# taz.de -- Griechenland und der Euro: Griechenlands Vorläufer
       
       > Ein Euro-Ausstieg der Hellenen würde Europa erschüttern. Aber die
       > Geschichte lehrt: Währungsverbünde hatten nur selten dauerhaft Bestand.
       
 (IMG) Bild: Reparaturarbeiten am Euro könnten auch Ausschlüsse aus der Währungsunion beinhalten.
       
       Die Spannungen in der Europäischen Währungsunion gefährden zunehmend das in
       der Nachkriegsgeschichte auf dem Kontinent Erreichte. Doch eine unter Druck
       vorangetriebene vertiefte Integration der politischen Gemeinschaft, wie sie
       aktuell diskutiert wird, ist keine Lösung und hat zudem kaum Aussicht auf
       dauerhaften Bestand. Gefragt ist vielmehr Gelassenheit: Veränderungen des
       Währungsregimes sind historisch betrachtet Alltag. Zudem gilt es die
       nationale Eigenverantwortlichkeit zu stärken: Europäische Integration muss
       wieder gewollt werden.
       
       Nachdem die Europäische Währungsunion ursprünglich mit dem (politischen)
       Versprechen startete, einen unwiderruflichen Währungsverbund zu formen,
       mehren sich aktuell die Anzeichen, dass mit Griechenland ein (erstes) Land
       bald wieder ausscheiden könnte.
       
       An die Stelle einer für die Ewigkeit angelegten Bindung würde damit –
       bereits im zweiten Jahrzehnt nach der Gründung – wieder ein deutlich
       schwächeres Währungsregime in Europa treten, mit zwar gemeinsamer Währung,
       aber wegen der de facto akzeptierten Ausstiegsoption mit spürbar
       verringerter Glaubwürdigkeit.
       
       ## Jede zweite Union zerbrach
       
       Auch wenn nur wenige ein solches Szenario (so schnell) erwartet haben,
       scheint diese Entwicklung doch aus historischer Sicht alles in allem wenig
       überraschend. Tatsächlich lehrt die Geschichte: Währungsverbünde haben
       selten dauerhaft Bestand. Empirische Studien zeigen zum Beispiel, dass in
       Lateinamerika die durchschnittliche Haltbarkeitsdauer einer
       Wechselkursfixierung nur etwa zehn Monate beträgt; nur sechs größere
       Volkswirtschaften (mit offenem Kapitalmarkt) operierten Mitte der 1990er
       Jahre mit einer Wechselkursanbindung, die seit mehr als fünf Jahren
       existierte.
       
       Auch festere Währungsverbünde, wie Währungsunionen, wurden in der
       Vergangenheit häufig wieder aufgekündigt. So finden sich für den Zeitraum
       von 1948 bis 1997 etwa 130 Episoden, in denen die Verwendung einer
       gemeinsamen Währung wieder beendet wurde, so dass in dieser Zeit etwas mehr
       als die Hälfte der bestehenden Währungsunionen auseinandergebrochen ist.
       
       ## Der Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung
       
       Ein zentrales Motiv, warum Länder eine Währungsunion aufgegeben oder
       verlassen haben, war dabei der Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung und
       Souveränität. Vor allem ehemalige Kolonien strebten nach dem Erlangen ihrer
       politischen Unabhängigkeit auch nach wirtschaftlicher Eigenständigkeit und
       versuchten, die Abhängigkeit von der früheren Kolonialmacht zu lösen.
       
       Dazu gehörte dann oftmals auch die Einführung einer nationalen Währung.
       Interessanterweise findet sich dabei allerdings kein eindeutiges zeitliches
       Muster: Während in einigen politisch abhängigen Gebieten bereits frühzeitig
       eigenständige Währungen existierten, haben andere Länder erst Jahrzehnte
       nach ihrer Unabhängigkeit eine nationale Währung eingeführt.
       
