# taz.de -- Kolumne Fernsehen: Nichts bewegt sich
       
       > Große Lust, sich morgens in der U-Bahn die Nachrichten von Vorvorgestern
       > reinzuziehen? Dafür braucht man nicht mal eine Tageszeitung.
       
 (IMG) Bild: Alte Neuigkeiten aus dem Bundestag gibt es in der U-Bahn.
       
       Manchmal stehe ich morgens verschlafen in der U-Bahn und frage mich, wieso
       die Leute mich bloß so anglotzen. Bad Hair Day? Hab ich was im Gesicht, was
       da nicht reingehört? Vergessen, mich anzuziehen? 21, 22, 23 – und dann
       fällt es mir wieder ein, spätestens dann …
       
       Auch bei anderen Fahrgästen über 1,80 Meter Körpergröße beobachte ich ihn
       gelegentlich, diesen verunsicherten Blick, wenn alle Augen auf sie
       gerichtet sind – bis sie merken, dass man haarscharf an ihnen vorbeiguckt,
       auf die Monitore an der Decke. Auch ich kann nicht anders. Kaum einer kann
       anders. Nur mit Buch oder schlafend kann man sich diesem merkwürdigen Sog
       entziehen, dem Sog des U-Bahn-Fernsehens.
       
       Wobei das U-Bahn-Fernsehen streng genommen ja gar kein Fernsehen ist, denn
       weder spricht irgendwer einen Text noch bewegt sich irgendwas. Es gibt nur
       ein Standbild und dazu ein Textchen, das der visuellen Komponente in Sachen
       Schlichtheit in nichts nachsteht.
       
       Das mit dem fehlenden Ton verstehe ich ja noch, ist eh schon laut genug im
       Waggon, mit den „Straßenfeger“-Verkäufern, Straßenfeger-Gipsybands (ist das
       politisch korrekter als „Zigeuner“ oder nur englischer?) und „Bin gleich
       da“-Telefonaten – aber warum die Bilder strammstehen müssen, begreife ich
       nicht. Weil es reicht, dass sich der Zug von der Stelle rührt? Angst vor
       epileptischen Anfällen bei bewegungssensiblen Pendlern? Antworten gern an
       [1][kolumne@taz.de], damit ich – zumindest, was das angeht – nicht dumm
       sterben muss.
       
       Im Sommerhalbjahr fahre ich kaum U-Bahn und habe trotzdem nicht das Gefühl,
       irgendwas zu verpassen – erst recht nicht im U-Bahn-Fernsehen. Vorigen
       Samstag in der U8 habe ich erfahren, dass der Wahlkampf in NRW zu Ende
       gegangen ist. Eine Nachricht, die mich nicht gerade umgehauen hat, aber
       wenigstens war sie tagesaktuell.
       
       Anders als die Sportmeldung, Thema Bundesliga-Relegation, in der
       Hertha-Trainer Otto Rehagel zitiert wurde: „Wir werden in den nächsten
       Tagen viele Gespräche führen und mit neuem Mut nach Düsseldorf fliegen.“
       Das hatte er gleich nach dem Hinspiel im Fernsehen gesagt. Am Donnerstag,
       zwei Tage zuvor.
       
       Als Zeitungsjournalist bewegt man sich natürlich auf gaaanz dünnem Eis,
       wenn man andere Medien für ihre Langsamkeit kritisiert. Wir von der
       schnellen Truppe sollten zusammenhalten. So-li-da-ri-tät? Ach, scheiß
       drauf! Als Zeitungsmacher kann man nur neidisch aufs U-Bahn-Fernsehen und
       seine Macher sein, weil diese Scharlatane verbreiten, was eh schon alle
       wissen – und trotzdem guckt jeder hin. Zeitungen kauft aber mit dem
       gleichen Argument kaum noch jemand (sofern Sie diese taz nicht geklaut
       haben: Schön, dass Sie da sind!).
       
       Beschließen möchte ich diese Kolumne mit einem Tipp aus meiner
       Lieblingsrubrik im U-Bahn-Fernsehen, „Karriere“: Vor Bewerbungsgesprächen
       sollte man sich über das jeweilige Unternehmen informieren. Punkt. Jaha,
       selten wurde eine Binse so gelassen ausgesprochen. Ich bin schon gespannt,
       was ich beim nächsten Mal im U-Bahn-Fernsehen nicht dazulernen werde.
       
       18 May 2012
       
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