# taz.de -- Karneval der Kulturen: Straßenumzug? Ohne uns!
       
       > Der Senat plane, Gruppen des Karnevals finanziell zu unterstützen, hieß
       > es kürzlich aus dem Büro des Kulturstaatssekretärs Schmitz.
       > Integrationssenatorin Kolat dementiert. Für die Teilnehmer heißt das: Sie
       > müssen betteln gehen
       
 (IMG) Bild: Sieht super aus, aber wer gibt das Geld dafür: eine bolivanische Gruppe beim Karneval 2011.
       
       Auf den eng taillierten Mänteln mit den überlangen weiten Ärmeln bilden
       aufgenähte Bordüren verschlungene Ornamente, die Pflanzen und Tiere
       symbolisieren. Tanzen die tscherkessischen Frauen in ihren bodenlangen
       Trachten, wirkt es, als schwebten sie über dem Boden. Die schwarzen Mäntel
       der Männer zieren in Brusthöhe Patronenhülsen, die einst teils tatsächlich
       Schießpulver, teils Essensnotrationen enthielten.
       
       Gut 1.000 Euro kostet ein solches Kostüm, sagen Duran Kaya und Canan Keskin
       vom Tscherkessischen Kulturverein Berlin. Einer der Gründe, warum die
       Tscherkessen in diesem Jahr nicht am Karneval teilnehmen: Es fehlt ihnen
       schlicht das Geld für den teuren Event – wie vielen kleinen Gruppen oder
       Vereinen.
       
       Schon seit Langem fordern die OrganisatorInnen und viele TeilnehmerInnen
       des Karnevals deshalb finanzielle Unterstützung für die Gruppen durch den
       Senat. 750.000 Euro beträgt der derzeitige Gesamtetat für den Karneval,
       270.000 davon kommen aus dem Berliner Haushalt, der Rest von Sponsoren und
       aus Einnahmen des Straßenfestes. Das Geld werde aber für
       Sicherheitsmaßnahmen wie Absperrungen und Logistik wie etwa Besucher-WCs
       vollständig aufgebraucht, sagt Nadja Mau von den Karnevalsorganisatorinnen.
       Die Gruppen müssen die Kosten für ihre Wagen selbst aufbringen.
       
       Es sei Abhilfe geplant, hatte die Pressestelle des Staatssekretärs für
       Kultur, André Schmitz, kürzlich auf Anfrage der taz mitgeteilt (taz
       berichtete): Konzepte für entsprechende Finanzierungsmodelle seien „unter
       Federführung des zuständigen Ressorts in Planung“, hieß es in der Antwort.
       Doch die zuständige Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) dementierte das
       am Donnerstag: Für finanzielle Unterstützung der Karnevalsgruppen sei im
       Haushalt kein Spielraum, sagte Kolat der taz.
       
       Die meisten der Berliner TscherkessInnen sind aus der Türkei eingewandert.
       Ihre Kinder werden an den Schulen und in den Statistiken zu den
       Einwanderern türkischer Herkunft gezählt. Nur wenige sprechen noch die
       alten tscherkessischen Sprachen. Das einst im Nordkaukasus ansässige Volk,
       das im 19. Jahrhundert von dort vertrieben wurde, lebt heute zerstreut in
       ganz Europa, der Türkei und einigen arabischen Ländern.
       
       ## Zeigen, dass es sie gibt
       
       Gerade deshalb ist der Karneval den TscherkessInnen wichtig. Seit zwei
       Jahren hat er sich für sie zu einer Art Bundestreffen entwickelt. „Wir
       wollen unsere Kultur nicht nur nach innen pflegen, sondern auch nach außen
       darstellen, dass es uns gibt“, sagt Duran Kaya vom Tscherkessischen
       Kulturverein Berlin. Etwa 100 TscherkessInnen aus ganz Deutschland reisten
       im vergangenen Jahr zu dem Multikulti-Fest an, etwa eine Tanz- und
       Musikgruppe aus Köln.
       
       Etwa 5.000 Euro kostete die rund 40 Mitglieder des Berliner
       Tscherkessenvereins die Teilnahme am Karneval 2011: Kosten vor allem für
       die Unterbringung von Gästen und Kostüme für die TeilnehmerInnen, sagt
       Duran Kaya. Zwei private SponsorInnen brachten im vergangenen Jahr einen
       Großteil der Summe auf. Eine von ihnen, eine in der Schweiz lebende
       Tscherkessin, verstarb kürzlich 80-jährig. Für die Tscherkessen heißt das:
       Sie können sich die Teilnahme am Karneval in diesem Jahr nicht leisten.
       „Traurig“ seien sie darüber, sagt Duran Kaya: „Viele hatten das schon lange
       eingeplant.“
       
       Auch für die Theatergruppe Kalibani ist die Teilnahme am Karnevalsumzug in
       diesem Jahr geplatzt. Bereits dreimal war das Ensemble aus
       SchauspielerInnen mit und ohne Behinderungen dabei. In diesem Jahr war eine
       gemeinsame Performance mit Roma-MusikerInnen und KünstlerInnen geplant. Ein
       langfristiges Projekt sollte daraus entstehen, so Klaus Erforth, Chef der
       Kalibani-Truppe: „Wir wollten ein künstlerisches Programm entwerfen, dass
       wir für Straßenfeste und Theateraufführungen weiterentwickeln wollten.“
       Doch obwohl in die gesellschaftliche Integration der Roma in Berlin derzeit
       investiert wird, blieb die Suche nach SponsorInnen erfolglos.
       
