# taz.de -- Nur ein Bender-Zwilling darf zur EM: ... armer Sven!
       
       > Einer der Bender-Zwillinge darf mit zur Fußball-EM, der andere bleibt zu
       > Hause. Wie das schmerzt, wenn dem einen Zwilling mehr gelingt als dem
       > anderen, weiß unser Autor.
       
 (IMG) Bild: Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteiltes Glück doppeltes Glück: die Bender-Zwillinge.
       
       Kundigere Sportskameraden erzählen von den Kremer-Zwillingen auf Schalke –
       junge Männer, damals in den siebziger Jahren, die in der Nationalmannschaft
       spielten, einzeln, getrennt, der eine mit einer besseren Karriere,
       vielleicht auch einem Tick mehr Talent als der andere. Wer will das
       beurteilen? Und nun die Benders: Sven von Borussia Dortmund, den
       Fußball-Nationaltrainer Jogi Löw nicht in die Ukraine und nach Polen
       mitnehmen wird, sein Zwillingsbruder Lars von Bayer Leverkusen, der
       mitreisen darf. Spielen für Deutschland bei der Europameisterschaft,
       womöglich, mit viel Glück, mit der Hand auf dem Pokal … armer Sven!
       
       Wenn dem einen Zwilling mehr gelingt als dem anderen, weil es der
       Nationaltrainer oder der liebe Gott oder beide so wollen, dann schmerzt das
       den anderen umso mehr. Der Autor dieser Zeilen spricht da als Experte.
       Nicht, weil ihn je ein Ruf in eine Deutschlandauswahl ereilt hätte oder
       ereilen wird, was an sich schon ungerecht ist, sondern weil er Zwilling
       ist. Ein – dieses Wort stolperfrei auszusprechen lernt man schon als
       Sechsjähriger – ein-ei-iger, wohlgemerkt. Das andere, zweieiig, ist nett,
       aber nicht wirklich Zwilling, eher: einfacher Bruder mit zufällig gleichem
       Geburtsdatum.
       
       Ein eineiiger Zwilling zu sein ist ein Geschenk, ein unverdientes.
       Natürlich, da ist auch immer etwas Konkurrenz, weil der andere ja genetisch
       das Gleiche mitgekriegt hat wie man selbst und womöglich mehr daraus macht
       (weshalb man als Zwilling übrigens die Diskussion um Wohl und Wehe des
       Klonens etwas gelassener zu betrachten neigt). Vor allem aber profitiert
       man als Zwilling von seiner besonderen, noch immer ziemlich seltenen
       Geschwisterkonstellation. Es soll eineiige Zwillinge geben, die sich
       zerstritten haben oder gar befeinden. Kennengelernt aber habe ich ein
       verfeindetes Zwillingspaar noch nie– ich halte eine solche brüderliche
       Feindschaft für sehr selten.
       
       Denn das Glück überwiegt. Als Zwilling ist man einem Menschen ein Leben
       lang so nahe wie sonst nur dem Partner, wenn es gut läuft (oder der Mutter,
       wenn es nicht so gut läuft). Einer der Bender-Brüder hat einmal in einem
       Interview gesagt, er könne nachempfinden, wie es seinem Bruder in
       bestimmten Situationen auf dem Spielfeld ergehe – das ist der Kern des
       Segens, ein Zwilling zu sein: Das stets instinktiv geteilte Glück ist
       doppeltes Glück, das geteilte Leid halbes Leid, pathetisch gesagt.
       
       ## Immer 100, manchmal 150 Prozent
       
       Man muss als Zwilling nicht miteinander wohnen, täglich telefonieren oder
       gar in gleicher Kleidung rumrennen, um selbst nach Jahren auch der
       räumlichen Entfernung voneinander ziemlich genau zu wissen, was der andere
       denkt, fühlt oder sagen wird. Ein Zwilling ist wie ein lebenslanger Freund,
       mit dem man nicht viel reden muss, mit dem man viel schweigen kann, ohne
       dass es peinlich wird. Umso mehr kann man mit ihm lachen, denn der Humor
       ist mit Sicherheit sehr ähnlich.
       
       Man fühlt sich als Zwilling nicht halb ohne den anderen – und das ist
       gerade für Kinder, was in den ersten Jahren sehr nervt, nur schwer zu
       verstehen. Nein, man fühlt sich wie 100 Prozent, und manchmal, mit dem
       anderen, wie 150 Prozent, reicher jedenfalls als die vielen „normalen“
       Menschen, die dieses Gefühl als Nichtzwillinge nicht kennen können.
       
       Sven Bender hat nach dem gemeinsamen Gewinn der Europameisterschaft des
       U19-Nationalteams 2008 gesagt, das Zwillingsein habe sie stärker gemacht,
       weil sie einander helfen und so ihr Spiel verbessern konnten. Was für eine
       Freude muss der Gewinn dieser Meisterschaft gewesen sein!
       
       Doch Sven Bender wird es schwerhaben, wenn er seinen Bruder in wenigen
       Tagen für die deutsche Elf im Fernsehen auflaufen sieht. Dafür hat er die
       deutsche Meisterschaft und den Pokal gewonnen. Und das Herz, so ahne ich
       als Zwilling, wird ihm trotzdem vor Freude hüpfen, wenn seinem Bruder im
       Nationaltrikot etwas glückt – und wenn etwas schiefläuft, wird ein Anruf
       dem Bruder helfen. Auch wenn nur wenige Worte fallen.
       
       29 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Gessler
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