# taz.de -- Peter Harry Carstensen geht in Rente: So schön kann Politik sein
       
       > Peter Harry Carstensen (CDU) hat sieben Jahre lang Schleswig-Holstein
       > regiert. Der ehemalige Gute-Laune-Bär brachte das Land auf einen harten
       > Sparkurs.
       
 (IMG) Bild: Abschiedstournee: Das beste Geschenk für Peter Harry Carstensen ist immer noch ein Peter Harry Carstensen.
       
       KIEL taz | Peter Harry Carstensen geht in Rente. Gefühlt ist
       Schleswig-Holsteins Ministerpräsident da schon vor einiger Zeit angekommen.
       Zwar ist der Kalender des 65-Jährigen bis zum letzten Amtstag prall
       gefüllt, doch die Termine ähneln sich: Carstensen ehrt Lebensretter und
       alte Weggefährten, eröffnet Ausstellungen, würdigt Ehrenamtliche. Am
       Dienstag wird sein Nachfolger gewählt.
       
       Verständlich, dass der 65-Jährige in den letzten Tagen nichts Neues mehr
       anpackt. Allerdings: Schon länger war vom „vermutlich beliebtesten
       Ministerpräsidenten, den Schleswig-Holstein je hatte“ ([1][FAZ]) außer
       Ehrungen kaum etwas zu hören, und wenn er sprach, dann schon im abgeklärten
       Ton des Beobachters.
       
       Im Januar mahnte er zum gemeinsamen Einsatz der Demokraten gegen Nazis, im
       Mai bat er, die Energiewende nicht am Föderalismus scheitern zu lassen.
       Einen Hauch lauter wurde er nur beim Koalitionskrach um Lehrerstellen im
       Februar: „Noch bestimme ich hier.“ Dann ehrte er wieder Lebensretter. „Das
       hatten wir uns auch anders vorgestellt“, sagte ein CDU-Landtagsabgeordneter
       zur Frage, nach der Präsenz des MP im Wahlkampf.
       
       Dass Carstensen, „Pederharry“ für die meisten Menschen im Land, sich auf
       den Polit-Ruhestand freut, zeigt er deutlich. Und er meint, ihn verdient zu
       haben: Der Mann, der 2005 gegen Heide Simonis antrat und anfangs als
       tapsiger Gute-Laune-Bär verlacht wurde, siegte bei zwei Landtagswahlen. Mit
       der schwarz-gelben Wunschkoalition begann er, den Haushalt zu
       konsolidieren, und warb für den Energiestandort Schleswig-Holstein.
       
       ## Landwirtschaftsschule, Bundestag, Staatskanzlei
       
       Das Land stünde so gut da wie nie, sagte er in seiner Bilanz-Rede im
       Landtag. Als Erfolge nannte er den Ausbau von Verkehrswegen, die
       umstrittenen Liberalisierungen von Glücksspiel und Sparkassenwesen und
       Kommunalreform.
       
       „Kein Herr über mir, kein Knecht unter mir“, das Motto der Dithmarscher
       Bauernrepublik, zitiert der Nordfriese – er stammt von der Insel Nordstrand
       – bis heute gern. Der Diplom-Landwirt arbeitete an der
       Landwirtschaftsschule in Bredstedt, von 1983 bis 2005 saß er im Bundestag,
       Karrierehöhepunkte waren der Vorsitz des Landwirtschaftsausschusses und ein
       Platz in Edmund Stoibers Schattenkabinett.
       
       Die CDU Schleswig-Holstein führte der Vater zweier Töchter seit 2002. Dass
       er als Spitzenkandidat das bisher beste Ergebnis für seine Partei holte,
       hatte vermutlich nicht einmal er selbst erwartet. In der großen Koalition
       versuchte Carstensen, Brücken über die Gräben zwischen CDU und SPD zu
       bauen. Trotz des aus schlechten alten Barschel-Zeiten bewahrten Misstrauens
       soll die Stimmung am Kabinettstisch meist harmonisch gewesen sein: Der
       Zwei-Meter-Mann Carstensen drückte bei Gelegenheit gern die eine oder
       andere SPD-Ministerin.
       
