# taz.de -- Neue „Tumult“ und „Arch+“-Ausgaben: Die Peripherie ist das neue Zentrum
       
       > „Tumult“ und „Arch+“ beleuchten die Dialektik des Containers und
       > erklären, was es mit der Verkapselung der Gesellschaft und der Macht der
       > Industriegebiete auf sich hat.
       
 (IMG) Bild: Nichts taugt besser, um eine Grenze zwischen Innen und Außen zu markieren, als ein Stahlcontainer: hier am Hamburger Hafen.
       
       Wenn Forscher in ein paar hundert Jahren bei Ausgrabungen auf verrostete
       Kästen stoßen, wird es für sie kein Leichtes sein, herauszufinden, welche
       Funktion diese Artefakte für die Menschen der Spätmoderne erfüllt haben
       mögen. Für uns Gegenwärtige, die unter dem Primat der Funktionalität und
       des reibungslosen Verkehrs leben, ist der Container kaum ein fremdes Objekt
       mehr, sondern einer der treuesten Zeitgenossen.
       
       „Sea-Land-Service“ hieß die Reederei, die 1958 die ersten zivilen Container
       auf die Reise schickte und damit ihre Vision von der Überwindbarkeit aller
       Grenzen realisierte. Aber – und das ist die wenig beachtete Kehrseite –
       nichts taugt besser, um eine faktische Grenze zwischen Innen und Außen zu
       markieren, als ein Stahlcontainer. Diese Dialektik, die für den
       Globalisierungsprozesses im Allgemeinen und den Container im Besonderen
       steht, wird nun in zwei Zeitschriften näher beleuchtet.
       
       Die aktuelle Ausgabe von Tumult erinnert unter dem Titel
       „Container/Containment“ daran, dass es lange Zeit eine Behälterlogik war,
       die unsere politisch-kulturelle Wahrnehmung prägte. Der Glaube an eine
       Zweiteilung der Welt, die aus dem Kalten Krieg resultierte, hatte sich
       allerdings mit dem Fall der Mauer selbst widerlegt. Die Propheten der
       Globalisierung sahen sich damit bestätigt, schreiben die Redakteure dieser
       Ausgabe Alexander Klose und Jörg Potthast, wobei sie allerdings völlig aus
       dem Blick verloren hätten, dass nun anstelle des Eisernen Vorhangs ein
       Medium die Vorherrschaft über die Globalisierung übernahm, das auf einer
       Systematik des „temporären Einschließungssystems“ basierte: der Container.
       
       Vor diesem Hintergrund klingt Benjamin Steiningers Vorschlag plausibel, die
       Pipeline als „längsten Container der Welt“ zu bezeichnen. Zwar erstrecke
       sich ein gigantisches meist unsichtbares Netz aus Pipelines über den
       Planeten; offen zutage träten diese aber vor allem in Streitigkeiten um
       verweigerte Anschlüsse der Betreiberländer.
       
       ## Abgekoppelte Milieus
       
       Dass die Werte Ausschließung und Einschließung auch in der augenscheinlich
       offenen „Netzwerkgesellschaft“ fundamentale Bedeutung besitzen, macht
       Lieven de Cauter in seinem Beitrag deutlich. Er spricht von einer
       „Verkapsulierung der Gesellschaft“. In Anlehnung an Manuel Castells Studien
       über das Informationszeitalter geht er davon aus, dass der Aufstieg der
       Netzwerkgesellschaft nicht ohne eine sozialräumliche Polarisierung der
       globalen Ökonomie zu erklären sei. Was daraus resultiere, seien ganze an-
       und abgekoppelte Milieus oder gar Kontinente.
       
       Der Hype um den Aufstieg der Netzwerkgesellschaft und die ihn begleitenden
       Huldigungen der globalen „Schwärme“ und „Ströme“ sei nur die eine Seite der
       Medaille. Was die Netzwerke ausmache, seien die Knotenpunkte – „wir leben
       nicht in Netzwerken, wir leben in Kapseln“ lautet seine Diagnose. Das führt
       uns zurück in eine Epoche, da das Außen, also die Welt außerhalb der
       Festung, unsicheres Gelände war.
       
       ## Vom menschlichen Diener zum Internetserver
       
       Die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie hinterlässt also sehr wohl
       auch Spuren in der globalisierten Welt. Allerdings in dezentralisierter
       Weise. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Charles Waldheim und Alan Berger
       in ihrem Beitrag über „Logistiklandschaften“ für die neueste Ausgabe der
       Zeitschrift Arch+ („Service-Architekturen“).
       
       Lagerhallen-Ensembles und Viehfarmen im Niemandsland oder Landschaften des
       Konsums an Ausfallstraßen zwingen dazu, von einer Verschiebung dieses
       Verhältnisses zu sprechen. In diesem neuen Typ von Landschaft sei längst
       mehr wirtschaftliche Potenz als in der Stadt angesiedelt, womit Letztere zu
       einem peripheren Ort werde.
       
       Der altehrwürdigen Stadt komme bloß noch symbolische Bedeutung zu.
       „Frontstage-Städte“ nennen Susan Nigra Snyder und Alex Wall diese Orte der
       repräsentativen Architektur und Kultur. Im Gegensatz zu den allein auf den
       Umschlag von Waren ausgerichteten „Backstage-Städten“. Dass auch im
       Haushalt hinter den Kulissen Dienstbarkeitsarchitekturen die Versorgung
       gewährleisten, weiß Markus Krajewski.
       
       Er zeichnet die Entwicklung vom menschlichen Diener zum Internetserver
       nach. Und auch hier ist es der Knecht, der den Herrn beherrscht. Wer wissen
       möchte, wo die eigentlichen Machtzentren der Gegenwart liegen, sollte
       diesen Zeitschriften und ihrem Blick hinter die Kulissen folgen.
       
       7 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Goll
       
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