# taz.de -- Stuttgarter Festival „Literatur & Strom“: Was Netz-Autoren wollen
       
       > Wenn Netzliteraten über die Urheberrechtsdebatte sprechen, dann hagelt es
       > Kriegsmetaphern. Sie kämpfen gegen das Urheberrecht und für die Raubkopie
       > – warum eigentlich?
       
 (IMG) Bild: Wer im Netz gehört werden will, braucht die Vervielfältigung.
       
       „Argumentationsbombardement“, „Sperrfeuer“ einer „Contentindustrie“:
       Netzkünstler wie Johannes Auer kritisieren die Brandmarkung von
       Raubkopierern und loben die Vervielfältigung von Inhalten durch
       Tauschbörsen. Ihre Begründung: Ohne online-Multiplikatoren überlebt Kunst
       auf Dauer nicht.
       
       Vor allem ihre eigene. Netzkünstler sind die Piraten des Kulturbetriebes.
       Seit der Erfindung des World Wide Web experimentieren sie mit den
       Möglichkeiten des Internets und veröffentlichen ihre Texte frei im Netz.
       Ihre Sprache ist der HTML-Code. Sie schreiben Texte, die selten als Buch
       erscheinen, weil man sie im Grunde nicht adäquat abdrucken kann. Ihre
       Literatur funktioniert nur am Computer. Der Leser bewegt sich via Mausklick
       durch ihre Geschichten. Per Entertaste zerschießt er Gedichte. Er darf
       auswählen: Willst du Veronika zum Taxi folgen oder lieber bei den anderen
       Figuren in der Kneipe bleiben? In Auers „Search Sonata 181“ gibt er
       Suchbegriffe ein, und ein Automat spuckt über einen komplizierten
       Algorithmus neue Wörter aus: „reeteret err eett eerr eer“.
       
       Technik ist für die Autoren kein Problem. „Meine Texte programmiere ich
       alle selber“, sagt Auer. Er gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen
       Netzliteraten und schreibt fürs Internet ungefähr seitdem es das Internet
       gibt. Er schätzt es als unbegrenzten Informations-Pool, in dem sich das
       Wissen der Menschheit auf non-hierarchische Weise konservieren lässt.
       „Übers Urheberrecht wollen Sie mit mir sprechen?“ fragt er. „Reden Sie doch
       lieber mit meinem Kollegen Michael Lentz.“ Der
       Ingeborg-Bachmann-Preisträger unterschrieb einen öffentlichen Aufruf gegen
       Diebstahl geistigen Eigentums in der ZEIT. Gefallen hat Auer das offenbar
       nicht. Aller Polemik zum Trotz hat er Lentz kürzlich zum Festival
       „Literatur und Strom“ in Stuttgart eingeladen.
       
       „Wir haben eigene Probleme“, meint er weiter. „Webbrowser und
       Softwareupdates. Reden Sie mal mit meinem Kollegen Beat Suter: Der hat
       Schwierigkeiten, Apps zu programmieren, weil ein paar wenige Anbieter den
       Markt diktieren.“ Ihm wäre es lieber, wenn im Internet die Quellcodes
       komplett kostenfrei zugänglich wären. In seiner künstlerischen Freiheit
       fühlt er sich durch „proprietäre Software“ oft eingeschränkt.
       
       ## Kulturflatrate ist die einzige Lösung
       
       Freitagabend im Stuttgarter Literaturhaus. Zehn kleine Tische stehen vor
       der Bühne, zwei davon sind frei. Oben auf der Bühne Michael Lentz im grauen
       Anzug und gestärktem Hemdkragen, unten Auer und Beat Suter im T-Shirt bei
       kühlem Bierchen. Es ist die gleiche Veranstaltung, und doch begegnen sich
       hier zwei Positionen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. „Wenn
       man Wissen zur Ware erklärt, dann behindert man adäquate Archivformen für
       das digitale Zeitalter“, kritisiert Auer. Ihm schwebt eine Kulturflatrate
       vor.
       
       Eine andere Lösung haben auch Netzliteraten nicht parat. Wer mit
       Netzliteratur Geld zu machen versuchte, der wählte bislang den
       traditionellen Weg und versuchte, sein Werk – entgegen aller medialer
       Probleme – als Buch abzubilden. Ohne Erfolg. Thomas Hettche (auch er
       unterzeichnete übrigens den Aufruf zum Urheberrechteschutz) veröffentlichte
       2001 seine Internet-Anthologie „Null“ in gedruckter Form. Den Titel erhält
       man inzwischen nur noch antiquarisch. Alban Nikolai Herbst unterhält seit
       2004 das stetig wuchernde literarische Weblog „DschungelAnderswelt“.
       Bislang wollte kein Verlag den Text drucken.
       
       ## Ohne Tauschportale geht es nicht
       
       An das Portal-Modell klammern sich Netzautoren folglich, weil ihre eigene
       Existenz davon abhängen könnte. Wer ihre Texte kopiert oder verlinkt, der
       hilft sie zu veröffentlichen und zumindest so etwas wie eine Infrastruktur
       für den potentiellen Vertrieb von Netzliteratur aufzubauen. Über
       Tauschportale könnte man ihre Seiten per Link ansteuern. Ohne sie sind es
       einsame Eilande, auf denen man nur durch Zufall strandet. „Natürlich kann
       ich nicht von meiner Dichtung leben“, gibt Auer zu. „Ich leite Kurse. Ich
       lehre an der Universität. Ich kuratiere Veranstaltungen wie diese. Ist
       übrigens nicht unüblich für diesen Bereich.“ Um die Veröffentlichung seiner
       Texte kümmert er sich selber.
       
       Dass manche Künstler diese Portale gerne verschwinden sähen, ist ihm daher
       ein Dorn im Auge. Die Rezipienten, so die Hoffnung, könnten zumindest bei
       der technischen Archivierung mithelfen. Schon jetzt muten manche Netztexte
       wie Dokumente eines anderen Zeitalters an. Inhalte verrutschen, Grafiken
       verschwinden, Schriftzüge blinken in grellem Las-Vegas-Rot über den
       Bildschirm. Susanne Berkenhegers „Zeit für die Bombe“ (1997) funktioniert
       nur mit Netscape. Die Aktualität der Netzliteratur hält nicht lange an.
       Manch einer mag den Mechanismen des gemächlichen Buchmarktes
       hinterherträumen.
       
       Doch so problematisch schon die Umsetzung des Buches und seiner
       Marktmechanismen im Netz scheint: Für die Netzliteratur ist sie umgekehrt
       mindestens ebenso schwierig. Es scheitert am Medium selber. Als gedrucktes
       Buch lässt sich Literatur zwar verkaufen. Literatur, die mit dem Medium
       Internet spielt, kann aber auf Papier nicht mehr funktionieren. Ein
       alternatives Marktmodell existiert umgekehrt im Netz bislang nicht. Bis auf
       weiteres werden Netzautoren deshalb frei zugänglich im Netz stehen. Als
       Eilande.
       
       29 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Isabel Metzger
       
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