# taz.de -- Chinesischer Film „Der Seidenfächer“: Die Wahrheit des Stillstands
       
       > In „Der Seidenfächer“ kann sich Wayne Wang nicht recht entscheiden, für
       > welche Geschichte er sich wirklich interessiert. Dabei beginnt er Film
       > verheißungsvoll.
       
 (IMG) Bild: Aus einem Hohelied der Schwurschwesternliebe sollte man besser keinen Film machen.
       
       Tief ist der Brunnen der Vergangenheit – schwer zu sagen, ob auch dieses
       Zitat auf Konfuzius zurückzuführen ist, aber leicht zu sehen, dass es zum
       Lehrplan vieler Filmemacher gehört. Über jahrtausendealte Ming-, Qing- oder
       Han- und Tang-Dynastien mit familiären Überlebenskämpfen haben uns gerade
       chinesische Filme in den letzten Jahren unterhaltsamen Geschichtsunterricht
       geboten.
       
       So verheißungsvoll beginnt auch „Der Seidenfächer“ – nicht wegen des
       Schauers, den uns das leise Knacken brechender Knochen, das Zusammenbinden
       der Füße und die schreckensstarren Kindergesichter bei dem traditionellen
       Ritual einjagen, sondern durch die Ereignisse danach: Eine „weise Frau“
       bringt zwei Mädchen zusammen, die an demselben Tag ihre „Lotusfüße“
       verpasst bekommen und ihr Leben lang als „Laotongs“, als seelenverwandte
       Schwestern, verbunden bleiben. Fortan kommunizieren sie in der
       Geheimschrift „Nu Shu“, als Briefe dienen ihnen weiße Seidenfächer.
       
       Zu dieser ursprünglichen Geschichte von Lily und Snow Flower in den Jahren
       1829 bis 1838 erfindet der Film eine moderne Parallele mit Nina und Sophia
       zwischen 1997 und 2011 – mit BingBing Li und Gianna Jun in den jeweiligen
       Doppelrollen. Auch die Gegenwartsgeschichte beginnt mit einem Unglück: Nach
       Jahren der Trennung wird Sophia bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt,
       Nina eilt in die Klinik an ihr Krankenbett.
       
       Damit aber hat sich der Film selbst eine Falle gestellt, aus der er nicht
       mehr herausfindet. Ständig wechselt er zwischen den Zeitebenen, alles wird
       als Rückblick-im-Rückblick-im-Rückblick dargestellt; zur Orientierung wird
       dauernd eingeblendet: „Zehn Jahre vorher“, „Drei Monate danach“, „Ein Jahr
       später“, aber nie macht der Regisseur Wayne Wang deutlich, welche
       Geschichte ihn denn wirklich interessiert.
       
       ## Konfuzius würde sagen...
       
       Bisweilen findet die Kamera von Richard Wong noch eindrucksvolle schöne
       Bilder, die aber nichts mehr entwickeln, sondern zum Genrebildchen
       gerinnen, zur Chiffre, die anzeigt, an welchem Ort wir uns zu welcher Zeit
       gerade wieder befinden. Gewaltige Naturtotale mit abgelegenen Dörfern – das
       ist die rückständige Provinz Hunan im südlichen Zentralchina, wie der
       geübte Filmzuschauer weiß; belebte Straße vor einer Uferpromenade mit
       futuristischer Skyline – das erkennt jeder als Schanghai, 21. Jahrhundert.
       
       Zudem wird für alles und jedes eine Parallele oder ein Spiegelbild zwischen
       den Zeiten gesucht, solch zwanghafte Bezüge werden zur unfreiwilligen
       Parodie, wenn nach dem Trippelschritt der verkrüppelten Füße von 1830 der
       Schnitt auf das Stolzieren in Designer-Stilettos von 2010 folgt. Vollends
       zur Karikatur geraten die Männer: Der Ehemann im 19. Jahrhundert ist
       Metzger, also gefühllos und roh, der Freund 150 Jahre später ist Australier
       und Betreiber mehrerer Nachtclubs, also unzuverlässig. In dieser Rolle muss
       Hugh Jackman auf der Bühne einen Schmachtfetzen von sich geben, wie es
       Florian Silbereisen nicht schlimmer geschafft hätte.
       
       So wird alles enthistorisiert, entaktualisiert, enterotisiert. Die Handlung
       nähert sich dem Stillstand an. Sentimentalität bestimmt den Ton in allen
       Lebenslagen: bei der Romantik der Armut wie beim Leiden im Krankenhaus,
       beim strengen Ehejoch wie bei tiefgründelnden Gesprächen an der Bar. Bis
       zur Schlusssentenz: „Wir müssen in unser Inneres schauen und die Liebe
       füreinander finden. Darin lebt die Wahrheit der Vergangenheit weiter.“
       
       Das klingt wieder verdächtig nach Konfuzius, nur hätte er sicher noch
       hinzugefügt, dass man aus einem Hohelied der Schwurschwesternliebe besser
       keinen Film machen sollte.
       
       28 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Merker
       
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