# taz.de -- Debatte über die Torlinientechnologie: Das Auge sieht mit
       
       > Wieder einmal lautet die Frage: War der Ball drin oder nicht? Mit
       > moderner Technik ließe sich das Problem lösen, aber die war bislang nicht
       > gewollt.
       
 (IMG) Bild: Tor oder kein Tor?
       
       Die Wahrnehmung von Oleg Blochin war leicht verschoben. Der ukrainische
       Coach wollte den Ball „75 Zentimeter“ hinter der Torlinie gesehen haben. Es
       waren zwar nur geschätzte fünf Zentimeter, aber die hätten auch gereicht,
       um das Tor zu geben.
       
       Doch weder der ungarische Hauptschiedsrichter Viktor Kassai noch sein
       Torrichter, der zwei Meter neben dem Pfosten stand, sahen das
       Offensichtliche: Der Schuss des ukrainischen Mittelfeldspielers Marko Devic
       war drin. Und wie er drin war! Es handelte sich um einen klaren Fall von
       Torklau, und nicht nur Blochin fragte sich, warum die Uefa fünf
       Schiedsrichter auf den Platz schickt, die weniger sehen als Millionen von
       Fußballfans.
       
       Der europäische Verband könnte wohl auch ein Dutzend Pfeifen einsetzen,
       diese haarsträubenden Fehler würden immer wieder passieren. Auf diese Weise
       wurde dem ukrainischen Team der Ausgleichstreffer verwehrt. England zog
       nach einem glücklichen 1:0 ins Viertelfinale ein. Die Ukraine ist draußen.
       
       Dass die Schiedsrichter und ihre Assistenten manchmal Dinge übersehen, hat
       einen einfachen Grund: Irren ist menschlich. Bisher fanden das die Uefa und
       der Weltverband Fifa nicht weiter schlimm. Der Mensch solle entscheiden, so
       lautete das verquast-romantische Credo der Verbandsoberen um Fifa-Boss Sepp
       Blatter und Uefa-Präsident Michel Platini.
       
       ## Fatale Folgen
       
       Also treffen die Referees in kniffligen Situationen Tatsachenentscheidungen
       – mit allen fatalen Folgen. Wie sich auch während der Weltmeisterschaft in
       Südafrika 2010 erwiesen hatte, verzerrt der menschliche Blick das Geschehen
       bisweilen erheblich.
       
       Vor zwei Jahren hatte Frank Lampard im Spiel gegen die Deutschen ein
       schönes Tor erzielt, aber es wurde groteskerweise nicht anerkannt. Auch
       Mexiko wurde seinerzeit krass benachteiligt. Blatter entschuldigte sich bei
       den betroffenen Mannschaften und versprach Besserung.
       
       Besserung steht tatsächlich in Aussicht. Am 5. Juli, wenige Tage nach dem
       EM-Finale in Kiew, wird das International Football Association Board (Ifab)
       über die Einführung von Technik zur Torüberwachung beraten. Zwei Systeme
       haben das Gremium überzeugt: Das sogenannte HawkEye arbeitet mit Kameras
       und optischer Erkennung der Spielsituation, „GoalRef“ nutzt ein
       magnetisches Feld und einen speziell präparierten Ball.
       
       Nach einer weiteren Testphase soll entschieden werden, welche Technik den
       Zuschlag erhält. Bereits bei der Klub-WM Ende dieses Jahres werden die
       Torlinien technisch überwacht, bei der WM 2014 ebenso. Und so
       funktioniert’s: Per Brummton erhält der Schiri Nachricht davon, ob der Ball
       die Linie überschritten hat oder nicht.
       
       ## Revolutionärer Schritt
       
       Entscheidet sich das Ifab für die Technik, dann wäre das ein revolutionärer
       Schritt, denn Blatter und sein Wächterrat hatten sich in der Vergangenheit
       mit Händen und Füßen gegen eine Technisierung des Fußballs gewehrt. „Wieso
       sollte man die Verantwortung des Schiedsrichters jemand anderem übertragen?
       Selbst eine Zeitlupeneinstellung bringt keine Klarheit“, hatte Blatter
       wider besseres Wissen behauptet.
       