       Knapp 100 Gruppen nehmen jährlich am großen Straßenumzug des Karnevals teil
       – und immer wieder sind neue dabei. Dass der Umzug trotzdem nicht länger
       wird, liegt an technischen und Sicherheitsaspekten, die seine Länge
       begrenzen. Aber auch daran, dass vielen Gruppen die regelmäßige Teilnahme
       aus finanziellen Gründen nicht gelingt. Je nach Größe der Gruppe und
       Aufwand ihres Auftritts kann die Teilnahme am Umzug zwischen 2.000 und
       20.000 Euro kosten. Teilnahmegebühren fallen nicht an – es geht um die
       Kosten für Wagen, Dekoration, Kostüme, Musikanlagen.
       
       5.000 Euro hätten die Kalibanis allein als Miete für den Umzugswagen
       bezahlt. Es musste ein Tieflader sein, erklärt die Künstlerin Kerstin
       Janewa, Kostüm- und Bühnenbilderin der Gruppe: Damit auch TeilnehmerInnen
       mit geistigen und körperlichen Handicaps während des Umzugs gefahrlos auf-
       und absteigen können. Für die Dekoration des großen Fahrzeugs war sie
       bereits in Vorleistung gegangen: Fast 100 Gesichter schauen die Besucher
       ihres kleinen Ateliers im Wedding an, quadratische Bildnisse, die an
       afrikanische Masken, kubistische Porträts oder Roboter, wie sie Kinder aus
       alten Pappkartons bauen, erinnern.
       
       ## Mit Nachbarskindern
       
       Gemalt wurden sie von Mitgliedern der Kunstgruppen, mit denen Janewa
       arbeitet, und von Kindern aus der Nachbarschaft, kurdischer, türkischer,
       Roma-Herkunft. Die Porträts will Janewa nun auf dem kleinen Stand
       verkaufen, den sie auf dem Straßenfest betreiben wird. Und statt beim Umzug
       wird die Kalibani-Gruppe ihre Performance auf der Wiese am Blücherplatz
       aufführen.
       
       Dabei könnten schon kleine Summen große Unterstützung bedeuten. Hat man
       erst eine Grundsumme, wie sie mit dem Fonds möglich wäre, ist es auch
       leichter, weitere Geldgeber zu finden, weiß Klaus Erforth von den Kalibani
       aus langer Erfahrung mit Theaterprojekten: Viele Sponsoren finanzierten
       gern kleinere oder größere Summen zu, schreckten aber vor Anträgen auf
       große Summen zurück.
       
       Das hat auch Barbara Saltmann erlebt: Etwa 25.000 Euro hätte ihr Verein
       aufbringen müssen, um mit einem großen dekorierten Wagen am Karnevalsumzug
       teilzunehmen, sagt die Vorsitzende der Caribbean European United Society
       (CEUS). Der Verein wollte in diesem Jahr erstmals am Karnevalsumzug
       teilnehmen: Um die 50-jährige Unabhängigkeit Jamaikas zu feiern „und unsere
       50-jährige Freundschaft mit Deutschland“, wie die gebürtige Jamaikanerin
       Saltmann ergänzt. Von der Ursprungsidee mit eigenem Wagen musste der Verein
       jedoch Abstand nehmen. „Wir hatten gehofft, dass es einfach wäre, Spenden
       zu bekommen“, sagt Saltmann. „Aber 25.000 Euro waren den meisten zu viel.“
       
       Nun laufen die Berliner JamaikanerInnen als Fußgruppe vor dem Wagen des
       Kulturvereins Yaam mit: „Yaam war unsere Rettung“, so Saltmann. „Cool
       runnings“ lautet das Motto ihrer Gruppe – in Anlehnung an den Spielfilm
       über die erste jamaikanische Rodlermannschaft. Einen gebrauchten Bob für
       den Umzug hat Saltmann aus eigenen Mitteln bezahlt und auf Räder stellen
       lassen. In ihrem jamaikanischen Restaurants verkauft sie T-Shirts zu dem
       Event, um damit wenigstens einen Teil der Teilnahmekosten zu finanzieren.
       
       Für die Tscherkessen gibt es dazu sowieso keine Alternative: „Wir brauchen
       die Fläche der Straße für unsere Tänze“, sagt Duran Kaya. Einen teuren
       Umzugswagen braucht die Gruppe nicht. Auf finanzielle Hilfe ist der Verein
       dennoch angewiesen: „Wir brauchen dringend mehr Kostüme“, sagt Kayas
       Vereinskollegin Canan Keskin. Nicht jedes Mitglied ihrer Gruppe besitzt
       eines. Die Trachten müssen aus dem Kaukasus importiert oder hier genäht
       werden: Kosten pro Stück etwa 1.000 Euro, schätzen die zwei. Sie wollen
       nächstes Jahr unbedingt wieder dabei sein: „Wenn es da Unterstützung gäbe –
       das wäre schon super“, sagt Duran Kaya.
       
       25 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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