# taz.de -- Tour-Auftakt von Bruce Springsteen: Magische Männlichkeit
       
       > Bruce Springsteen zeigt sich zum Auftakt seiner Deutschland-Tour in
       > Frankfurt am Main von seiner besten Seite. Er hat alle großen Gesten für
       > das Stadion drauf.
       
 (IMG) Bild: Erprobte Gesten: Bruce Springsteen stellte in Frankfurt sein neues Album „Wrecking Ball“ vor
       
       Der Boss hat Open-Air-Wetter bestellt, Sonne durchflutet die mit 41.000
       Leuten ausverkaufte Commerzbank-Arena. So heißt das Frankfurter Waldstadion
       jetzt. Eine Woche nach der Anti-Bloccupy-Blockade des Bankenviertels durch
       die Polizei singt Springsteen von fetten Bankern, die sich auf Kosten der
       Armen den Bauch vollschlagen. Doch fett sind heute wohl eher die Armen,
       denen drei Jobs nicht zum guten Leben reichen; Banker ernähren sich gesund
       und arbeiten an ihrer Fitness.
       
       Journalisten sitzen auf „Businessseats“, gepolsterten Ledersesseln, Essen
       und Trinken frei. Im Publikum: Business-People im Freizeitlook, Mokassins,
       Siebenachtelhosen, Streifenhemden, Karoblusen, robustes Schuhwerk,
       Outdoorstyle, Jack Wolfskin, Ralph Lauren. Eingeborene, so weit das Auge
       reicht. Mögen Migranten keinen Bruce? Die weniger Weißen bewachen nur die
       Türen oder verkaufen Drinks.
       
       Dabei ist Springsteens Band ein Einwanderungsland. Schon im sechsten Song
       des Abends stellt er die knapp zwanzig Leute vor. „City of ruins“ ist ein
       Remake von „People get ready“, Curtis Mayfields Gospel, eine Hymne der
       Bürgerrechtsbewegung. Die feierlich gedachte Symbolik verpufft beim
       Frankfurter Publikum, hier gibt’s keine GIs, schon gar keine schwarzen.
       
       Star der schwarz-weiß gemischten Bläsersektion ist Jake Clemons, der Neffe
       von Springsteens ewigem Saxofonisten Clarence Clemons, der vor einem Jahr
       gestorben ist und hier ebenso gewürdigt wird wie Danny Federici,
       Gründungsmitglied der E-Street-Band, verstorben 2008.
       
       ## Gospeliger Chorgesang
       
       Jake Clemons ist eine imposante Erscheinung wie sein Onkel, mit Hornbrille
       und Afro könnte er aber auch einer Post-Alles-Band wie TV On The Radio
       entsprungen sein. Jedenfalls jubeln die Fans, wann immer er auf der
       Großleinwand auftaucht. Noch mehr Jubel bei Steve Van Zandt, der Stoiker
       mit dem Bandana von den Sopranos.
       
       Für gospeligen Chorgesang und Perkussion sind zwei Schwarze zuständig, die
       rothaarige Frau, deren Namen ich nicht verstanden habe, spielt Gitarre und
       Fiedel und man versteht, warum der FAZ-Rezensent sich zu dem Wortspiel
       hinreißen ließ, Springsteen habe die neue Platte vergeigt. Ist sie Irin?
       
       Nils Lofgrens Vorfahren kommen aus dem Skandinavischen, früher im
       Rockpalast hat er immer einen Salto gemacht, mit Gitarre um den Hals,
       diesmal begnügt er sich mit einer Art Brummkreisel, großer Applaus. Über
       allem trommelt „the mighty Max Weinberg“.
       
       Keine fünf Kilometer von der Commerzbank-Arena liegt die
       Carl-von-Weinberg-Schule, benannt nach einem jüdischen Industriellen und
       Philanthropen, der vor den Nazis nach Italien floh. Ein Schmelztiegel aus
       Springsteens American Dream, diese Einwanderungs-Band, merkwürdig der
       Kontrast zu diesem weißen Publikum.
       
       ## Zurück ins Jahr 1973
       
       Der American Melting Pot ist das musikalische Konzept hinter dem aktuellen
       Programm. Die Bläser marschieren in Reih und Glied kreuz und quer über die
       Bühne wie bei einer Beerdigung in New Orleans, Geige und Akkordeon bringen
       TexMex- und Cajun-Flavour, wenn die Geige nicht gerade fiddelt wie im Irish
       Pub. Nach ein paar vergeigten Pflichtnummern aus dem neuen Album kehrt
       Springsteen dorthin zurück, wo er sich am wohlsten fühlt: ins Jahr 1973.
       
       Songs wie „E-Street Shuffle“ hört man an, dass sie aus einer Zeit stammen,
       als das Stadionrock-Patent noch nicht erfunden war. Die Bläser geben dem
       straighten Rocksoul einen Dreh ins Van-Morrison-hafte, für ein paar Minuten
       klingt das nach Club. „Darkness on the edge of town“, ein ruhiger Song aus
       den späten Siebzigern, evoziert Bilder aus einer präglobalisierten
       amerikanischen Jungs-Adoleszenz, deren Idole James Dean und Marlon Brando
       hießen.
       
       Das New York der E-Street-Band ist das Scorsese-New-York der Taxi Driver in
       den Mean Streets, nicht das Warhol-New-York der Tunten und Transen im
       Velvet Underground. Springsteen und Van Zandt sind Robert De Niro und
       Harvey Keitel, kernige Rauh-aber-herzlich-Typen, noch nicht angekränkelt
       von Zweifeln an ihrer Männlichkeit. Bevor man weiter ins Grübeln kommt,
       verlangt dann wieder das Stadion sein Recht.
       
       Es braucht große Gesten für die große Leinwand, der Boss hat sie alle
       drauf. Handkuss, Kinder auf die Bühne, eine Liebeserklärung an die
       abwesende Gattin auf Deutsch, Call & Response, Singalong, die ganze
       Routine, inclusive Stadionkuschelrock-Powerballade.
       
       Und wenn die Rothaarige zur Fiedel greift, dann gibt’s Stadionschunkelrock
       mit Squaredance-Einlagen.
       
       29 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Walter
       
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