# taz.de -- Rassismus: Gegen das Vergessen
       
       > Mit Plakaten voller Todesanzeigen erinnert eine Initiative an die Opfer
       > rassistischer Gewalt. Die Zahlen von staatlichen und nichtstaatlichen
       > Stellen gehen stark auseinander.
       
 (IMG) Bild: Trümmer nach der Bomben-Explosion in Köln-Mühlheim 2004.
       
       In den vergangenen Tagen sind in allen Stadtteilen Berlins Plakate im Stil
       von Todesanzeigen aufgetaucht. Sie tragen den Namen und das Sterbedatum von
       220 Menschen, die seit 1990 Opfer rassistischer und rechtsextremer Gewalt
       wurden. Die OrganisatorInnen der Aktion zählen dazu auch Todesfälle von
       Asylbewerbern. Die Initiative, die sich selbst als ein „Zusammenschluss
       Assoziierter gegen rassistische Zustände“ bezeichnet, will laut ihrer
       Presseerklärung mit den Plakaten „an die Opfer erinnern und sie ins
       Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen“. Die Gruppe besteht aus
       FilmemacherInnen, freien KünstlerInnen sowie AktivistInnen aus
       queerfeministischen und antifaschistischen Zusammenhängen. Sie haben sich
       einmalig für die Aktion zusammengetan.
       
       Hintergrund sind die zehn Morde, die der „Nationalsozialistische
       Untergrund“ (NSU) von 2000 bis 2006 verübt hat, und der Umgang der
       staatlichen Behörden sowie der Medien damit. Die Morde wurden in der Presse
       in rassistischer Weise als „Döner-Morde“ bezeichnet. Unter den Opfern
       befanden sich acht Türken, ein Grieche und eine Deutsche. Die
       OrganisatorInnen der Plakataktion kritisieren, dass hauptsächlich der Name
       der deutschen Michèle Kiesewetter bekannt wurde, während die Namen der
       restlichen Opfer in Vergessenheit gerieten. „Die Namen der Opfer sind aus
       der gesellschaftlichen Wahrnehmung verschwunden und mit ihnen die
       gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen, die die Täter gedeckt und
       die Opfer zu Verdächtigen gemacht haben“, erläutert eine der
       OrganisatorInnen.
       
       Erst im Zuge der Enttarnung des NSU ab November 2011 nahmen die
       Ermittlungsbehörden von der Annahme Abstand, die Morde seien dem Bereich
       der „Ausländerkriminalität“ zuzuordnen. In den folgenden Monaten wurden
       durch den Bericht der thüringischen Untersuchungskommission weitreichende
       Ermittlungsfehler bei der Verfolgung der Täter aufgedeckt.
       
       Neben den zehn NSU-Mordopfern werden auf den Plakaten 210 weitere Namen von
       Menschen genannt, die seit 1990 laut den OrganisatorInnen rassistischen
       oder rechtsextremen Gewalttaten zum Opfer fielen. Als Quelle dafür geben
       sie die Listen der Amadeu Antonio Stiftung und der Antirassistischen
       Initiative (ARI) an. Neben den Morden wollen die OrganisatorInnen der
       Plakataktion zudem auf Todesfälle hinweisen, die im Rahmen von
       Asylverfahren und bei der Abschiebung von Flüchtlingen bekannt wurden: Sie
       benennen Tode durch Brechmitteleinsatz, Verbrennen in der Haftzelle,
       mangelnde medizinische Versorgung und Selbstmorde verzweifelter Häftlinge.
       „Wir wollen das ganze Ausmaß der rassistischen Gewalt in Deutschland
       sichtbar machen“, erklärt eine der OrganisatorInnen.
       
       Die Zahl der staatlich anerkannten Morde liegt mit 63 weit unter den
       Angaben dieser Listen. Das belegt den unterschiedlichen Maßstab, mit dem
       staatliche Behörden im Vergleich zu nichtstaatlichen wie der Amadeu Antonio
       Stiftung oder der ARI die Opfer zuordnen. Für den Staat ist nicht die
       rechtsextreme Gesinnung des Täters entscheidend, sondern ob sich seine
       politische Motivation in Bezug auf die Tat im Detail nachweisen lässt.
       Gewalttaten von Rechtsextremen, die von den vor Ort ermittelnden Polizisten
       als Raubüberfälle oder Rangeleien eingeschätzt werden, weil sie keinen
       Nachweis für die politische Motivation der Tat erkennen, fallen somit nicht
       in die Statistik. Selbst wenn ein Gerichtsbeschluss diese Einschätzung
       widerlegt, tauchen solche Fälle nicht zwangsläufig in der Statistik auf.
       „Die Zahlen der offiziell anerkannten und der nicht anerkannten Morde
       stehen in einem totalen Missverhältnis. Das spricht von einem staatlichen
       Unwillen, sich der menschenverachtenden Normalität zu stellen“, so eine der
       OrganisatorInnen.
       
       4 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Zoé Sona
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA