# taz.de -- Sexueller Gewalt vorbeugen: Das Schweigen brechen
       
       > Der Verein "Aufklärung" will vor sexuellem Missbrauch schützen - und
       > präsentiert sich ab morgen auf der Jugendmesse.
       
 (IMG) Bild: Prozess wegen Kindermissbrauch bei der Berliner Parkeisenbahn.
       
       Jedes Mal, wenn der Pfarrer das Bett des fünfjährigen Peter verlässt, mahnt
       er ihn: „Das muss unser Geheimnis bleiben, sonst kann dich keiner mehr
       leiden.“ Peter wächst in einem katholischen Waisenheim in Köln auf. Er
       vertraut sein Leid einer Schwester an. Sie verprügelt ihn und schickt ihn
       beichten – zum Pfarrer. Als Erwachsener wendet sich Peter an das Erzbistum.
       Er bekommt zur Antwort: „Das muss der Pfarrer mit dem lieben Gott und mit
       seinem Gewissen ausmachen.“ Als er sich später noch einmal beim Juristen
       des Bistums erkundigt, ist die Anfrage erneut vergeblich: Die Vorfälle,
       heißt es, seien längst verjährt.
       
       Heute ist Peter Bringmann-Henselder 60 Jahre alt. Er sitzt in einem Büro
       des Vereins „Aufklärung“ in Mitte, den er mitgegründet hat und der sich von
       morgen an auf der Jugendmesse YOU auf dem Messegelände präsentiert. Während
       er seine Geschichte erzählt, wirkt er ganz ruhig. Bringmann-Henselder
       berichtet regelmäßig vor Jugendlichen von seinen Erlebnissen. Er öffnet
       sich – in der Hoffnung, dass auch andere sich öffnen.
       
       „Ich will keine Entschädigung mehr, aber ich will helfen“, sagt er.
       Zusammen mit Michael Ermisch, ebenfalls Opfer sexueller Misshandlung, will
       er mit dem gemeinsamen Verein vor sexueller Gewalt, Missbrauch und
       Ausbeutung schützen und organisiert etwa Musik- und Filmprojekte für
       Jugendliche zum Thema.
       
       Nicht nur die präventive Arbeit sei wichtig, sagt Ermisch – Aufarbeitung
       und Hilfe für die vielen Opfer seien genauso notwendig. Die Vision des
       Vereins sei es, Opfer und Folgen sexueller Misshandlungen zu
       enttabuisieren. Als ehemalige Betroffene seien sie für diese Aufgabe
       besonders geeignet, glauben sie – nun wollen sie die Opfer ermutigen, ihr
       Gesicht zu zeigen und ihr Schweigen zu brechen.
       
       ## Zahlreiche Opfer
       
       Die Opfer sind zahlreich: Allein im Jahr 2010 hat das Bundeskriminalamt
       10.173 Misshandlungsfälle von Schutzbefohlenen und Kindern registriert,
       mehr als 600 davon in Berlin. In den vergangenen 20 Jahren gab es einen
       deutlichen Anstieg der Zahlen – allerdings hat sich auch das
       Anzeigeverhalten verbessert.
       
       Hier setzt auch der Verein „Aufklärung“ an: „Ich wollte nur vorbeischauen
       und habe dann zum ersten Mal alles erzählt“, erinnert sich Alex*. Der
       schlanke 20-Jährige sitzt aufrecht im Büro des Vereins, nur sein Blick
       wandert unruhig hin und her. Das Reden fiel ihm nicht leicht – als
       Bringmann-Henselder ihm jedoch von seinen eigenen Erfahrungen berichtete,
       konnte auch er sprechen.
       
       Mit 13 Jahren sei er von zwei Personen stundenlang vergewaltigt und
       bewusstlos an einer Bushaltestelle liegen gelassen worden, sagt Alex. Acht
       Jahre lang sei er zudem von seinem Vater brutal misshandelt worden. Diese
       Erinnerungen holen ihn immer wieder ein: „Es ist wie ein Bilderbuch im
       Kopf. Und manchmal bekomme eine unbeschreibliche Angst.“
       
       Als Alex vor zwei Jahren zu ihnen kam, hörten die Leute vom Verein
       „Aufklärung“ ihm erst einmal nur zu und übernahm dann die Kosten für eine
       sofortige Therapie. „Der bürokratische Weg dahin ist sehr lang“, erklärt
       Ermisch. Meistens seien die Opfer aber in einer akuten Notlage. Es sei dann
       unzumutbar, dass sie sich immer wieder unterschiedlichen Personen
       offenbaren und ihre Geschichten wieder und wieder aufrollen müssten, findet
       Ermisch. Inzwischen geht es Alex etwas besser. „Vergessen kann ich das
       nie“, sagt er. „Aber jetzt ist es erträglicher geworden.“
       
       Rund 4.500 Misshandlungsopfer hat der Verein in den vergangenen 20 Jahren
       betreut. Fünf Personen kümmern sich ehrenamtlich um die Männer und Frauen,
       Jungen und Mädchen. Bringmann-Henselder etwa ist pensioniert und widmet
       seinen Alltag ganz dem Verein. Viel Zeit koste etwa die Suche nach
       Sponsoren, sagt Ermisch. Auf der Jugendmesse YOU wollen sie ab morgen
       Jugendliche und Lehrer erreichen. Denn, so Ermisch: „Wer das Schweigen
       bricht, bricht die Macht der Täter.“
       
       * Name geändert
       
       7 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Borjana Zamani
       
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