die Lehrer den Jugendlichen gezielte
       Sport- und Musikangebote außerhalb des Unterrichts zu machen, um die
       direkte Kommunikation zu fördern. Denn Facebook ist hier ein sehr präsentes
       Thema geworden. Vor einigen Wochen wurde ein Englischlehrer suspendiert. Er
       schrieb gleich mehreren Schülerinnen über das Netzwerk, wollte sie auch
       privat treffen. Seine Annäherungsversuche flogen auf. Die Schulleitung
       konnte noch rechtzeitig einschreiten.
       
       ## Facebook fördert Täter immens
       
       Facebook fördert Täter immens – behauptet die Psychotherapeutin Julia von
       Weiler. Sie kämpft seit Jahren in dem Verein „Innocence in danger“ aktiv
       gegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauch im Netz. „Das ist eine
       große Möglichkeit, um die Verbindungen mit potenziellen Opfern zu
       verstärken und intim werden zu lassen, durchgängig und unausweichlich, 24
       Stunden am Tag“, erklärt von Weiler.
       
       „Wenn wir über Facebook kommunizieren, sehen wir den Gesprächspartner nicht
       und interpretieren in seine Antworten etwas hinein. Das kann gefährlich
       werden, weil wir den Computer abschalten können, aber nicht unseren Kopf“,
       sagt die Psychotherapeutin.
       
       ## „Idioten wird es immer geben“
       
       „Idioten unter Lehrern, die mit ihren Schülern etwas anfangen wollen, würde
       es auch ohne Facebook geben“, entgegnet Chemielehrer und Internetfan Robert
       Trömer. Die suchen auch so ihre Möglichkeiten.“
       
       Annäherungsversuche gibt es auch aus der anderen Richtung. Tobias
       Steffens*, ein junger Biologielehrer aus Berlin, wurde während seiner Zeit
       als Referendar regelmäßig von einem Neuntklässler über Facebook
       angeschrieben. Es folgten Komplimente, Steffens wusste nicht mehr, was er
       machen sollte. Wie sollte er den Jungen abweisen, der Zuwendung und
       anscheinend auch Liebe brauchte?
       
       Steffens ignorierte die Annäherungsversuche. Heute hat er ein
       Facebook-Profil nur für seine Jugendlichen eingerichtet.
       
       * Name von der Redaktion geändert
       
       17 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Gehrke
       
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