# taz.de -- SPD: Jan Stöß weiß Bescheid
       
       > Vor wenigen Wochen kannte ihn kaum jemand außerhalb seiner Partei - in
       > wenigen Wochen könnte Jan Stöß neue Chef der Berliner SPD sein. Wer ist
       > der Herausforderer von Amtsinhaber Michael Müller? Würde die Partei mit
       > ihm tatsächlich nach links rücken?
       
 (IMG) Bild: Linksabbieger? SPDler Jan Stöß.
       
       Jan Stöß weiß Bescheid. Was er am 1. Mai gemacht hat? Stöß, seit wenigen
       Wochen Kandidat für den SPD-Vorsitz, lacht. Eine Bekannte sei mal in
       Schwierigkeiten geraten, weil sie auf diese Frage keine Antwort parat
       hatte. Ihm passiert das nicht: „Morgens auf der DGB-Demo. Dann auf dem
       Myfest in Kreuzberg, im Treptower Park, bei der SPD Marzahn. Abends am
       Oranienplatz.“
       
       Der 38-jährige Kreisvorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg hat einen
       vollen Terminplan, seit er am 23. April erklärt hat, beim Parteitag am 9.
       Juni als SPD-Landeschef zu kandidieren. Treffen mit Orts- und
       Kreisverbänden, Landesdelegiertenkonferenzen, Presseanfragen. Stressig?
       „Ja, natürlich“, nickt Stöß. Anzumerken ist es ihm nicht. Es ist früher
       Abend, er hatte einen langen Tag, hat später noch einen Termin. Trotzdem
       wirkt er hellwach. „Ist ja auch eine gewisse positive Anspannung“, sagt er.
       
       Der Wahlkampf, das merkt man, macht ihm Spaß. Verwunderlich ist das nicht:
       Es sieht gut für ihn aus. Innerhalb weniger Wochen haben sich mehrere große
       Kreisverbände hinter ihn gestellt, schon jetzt vereint er mehr Delegierte
       auf sich als Amtsinhaber Müller. Dass Klaus Wowereit, Regierungschef und
       Gesicht der Berliner SPD, sich demonstrativ hinter Müller stellte, änderte
       nichts. Zwei Versuche von Müller-Unterstützern, statt der geplanten Wahl
       durch Delegierte eine Mitgliederbefragung durchzusetzen, um Müller bessere
       Chancen zu geben, scheiterten.
       
       ## Luft zum Atmen
       
       Der Erfolg wundert Stöß nicht. In der SPD, sagt er, gäre es seit langem.
       „Wir haben einen harten Wahlkampf hinter uns. Viele Auseinandersetzungen
       wurden aufgeschoben. Jetzt braucht die Partei wieder Luft zum Atmen.“ Damit
       meint er: Mehr Raum für Diskussionen. Weniger Entscheidungen, die von oben
       durchgedrückt werden – als Beispiel nennt er die A 100. Wowereit hatte die
       Zustimmung zum Weiterbau der Autobahn mit seinem Schicksal verknüpft. „Das
       hat die Basis verärgert“, sagt Stöß. „Die Parteiführung hat diesen Frust
       nicht aufgenommen.“ Das macht jetzt er.
       
       Und Müller, als blasser Bürokrat verschrien, hat es schwer gegen Stöß. Stöß
       gilt als charmant, eloquent, als Richter ist er es gewohnt zu sprechen.
       Stöß ist gut vernetzt, sein Büro liegt im Willy-Brandt-Haus, der
       Parteizentrale. Er gibt sich als unverbrauchter Erneuerer: Mit 17 ist er in
       die SPD eingetreten, aber ein Parteiamt hatte er lange Zeit nicht inne. War
       Landesschülersprecher in Niedersachsen, studierte Jura in Göttingen und
       Berlin. Politik hat er in dieser Zeit nicht viel gemacht. Das änderte sich,
       als er 2000 nach Kreuzberg zog, in die Kohlfurter Straße, wo er bis heute
       wohnt. Er wurde im Kreisverband aktiv. 2010 wurde er Stadtrat für Finanzen,
       Kultur, Bildung und Sport, seinen Job als Verwaltungsrichter ließ er ruhen.
       
       Stöß ist Sprecher der Partei-Linken. Im Wahlkampf forderte er eine bessere
       Ausstattung für Schulen in sozialen Brennpunkten und Mindestlohn für alle
       Landesbediensteten. Von einem „Linksaußen“ spricht FDP-Chef Martin Lindner.
       Wird das Duell Müller-Stöß zum Richtungsstreit in der Partei? Das trifft
       schon deshalb nicht zu, weil Müller nicht wirklich einem Flügel zuzurechnen
       ist. Und sich von Stöß inhaltlich wenig unterscheidet.
       
       Steigende Mieten sieht Stöß als ein Hauptproblem Berlins: „Wohnen in der
       Innenstadt darf nicht zum Luxus werden.“ Aber was will er konkret
       verändern? „Die städtischen Wohnungsbaugenossenschaften müssen wieder eine
       tragende Rolle spielen“, sagt Stöß. Kein Ausverkauf städtischer Wohnungen.
       Eine Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik. Die Einführung neuer
       Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen: maximal 15 Prozent in vier Jahren statt
       20 Prozent in drei. Exakt das hat Müller in seinem „Bündnis für bezahlbaren
       Wohnraum“ vergangene Woche angekündigt. Stöß’ Ruf als Erneuer linker Ideen
       in der Partei hat das nicht angekratzt.
       
       Weltoffen und tolerant wünscht sich Stöß die Stadt, ihm gefällt, wie
       international sie geworden ist. Er ist in einem Dorf bei Hildesheim
       aufgewachsen, hat als Erster der Familie Abitur gemacht, studiert. Das hat
       ihn geprägt: „Diese Erfahrung, dass nicht alles selbstverständlich ist.
       Dass gleiche Chancen erkämpft werden müssen.“ Von einem bedingungslosen
       Grundeinkommen hält Stöß nichts. „Es ist richtig, den Menschen
       Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Das gibt Sinn, darüber identifizieren sie
       sich.“
       
       Mit den radikalen Gegnern von Gentrifizierung kann er nichts anfangen. Er
       hat sich geärgert über die Proteste gegen das Guggenheim Lab in Kreuzberg.
       Es war auch seine Idee, das Guggenheim Lab nach Kreuzberg zu holen. „Der
       Wrangelkiez ist heute lebenswerter als vor zehn Jahren. Davon profitieren
       auch die bisherigen Bewohner.“ Links zu sein, wiederholt Stöß immer wieder,
       heiße, keine Angst vor Veränderungen zu haben. Welche Werte verbindet er
       damit? „Freiheit“, sagt er sofort. Dann eine Pause. „Gerechtigkeit und
       Solidarität. Alle drei zusammen.“
       
       In einem Punkt wird Stöß, sollte er gewählt werden, für Reibungen sorgen:
       Die CDU sieht er nicht als den richtigen Partner, daraus macht er keinen
       Hehl. „Für mich ist klar: Beim nächsten Mal müssen wir einen rot-grünen
       Wahlkampf führen.“
       
       23 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Juliane Schumacher
       
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