       Doch die fehlbaren Schiedsrichter haben das Ifab nun endlich auf den Plan
       gerufen. Es ist ein Gremium, das seit 1884 besteht. Die Fifa erkannte bei
       ihrer Gründung im Jahr 1904 die Hoheit des Ifab in Regelfragen an. Es gilt
       als extrem konservativ. Die letzte Änderung gab es im Jahre 1997. Im März
       2010 hieß es noch in einer Pressemitteilung: „Der Ifab beschloss des
       Weiteren, die Torlinientechnologie nicht weiterzuverfolgen.“
       
       Im Oktober desselben Jahres war das Thema wieder auf der Agenda. „Tor oder
       nicht Tor, das ist die wichtigste Entscheidung, die es im Fußball gibt.
       Also sollte jede technische Hilfe willkommen sein, auch die richtige
       Entscheidung zu treffen“, sagt Neale Barry, Mitglied des Boards. Die
       Technik sei mittlerweile ausgereift.
       
       ## Systeme aus England und Deutschland
       
       In den Jahren 2005 (U17-WM) und 2007 (Klub-WM) testete man die
       Torüberwachung wenig erfolgreich, doch die Systeme GoalRef aus Deutschland
       und HawkEye aus England haben ihre Bewährungsproben offensichtlich
       bestanden. Sie wurden in der deutschen, dänischen und englischen Liga
       getestet. „Ich glaube, wir sind mit einem oder beiden Anbietern sehr, sehr
       nah dran“, sagt Barry.
       
       Es wäre kaum vermittelbar, wenn der Fußball, der in puncto Werbung und
       Vermarktung Maßstäbe setzt, im Spiel auf die Segnungen der Technik
       verzichten würde. Für Oleg Blochin und seine Ukrainer kommt all das zu
       spät.
       
       20 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball
 (DIR) Chelsea London
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
 (DIR) Mixed Zone
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Torlinientechnologie in der Bundesliga: Vorwärts nimmer
       
       Modernisierer unterliegen Traditionalisten. Die meisten Bundesligisten
       blockieren die Torlinientechnologie. Aber die Entscheidung muss nicht
       endgültig sein.
       
 (DIR) Torkamera bei Fußball-WM 2014: Das Ende der Tor-Mythen
       
       Die Torlinien-Technologie kommt: Die Fifa wird die Kamera erstmals bei der
       WM 2014 in Brasilien einsetzen. Nationalelf-Manager Bierhoff findet das
       okay.
       
 (DIR) Start der Fifa-Klubweltmeisterschaft: Ein fauler Kompromiss
       
       Das Testen der Torkamera verhilft der Fußball-Klub-WM in Japan zu mehr
       Aufmerksamkeit. Das Fifa-Turnier leidet aber an seinen
       Konstruktionsfehlern.
       
 (DIR) Debatte um Torrichter und Technik: Platini und das Seufzen der Kreatur
       
       Die Aufregung um das nicht anerkannte Tor der Ukrainer verkennt: Michel
       Platini mag ein zweifelhafter Funktionär sein, aber er bewahrt die Werte
       des Menschlichen.
       
 (DIR) Die Ukraine ist ausgeschieden: „Klären wir das wie Männer!“
       
       Wie Polen scheitert auch das zweite Gastgeberland der EM in der Vorrunde.
       Das ukrainische Team sucht die Schuld für die Niederlage gegen England beim
       Referee.
       
 (DIR) England-Ukraine 1:0: Stolze Ukrainer
       
       Der wie ein Messias erwartete Wayne Rooney schießt die Engländer in die
       nächste Runde. Die Ukrainer setzen zu Sprechchören an und verabschieden ihr
       Team.
       
 (DIR) Ukraine vor dem entscheidenden Spiel: Zurück zur schwarzen Pädagogik
       
       Vor der entscheidenden Partie gegen England ist die gute Stimmung in der
       Ukraine verflogen. Trainer Oleg Blochin prügelt selbst auf sein Team ein.
       
 (DIR) England gegen die Ukraine: Und jetzt kommt Rooney
       
       Der erste Auftritt von Wayne Rooney in diesem Turnier steht an. Und obwohl
       seine Mannschaft sich ohne ihn gut geschlagen hat, kann sie nicht auf ihn
       verzichten.