# taz.de -- Regisseurin über Filme für Demenzkranke: "Ich verliere langsam die Angst"
       
       > Sophie Rosentreter zog sich für den Playboy aus und moderierte bei MTV.
       > Nachdem ihre Großmutter an Alzheimer starb, begann sie, Filme für
       > Demenzkranke zu drehen.
       
 (IMG) Bild: Sagt, sie sei mittlerweile selbst zu einem Produkt geworden: Sophie Rosentreter.
       
       taz: Frau Rosentreter, am 18. Juni 2009 ist ihre Großmutter Ilse Bischof
       nach neun Jahren Alzheimer gestorben und das hat Ihr Leben völlig
       verändert. Wie erinnern Sie diesen Tag? 
       
       Sophie Rosentreter: Es war klar, dass sie geht und es war auch in Ordnung,
       weil wir wussten, dass es gut ist, wenn sie jetzt langsam erlöst wird. Und
       für mich war klar, dass ich die letzten Stunden bei ihr bleibe. Das war
       dann ganz merkwürdig, als sich alle verabschiedeten, das Heim leer und es
       dunkel wurde. Ich hatte mein Bett neben Omis geschoben und mir wurde
       gesagt, was passieren wird – dass sie röcheln und sich der Körper schütteln
       wird.
       
       Es ist eine Sache, sich das Sterben erklären zu lassen oder es selbst zu
       sehen. 
       
       Es war wirklich faszinierend, wie der Tod in dieser Nacht vier Mal kam und
       ihren Körper plötzlich geschüttelt hat und ich merkte, wie sie ihre letzte
       Kraft in sich zusammensuchte und sich dagegen wehrte und sagte, nein, es
       ist noch nicht so weit.
       
       Sie hat die Nacht überlebt? 
       
       Ja. Am nächsten Tag war ich dann kurz draußen und erzählte der Familie von
       der Nacht. Als ich zurück kam sagte mir die Schwester, sie hat es
       geschafft. Das hat mich schon getroffen. Aber die Schwester hat mich in den
       Arm genommen und gesagt, das sei ganz normal. Später habe ich mit
       Sterbebegleitern gesprochen und die sagten mir, zu 95 Prozent erleben sie
       es, dass die Menschen gehen, wenn keiner im Raum ist.
       
       Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrer Großmutter? 
       
       Ganz inniglich! Sie wohnte im zweiten Stock über uns, ihr Ehemann starb
       kurz bevor ich geboren wurde und insofern waren meine Mutter, mein Vater
       und ich ihr Angelpunkt. Mein Vater war viel auf Reisen und wenn ich aus dem
       Kindergarten oder der Schule kam sind meine Mutter und ich immer zu ihr
       nach oben gegangen, haben zusammen gegessen und bis ich 14 Jahre alt war
       haben wir gemeinsam Mittagsschlaf gemacht.
       
       Was änderte sich, als Ihre Großmutter krank wurde? 
       
       Ein Beispiel: Es war Weihnachten und Omi hatte die Geschenke schon Tage
       vorher gekauft und versteckt – das hat sie jedes Jahr gemacht. Aber in der
       Demenz vergisst man Dinge, weil man das Hier und Jetzt nicht mehr
       abspeichern kann. Wir kamen also aus der Kirche, mein Vater hatte die
       Kerzen am Baum angezündet und dann platzte Omi rein: „Ihr habt mich
       beklaut, ich weiß es ganz genau, meine ganzen Geschenke sind weg!“ Das hat
       meiner Mutter das Herz gebrochen. Erst heute weiß ich, wie schlimm das für
       meine Omi gewesen ist, das Gefühl zu haben, beklaut zu werden –
       wahrscheinlich sogar von der eigenen Familie.
       
       Wie sind Sie damals damit umgegangen? 
       
       Es gab Phasen in der Demenz, wo auch ich sauer wurde, einfach, weil ich die
       Krankheit nicht begriffen haben und sie morgens um vier Uhr vor der Tür
       stand und geklingelt hat oder alle fünf Minuten runterkam. Dieser
       Rollenwechsel hat meine Energie und noch mehr die meiner Mutter gekostet.
       In den letzten zwei Jahren war sie im Heim und es wurde besser. Ich habe
       ihr Musik und Fotos mitgebracht, weil ich merkte, über Worte kann ich sie
       nicht mehr erreichen und das war ihr auch nicht wichtig. Unser Verhältnis
       wurde wieder sehr warm.
       
       Nach dem Tod Ihrer Großmutter hätten Sie ja auch Abstand gewinnen wollen,
       stattdessen haben Sie begonnen, Filme für Demenzkranke zu drehen und Ihr
       ganzes Berufsleben diesem Thema zu widmen. Warum? 
       
       Warum nicht?
       
       Weil man lieber ausblendet, dass man alt wird und vielleicht dement? 
       
       Ja, aber warum?
       
       Weil das Angst macht! 
       
       Aber es macht doch nur Angst, weil wir uns damit nicht beschäftigen. Das
       ist wie mit dem Thema Tod. Die große Angst ist, den Tod einzuladen, wenn
       man zum Beispiel über Patientenverfügungen spricht. Oder dement zu werden,
       wenn man über die Krankheit spricht. Ich verliere aber langsam die Angst
       davor, dement zu werden. Natürlich würde ich weinen, wenn ich die Diagnose
       bekomme, aber es ist nicht mehr so grauenvoll, weil ich mich jetzt schon
       damit auseinandersetze.
       
