# taz.de -- Kommentar Leipzig: Angst um den Vorgarten
       
       > Dass es ausgerechnet den Spießern der „Heldenstadt“ am Mitgefühl für
       > Notleidende gebricht, ist peinlich. Die Leipziger brauchen Nachhilfe in
       > Bürgersinn.
       
       Leipzigs Bürger treibt es wieder einmal auf die Straße. Das, wir wissen es
       seit dem Herbst 1989, tun sie dann, wenn der politische Druck auf sie so
       groß geworden ist, dass nur noch Gegendruck hilft. Im Sommer 2012 nun
       richtet sich ihr Protest nicht mehr gegen Überwachung und geschlossene
       Grenzen. Sondern gegen eben jene, die vor Diktatur und Willkür, vor
       Spitzelei und geistiger Unfreiheit flüchten mussten: gegen die
       Asylbewerber, die in Leipzig leben.
       
       Die Stadt hat beschlossen, ihre Asylbewerber – mithin Bewohner, Mitbürger
       der Kommune – vom Stadtrand in die Mitte der Gemeinschaft zu bringen. Raus
       aus der maroden Massenverwahrung – rein in sieben kleinere Unterkünfte. Nun
       aber protestieren die Bürger. Sie organisieren Anwohnerdemonstrationen und
       unzählige Versammlungen.
       
       Von „Lebensqualität“ reden diese Leute, von „gewachsenen Gemeinschaften“,
       auch vom „Wertverlust“ ihrer Häuser und Grundstücke. Diese Rhetorik ist
       nichts anderes als das Wortbesteck des Alltagsrassisten, des
       Besitzstandswahrers aus der Mittelschicht. Und diese Manifestationen des
       Bürgerwillens sind umso aggressiver, je besser die Wohnlage ist. Hier
       spricht nicht der rechte Jogginghosenträger mit Bierpulle. Nein, es ist der
       gesamtdeutsche Kleinbürger mit gutem Salär, der allen Ernstes Angst um
       seinen Vorgarten und die Unschuld seiner Töchter hat.
       
       Es ist nichts Neues, dass Bürgerinnen und Bürger meinen, mit der
       Unterschrift unter ihrer Steuerklärung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht so
       weit Genüge getan zu haben, um auch aller bürgerlichen Rechte sicher sein
       zu können. Zwei Fernreisen pro Jahr, eine durchsanierte Kommune, ein
       bequemes Häuschen in guter Wohnlage, bitte keine wie auch immer geartete
       Störung der Idylle – dies sind die Merkmale des deutschen Spießers.
       
       Dass es ausgerechnet den Spießern der „Heldenstadt“ am Mitgefühl für
       Notleidende gebricht, ist peinlich. Die, die da aus miesen
       Wohnverhältnissen in die 520.000-Einwohner-Stadt integriert werden sollen,
       sind auch jene, die im Iran, im Sudan ihr Leben riskiert haben. In Ländern
       also, in denen Bürgerrechte, für die die Leipziger einst auf die Straße
       gegangen sind, noch erkämpft werden müssen.
       
       Es ist zu hoffen, dass die Stadtoberen nicht den bewegten Kleinbürgern
       nachgeben. Ihre Leipziger brauchen ganz offensichtlich Nachhilfe in
       Bürgersinn.
       
       19 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
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