# taz.de -- Bildungsproteste in Chile: „Das hier hört nicht auf“
       
       > In Chile kommt der Kampf um ein gerechtes Bildungssystem voran. Studenten
       > und Schüler protestieren gegen die Privatisierung des Erziehungswesens.
       
 (IMG) Bild: Der Kampf geht weiter: Demonstranten in Santiago.
       
       SANTIAGO DE CHILE taz | Sollte Präsident Sebastián Piñera gedacht haben,
       mit seiner Steuer- und Bildungsreform kehre Ruhe in Chile ein, hat er sich
       getäuscht. Wenn er diesen Montag im Kongress von Valparaíso wie
       traditionell einmal im Jahr Rechenschaft ablegt über die bisherige
       Amtszeit, werden sich die Straßen der alten Hafenstadt füllen mit Schülern,
       Studenten, Lehrern, Professoren und Eltern. Sie protestieren für ein
       kostenloses Bildungssystem und gegen die Privatisierung des
       Erziehungswesens.
       
       „Das hier hört nicht auf. Wenn die Regierung uns 20 unzureichende Angebote
       macht, werden wir sie eben 20 Mal ablehnen“, betont Gabriel Boric, Sprecher
       der Studenten der Universität von Chile, mehrfach. Nachdem die Studenten
       und Schüler 2011 durch monatelange Streiks die politische Agenda Chiles
       bestimmten, legten am Mittwoch über 100.000 Menschen das Zentrum Santiagos
       lahm. Im ganzen Land gab es weitere Demonstrationen.
       
       Die Studenten und Schüler protestieren insbesondere gegen den extremen
       Wirtschaftsliberalismus, der mit der Militärdiktatur Augusto Pinochets
       zwischen 1973 und 1990 dem Land aufgezwungen wurde. Heute ist ein großer
       Teil des Gesundheits- und Rentensystems, des Kupferabbaus, der
       Wasserversorgung sowie des Bildungssystems privatisiert. Die Hälfte aller
       Schüler geht auf Privatschulen, über 60 Prozent aller Studenten auf private
       Unis.
       
       Laut OECD werden nur noch 25 Prozent des Hochschulsektors öffentlich
       finanziert. Studenten müssen im Schnitt umgerechnet 4.500 Euro im Jahr für
       ihre Ausbildung bezahlen. Dabei verdienen vier Fünftel aller Chilenen im
       Schnitt nur 700 Euro monatlich. „Wir wollen strukturelle Veränderungen, die
       Privatisierungen zurückschrauben“, sagt Boric.
       
       Obwohl die niedrigen Einkommensklassen für ein Studium mehr bezahlen als
       die Oberschicht, weil sie es über Kredite finanzieren, sagt
       Erziehungsminister Harald Beyer: „Ein kostenloses Bildungssystem hilft
       nicht, die Einkommensunterschiede anzugleichen. Eine Finanzierung über
       Kredite ist gerechter, sie schützt die Studenten und ihre Familien.“
       
       ## Erste Reformen auf dem Weg
       
       Trotzdem hat die Regierung unter dem Druck der Straße Reformen auf den Weg
       gebracht. Unternehmen sollen künftig 20 statt 17 Prozent Steuern bezahlen.
       Die Regierung hofft auf Mehreinnahmen von einer Milliarde Euro jährlich,
       die in das Bildungssystem fließen sollen. Zudem wird künftig der Staat,
       nicht mehr die Banken, die Ausbildungskredite vergeben. Die Zinsrate für
       die Bildungskredite soll dabei von aktuell 6 Prozent auf 2 Prozent sinken.
       
       „Das ist längst nicht genug“, sagt Boric. Auch Manuel Agosín, Dekan der
       wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Chile, übt
       Kritik: „Die Regierung sollte mehr Steuern von den Unternehmen erheben,
       etwa 25 Prozent, damit würden wir uns anderen lateinamerikanischen Ländern
       annähern.“
       
       Die Schüler und Studenten stehen vor der Herausforderung, weiter zu
       protestieren und neue Allianzen zu schmieden, ohne sich in monatelangen
       Besetzungen zu verausgaben wie 2011. Dafür gibt es Anknüpfungspunkte. Im
       April demonstrierte die Bevölkerung in Aysén, einer Stadt im Süden des
       Landes, über einen Monat für ein besseres Gesundheits- und Bildungssystem
       und gegen ein neues Fischereigesetz. Die Bevölkerung zwang die Regierung an
       den Verhandlungstisch, in Santiago gab es Solidaritätsmärsche.
       
       Manuel Riesco, Ökonom am Forschungsinstitut für alternative Entwicklungen
       (Cenda), ist sich sicher, dass die Proteste noch lange andauern: „Die
       Mobilisierung wird sich ausweiten in andere Teile der Gesellschaft.“
       
       21 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
       
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