# taz.de -- Irland verabschiedet sich von der EM: Sie singen bis zum Schluss
       
       > In der irischen Welt hatten die Spanier einfach nur Glück. Ein
       > Fernsehabend mit viel Bier, dem Glauben an einen Hattrick in der
       > Schlussphase und dem Wissen: Italien kommt noch.
       
 (IMG) Bild: Finstere Miene, aber trotzdem stolz – auch nach der Niederlage.
       
       DUBLIN taz | Alles war perfekt: Der Kasten Bier war gekühlt, die
       Familienpizza im Ofen, die Außenspiegel des Autos mit Söckchen in den
       irischen Farben ordentlich gekleidet, die irischen Fähnchen, die jeder
       Sonntagszeitung beilagen, waren in sämtliche Blumentöpfe gesteckt, die
       Stimmung war gut. Einziger Wermutstropfen – die Engländerin unter den
       Gästen. Das tat der Vorfreude aber noch keinen Abbruch.
       
       75 Prozent der Iren glaubten vor dem Fußballspiel gegen Spanien bei der
       Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, dass die Iren „mindestens ein
       Unentschieden“ holen würden. Hundert Prozent glaubten noch vor ein paar
       Jahren, dass man immer reicher werden würde, wenn man sich gegenseitig
       Häuser verkaufte.
       
       Nun ging es gegen eine andere Pleitenation, die gerade unter den
       „EU-Rettungsschirm“ schlüpfen musste. „Das wird die Spanier lähmen“,
       frohlockte Nachbar Pat. Als er den strömenden Regen in Danzig sah, wurde
       seine Stimmung noch besser: „Irisches Wetter.“ John setzte noch einen
       drauf: „Es heißt, der Rasen sei exakt der gleiche wie im Croke Park,
       Irlands Nationalstadion.“ Darüber hinaus waren 20.000 Iren nach Polen
       gereist, um ihr Team zu unterstützen. Was sollte also schief gehen? Ein
       Spiel auf heimischem Rasen bei heimischem Wetter vor heimischem Publikum
       gegen eine Mannschaft, deren Land gerade den Offenbarungseid geleistet
       hatte. Wäre doch gelacht.
       
       Offenbar hatte man den Fußballern die spanische Pleite verheimlicht. Nach
       vier Minuten führten sie 1:0, und wir öffneten das zweite Bier. „Es sind ja
       noch 84 Minuten zu spielen“, meinte Pat, „kein Grund zur Panik.“ Bis zur
       Halbzeit blieb es so, und Pat meinte: „Wir sind noch im Spiel.“ Das irische
       Fernsehen RTÉ zeigte in der Halbzeitpause, als wir das fünfte Bier
       öffneten, einen Zusammenschnitt der irischen Angriffsbemühungen, aus denen
       deutlich hervorging, dass die Spanier bis jetzt Glück hatten. In der kurzen
       Zusammenfassung waren sie jedenfalls nur einmal vor das irische Tor
       gekommen, und zwar in der vierten Minute.
       
       Die zweite Halbzeit begann ähnlich – 2:0. Mir fiel auf, dass Irlands Gruppe
       mit Italien, Spanien und Kroatien die katholischste der ganzen
       Europameisterschaft ist, aber die Iren spielten am katholischsten: Sie
       hauten den Ball nach vorne und hofften dort auf den lieben Gott. Auf ihren
       Mittelstürmer Robbie Keane konnten sie nicht hoffen. Der spielt in der
       US-Operettenliga bei L. A Galaxy und steht nur in der Mannschaft, weil
       Irlands italienischer Trainer Giovanni Trapattoni die Spieler belohnen
       wollte, die die Teilnahme an der EM gesichert haben.
       
       ## Öffner schrott nach dem siebten Bier
       
       Bei dem Versuch, das siebte Bier zu öffnen, brach der Öffner ab, aber den
       Rauchern unter uns gelang es, die Flaschen mit dem Feuerzeug zu öffnen.
       John erinnerte sich, dass es einem Spieler einmal gelungen sei, in der
       Schlussviertelstunde einen Hattrick zu erzielen, aber er erinnerte sich
       nicht an den Namen. Es war vermutlich kein irischer Spieler. In Danzig
       waren 80 Minuten gespielt, es stand 3:0, als eine SMS von Friedrich
       Küppersbusch eintraf, dem ich vorige Woche einen Satz irischer
       Autorückspiegelsöckchen geschickt hatte: „Lieber Ralf, sie wiegen die
       Paellakellner nur in Sicherheit. In der 80. geht's los, ne?“ In dem
       Augenblick fiel das 4:0.
       
       Dann wechselte Trapattoni den Mittelfeldspieler Paul Green ein, was Gill,
       die Engländerin, zu höhnischen Bemerkungen animierte: „Das fasst ja wohl
       das Niveau des irischen Fußballs zusammen: Green, ein Spieler, der bei gar
       keinem Verein spielt! Selbst Andorra stellt nur Fußballer auf, die in
       irgendeinem Verein spielen.“ Ihr wird das Lachen vergehen. Die Iren sind
       nur wegen des Spielplans als erstes Team ausgeschieden, die Engländer
       werden zügig folgen. Gill wurde zur Strafe von der zehnten Bierrunde
       ausgeschlossen.
       
       Die irischen Fans waren schon nach dem 3:0 in Gesang ausgebrochen, als ob
       ihr Team gerade den Siegtreffer erzielt hätte. Es sind die großartigsten –
       und friedlichsten – Fans der Welt, die ein besseres Taem verdient hätten.
       Sie hielten „Fields of Athenry“, ein traditionelles Lied über die irische
       Hungersnot, stimmgewaltig bis zum Schlusspfiff durch, während von den
       Spaniern nichts zu hören war. Hatte Sigmund Freud Recht, als er behauptete,
       dass die Iren das einzige Volk seien, dem durch Psychoanalyse nicht zu
       helfen sei? Sie seien voller Widersprüche und immun gegen rationale
       Denkprozesse.
       
       Am Montag kann sich die Mannschaft gegen Italien rehabilitieren.
       Schließlich kennt Trapattoni den Gegner in- und auswendig und wird ihm die
       Tour vermasseln. Wäre doch gelacht.
       
       15 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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