       ## „Das Präsidiale lag ihm“
       
       Das Patt der Parteien verhinderte allzu harte Entscheidungen, Carstensen
       durfte ganz Landesvater sein, Fischbrötchen auf Volksfesten essen und Orden
       verleihen. „Das Präsidiale lag ihm“, so ein Parteifreund.
       
       Allerdings störte der Dauerstreit mit SPD-Chef Ralf Stegner. Carstensen
       begriff nie Stegners Lust an der Provokation, er fühlte sich davon
       persönlich getroffen, menschlich verletzt. Am Ende brachte er es nicht
       einmal mehr fertig, den Namen des anderen auszusprechen. Wenn sie gemeinsam
       auftraten, zeigte jeder Blick, jede Haltung die gegenseitige Ablehnung.
       
       Am Ende gewann Carstensen den Kampf gegen den Feind im Kabinett, Stegner
       wechselte in die Fraktion. Das reichte nicht: Über der Frage, wer wann was
       über den Bonus für HSH-Nordbankchef Dirk Jens Nonnenmacher gewusst hat,
       ließ Carstensen die Koalition platzen. Das Datum des fingierten
       Misstrauensvotums war so gewählt, dass der neue Landtag mit dem Bundestag
       gewählt wurde: der Beginn schwarz-gelber Zeiten in Kiel wie Berlin.
       
       Dass sie in Kiel schon wieder vorbei sind, lag an dem nicht
       verfassungskonformen Wahlrecht, das Carstensen trotz Stimmen-Minderheit
       eine Ein-Sitz-Mehrheit im Landtag bescherte. Carstensen knurrte nur:
       „Mehrheit ist Mehrheit.“ Bis das Landesverfassungsgericht sie kassierte.
       
       ## Zum Schluss eine Rede mit Tränen
       
       Sparen, lautete Carstensens Thema für diese zweite Amtszeit: Ohne
       Kehrtwende werde Schleswig-Holstein bald „wie Griechenland“ dastehen,
       warnte der Ministerpräsident. Eine Sechs-Personen-Runde legte die
       Richtlinien des Haushalts mit Kürzungen für Blinde, Frauenhäuser, soziale
       Projekte fest.
       
       Für den Gemütsmenschen Carstensen folgten harte Monate: Sozialverbände und
       Gewerkschaften ließen ständig neue Benachteiligte vor dem Landeshaus
       aufmarschieren, der Ministerpräsident und seine Regierungsfraktionen wurden
       ausgepfiffen und ausgebuht.
       
       Vielleicht war das der Moment, an dem Carstensen anfing, in Rente zu gehen.
       Er regelte die Nachfolge, schlug Christian von Boetticher als
       Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten vor. Dass der Kronprinz über die
       Affäre mit einer 16-Jährigen – und über mangelndem Erfolg – stolperte, mag
       eine weitere Enttäuschung für Carstensen gewesen sein.
       
       Den Wahlkampf des neuen Spitzenkadidaten Jost de Jager verfolgte der
       Regierungschef dann schon wie aus der Ferne, genoss Huldigungen wie die
       Carstensen-Biografie eines langjährigen Parteifreundes oder seine
       Geburtstagsfeier mit 300 Gästen im Plöner Schloss, das sein Freund, der
       Brillenkönig Günter Fielmann, vom Land erworben hatte.
       
       In seiner letzten großen Landtagsrede bat Carstensen um Verzeihung für
       Fehler, mahnte – mit Blick auf Stegner – Respekt der Politiker
       untereinander und respektvollen Umgang auch mit den Bürgern an. „Gott
       schütze Schleswig-Holstein“, schloss er, mit Tränen in den Augen.
       
       11 Jun 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wahl-in-schleswig-holstein-2012/abschied-des-ministerpraesidenten-peter-harry-geht-11738724.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geisslinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schleswig-Holstein
       
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