# taz.de -- Die Wahrheit: Die Hörnchen des Bösen
       
       > Die Wahrheit-Woche der Narben: Der Pfaffe und die zwei Teufelsmale.
       
       Die Sechzigerjahre waren die Zeit, als Väter bestenfalls zweithöchste
       Respektspersonen waren. Darüber stand in Adenauerland der Herr Pfarrer, der
       demonstrativ würdepralle und also schreckeneinjagende katholische
       Geistliche. Meiner im Ruhrpott war ziemlich alt, also in etwa so betagt,
       wie ich es heute bin, und selbstverständlich unantastbar. Immer wieder
       hatte er uns Kinder im Kommunionsunterricht stechenden Blickes gemahnt,
       stets zu beten und uns emsig auf die gottgefällige Erstbeichte
       vorzubereiten. Sonst, das wusste er, seien wir bald Opfer des Leibhaftigen,
       der so grausam gern nach Kinderseelchen greife.
       
       Eines Tages wies der Pfarrer auf meine unschuldige Stirn, rechte Seite: Da,
       Bernd, wo du die kleine Narbe hast, und genau gegenüber auf der anderen
       Seite, da wachsen dir sonst Hörner wie bei einem Teufelchen. Ich erschrak
       heftig und betete fortan umso eifriger. „Bitte, lieber Gott, mach, dass das
       nie, niemals passiert …“
       
       Monate später, schon nach der Premierenhostie, rumpelte ich beim
       Räuber-und-Gendarm-Spiel im Wald mit einem anderen Knirps zusammen. Die
       Stirn tat weh. Es blutete. Aber das Schlimmste entdeckte ich erst zu Hause:
       Die Wunde war genau gegenüber der Stelle, wo ich schon die kleine Narbe
       hatte. Himmel, nein! Das muss Luzifer gewesen sein. Er hatte mich gepackt.
       Ich betete wie verrückt, getrieben von Gewissensqualen, nicht fromm und
       gottesfürchtig genug gewesen zu sein, und aus Angst vor dem doppelten
       Teufelsmal.
       
       Es nutzte nichts. Eine zweite Narbe kam, und sie war über viele Jahre
       sichtbar. Seitdem weiß ich, dass ich einen festen Platz in der Hölle
       gebucht habe.
       
       Dann kam, vor ein paar Jahren, die Narbe durch die blöde Blasenentzündung.
       Häh? Also: Ich hatte eines Tages, die Herkunft blieb mysteriös, eine Blase
       mittig am rechten Schienbein, groß wie eine Ein-Euro-Münze. Nachts war sie
       aufgegangen und bald fies entzündet. Antibiotika machten sich verzweifelt
       an die Arbeit, lange erfolglos, weil zwischen Schienbein und Haut kaum
       Fleisch ist zum heilenden Zuwachsen. Erst nach Wochen war die Wunde endlich
       wieder zu. Zurück blieb eine kreisrunde, wahrlich hässliche Narbe: sehr
       britisch blass mit einem doofen schweinchenrosa Rand.
       
       Manchmal will auch heute noch Scham mich erfüllen ob des Mals. Kurze Hosen
       meide ich wie auch Schwimmbäder. Und Affären, so sie sich ereigneten,
       gingen nur knieaufwärts nackig mit erotisch langen Wollstrümpfen, gern im
       Karomuster. Die Maskerade verkaufte ich als besonders hippen
       Angelsachsensex – sehr erfolgsarm. Und im Indikativ: Oft juckt die Narbe
       bis heute, wie Hölle halt.
       
       Sehr viel folgenreicher als die dauerhaft entstellende Stelle war der
       dritte Tag der Antibiotika-Volldröhnung. Da hatte ich dem Weine
       zugesprochen, wenn auch nur mit zwei bescheidenen Gläsern. Doch die
       Kombination ließ das Magendarmgebiet kollabieren. Dumm, dass am nächsten
       Tag eine Reise nach Arizona anstand. In ein Flugzeug zu steigen, war
       undenkbar im Fieberdauerkotzdelirium. Beim Pendeln zwischen Klo und Bett
       kam mir nicht mal die Idee, mich für den Flug abzumelden.
       
       Bei unseren transatlantischen Freunden stehe ich seitdem garantiert ganz
       oben auf der Fahndungsliste („no show“) und gelte als akut
       terrorverdächtig, zumal die berufliche Reise damals, vorsätzlich und
       aktenkundig wahrheitswidrig, nicht als Journalist angemeldet war. Tja, und
       demnächst steht, wider alle Vernunft, ein Privattrip nach New York an. Ich
       werde wohl, noch am Airport, bestenfalls verhaftet und verhört,
       wahrscheinlich aber in God’s Own Country als Ausgeburt des Bösen zur
       Sicherheit auf der Stelle alkaidaiert.
       
       Im Jenseits ganz unten freuen sie sich schon auf den Mann mit dem
       kindlichen Satans-Menetekel. Wahrscheinlich wird mich, den Knaben mit den
       Hörnchen, die Belegschaft sogar als einen der ihren ansehen und mich in
       einer besonders heißen Stube unterbringen. Die Qualen werden fürchterlich
       sein. Und alles nur wegen dieses verdammten, blöden alten Pfaffen von
       Duisburg!
       
       27 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Müllender
       
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