       ## Verzweifelte Rettungsversuche
       
       Gleichzeitig finden sich auch kaum ökonomische Indikatoren, die – in
       statistisch signifikanter Weise – das bevorstehende Auseinanderbrechen
       signalisieren. Empirisch deutet allenfalls ein Auseinanderdriften der
       Inflationsraten verlässlich darauf hin, dass eine Währungsunion wohl
       tendenziell weniger tragfähig wird. Diese Ergebnisse scheinen in
       überzeugender Weise den Befund zu bestätigen, dass bei einer Währungsunion
       der Ein- und Austritt eines Landes vor allem eine politische Entscheidung
       ist, ebenso wie übrigens auch bei anderen Währungsfragen.
       
       Dass der Politik auch für die Zukunft der Europäischen Union eine
       entscheidende Bedeutung zukommt, zeigt sich an zwei Entwicklungen. Zum
       einen ist die Politik derzeit (noch) nicht bereit, das Projekt einer
       Währungsunion aufzugeben, sondern bemüht sich händeringend um
       Lösungsmöglichkeiten.
       
       ## Verzweifelt wird versucht, an der Währungsunion festzuhalten
       
       Die fast verzweifelten Versuche, den Fortbestand der Währungsunion
       sicherzustellen, beinhalten zum Teil äußerst kurzfristige, rechtlich
       fragwürdige und vor allem teure Maßnahmen, denen zunehmend auch manche
       wirtschaftspolitischen Tabus (wie Eingriffe in die Unabhängigkeit der
       Zentralbank) zum Opfer zu fallen drohen.
       
       Zum anderen werden Regierungen, denen es nicht gelingt, die Kosten der
       gemeinsamen Währung für ihr Land tragbar zu gestalten, von der Bevölkerung
       abgewählt, während gleichzeitig europakritische, nationalistische
       Strömungen stark an Zulauf gewinnen.
       
       Was spricht vor diesem Hintergrund – vor allem der Erfahrung, dass
       Austritte aus einer Währungsunion offenkundig gestaltbar sind – für ein
       Festhalten am Euro? Abgesehen vom häufig skizzierten Schreckgespenst
       unkalkulierbarer Kosten, dem prinzipiell nur schwer zu entgegnen ist,
       scheint insbesondere der in der Folge vermutlich einsetzende
       Disintegrationsprozess in Europa bedrohlich.
       
       ## Rückschritt in der Geschichte
       
       Zwar gab es auch zuvor bereits Krisenphasen der europäischen Integration,
       in denen das Zusammenwachsen der europäischen Länder stagnierte und
       nationale Politiken zwischenzeitlich an Bedeutung gewannen
       („Euro-Sklerose“). Das Auseinanderbrechen der Währungsunion und die
       Wiedereinführung nationaler Währungen wäre nun jedoch der erste gravierende
       Rückschritt bei den europäischen Integrationsbemühungen, die bislang die
       gesamte Nachkriegsperiode geprägt haben. Eine Umsetzung weiterer
       gemeinsamer europäischer Projekte und Maßnahmen wäre für Jahre,
       möglicherweise sogar Jahrzehnte, ausgeschlossen.
       
       ## Integration weiter künstlich vorantreiben?
       
       Auf der anderen Seite sollte ein solches Szenario allerdings nicht dazu
       dienen, die Integration – ohne jede Rücksicht auf nationale
       Befindlichkeiten – künstlich weiter voranzutreiben. So wird gelegentlich
       gefordert, die Währungsunion durch eine politische Union zu ergänzen, die
       zum Beispiel auch eine gemeinsame Haushaltspolitik und die
       Vergemeinschaftung der Schulden beinhalten würde.
       
       Aber auch hier hat die Geschichte Lehren parat: Eine politische Union
       liefert keinerlei Garantien gegen einen späteren Zerfall. Die Erfahrungen
       in Osteuropa zeigen, ebenso wie die aktuellen Diskussionen über eine
       mögliche Teilung Belgiens, dass nicht nur Währungsverbünde, sondern auch
       politische Einheiten schnell wieder zerbrechen können.
       
       7 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volker Nitsch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
       
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