       Die Krankheit nimmt uns das, was uns ausmacht: die Erinnerung. Wie kann man
       damit seinen Frieden machen? 
       
       Man kann sich auch mit der Krankheit noch entwickeln. Die Menschen driften
       vielleicht immer mehr in ihre Welt, aber sie sind ja noch da. Und ich finde
       den Begriff Demenz auch total bescheuert, denn er bedeutet „ohne Geist“
       oder „weg vom Geist“. Aber wenn die Demenzkranken etwas sind, dann sind sie
       Geist und Seele, denn sie kommen ja ganz zu sich und sind kaum noch dabei,
       zu denken oder sich zu strukturieren.
       
       Wieso haben Sie sich entschieden, Filme die Demenzkranke zu drehen? 
       
       Der Fernseher wird in der häuslichen und in der stationären Pflege von
       Demenzkranken oft als elektronischer Babysitter eingesetzt. Aber ich habe
       gesehen, dass es die Demenzkranken überhaupt nicht erreicht. Meine
       Großmutter konnte irgendwann gar nicht mehr fernsehen, das hat sie
       abgestoßen.
       
       Auch meine andere Großmutter, die ebenfalls im Heim war, wurde oft vor dem
       Fernseher geparkt und hat irgendwann nur noch ein einziges Wort gesagt:
       „Krombacher“. Sie wollte aber weder die Sportschau sehen noch ein Bier
       trinken, sondern das wunderschöne Naturbild hatte sich bei ihr eingeprägt.
       Und ich dachte, wenn sie durch das Fernsehen noch ein neues Wort lernen
       kann oder sich einprägen kann, dann kann man das nutzen.
       
       Wie sehen Ihre Filme aus? 
       
       Für meinen ersten Film bin ich mit ein paar Freunden auf einen kleinen
       Bauernhof gegangen, auf dem meine Eltern eine Wohnung gemietet hatten, habe
       Schafe gedreht, Pferde gedreht, meine Freundin gedreht, wie sie Blumen
       gebunden, in der Erde gewühlt oder Äpfel gepflückt und reingebissen hat.
       Also ganz einfache Dinge, die Erinnerungen wachrufen und das Gefühl
       ansprechen. Und das haben wir dann in einem Heim getestet.
       
       Wie kam’s an? 
       
       Gleich zur ersten Testvorführung kamen 25 dementiell veränderte Menschen.
       Als ich den Film anmachte hörte das ganze Gebrabbel auf, der Schreier wurde
       ruhig und die Frau, die eigentlich immer laufen muss, konnte sich zumindest
       für eine Viertelstunde entspannen. Und dann ging in der Mitte des Saals
       plötzlich eine zitternde Hand nach oben, als gerade Pferde zu sehen und
       klassische Musik zu hören war. Und die Dame sagte: Mein Mädchenname wird
       gerufen! Und sie fing an zu erzählen, wie sie früher mit ihrem Bruder
       geritten sei. Hinterher kam die Therapeutin zu mir und sagte, es ist so
       lange her, dass sie so viele Sätze hintereinander gesprochen und ihren
       Mädchennamen gesagt hat. Da wusste ich, diese Filme sind eine Möglichkeit,
       die Menschen zu öffnen.
       
       Sie haben sich vor der Erkrankung Ihrer Großmutter ja auf ganz anderen
       Wegen bewegt. 
       
       Ich bin mit 16 Jahren abgehauen und habe im Ausland als Model gearbeitet.
       Es hat mir Spaß gemacht, mich in andere Rollen zu versetzen und mit meinem
       Körper zu arbeiten. Aber irgendwann verdummst du, weil es nur um das Äußere
       geht. Ich bin irgendwann abgesprungen, zurück nach Hamburg gegangen, habe
       mein Abi nachgeholt und habe als Moderatorin bei MTV angefangen.
       
       Und am besten war, dass ich Marilyn Manson, Red Hot Chili Peppers und wie
       sie alle heißen kennenlernen durfte. Aber auch das ist nicht nachhaltig
       gewesen. Das war eine große bunte und auch schöne Seifenblase, die
       irgendwann geplatzt ist. Ich bin dann bewusst hinter die Kamera gegangen.
       
       Aber dieser Kontrast von der Welt der Mode und Popstars in die der alten
       kranken Menschen verkauft sich jetzt ganz gut, oder? 
       
       Ich bin mittlerweile selbst zu einem Produkt geworden, aber wir würden hier
       heute auch nicht sitzen, wenn ich diese Geschichte nicht hätte. Ohne meine
       Vergangenheit würden mir die Leute nicht zuhören.
       
       Sie sagten, man müsse sich schon früh mit dem Thema Demenz beschäftigen.
       Wie kann man sich denn darauf vorbereiten? 
       
       Eigentlich müssten wir im gesunden Zustand schon eine Art Ich-Pass oder ein
       Tagebuch führen, aus dem hervorgeht, wer ich bin. Welche Musik höre ich
       gern, was esse ich gern, welchen Duft ich mag, damit die Menschen später
       wissen, wie sie mich erreichen können.
       
       Und? Haben Sie einen Ich-Pass? 
       
       Äh, im Moment noch nicht. Aber ich müsste mir auch über eine
       Patientenverfügung Gedanken machen, ich rede zwar mit meiner Familie
       darüber, wie ich sterben will. Trotzdem müsste ich es mal niederschreiben.
       
       3 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilka Kreutzträger
       
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