# taz.de -- 50 Jahre Gefängnis: Wenn lebenslänglich lebenslänglich heißt
       
       > Keiner saß in der Bundesrepublik so lange in Haft wie Hans-Georg Neumann.
       > „Ick hatte allet“, sagt er. Aber warum kommt er nicht frei?
       
 (IMG) Bild: JVA Bruchsal: Hier sitzt Hans-Georg Neumann, der am längsten inhaftierte Mensch in Deutschland.
       
       Berlin, im Winter 1962. Es ist etwa 21 Uhr, als sich Hans-Georg Neumann
       seine Wollhose anzieht, einen Schulterhalfter umschnallt, einen Smith &
       Wesson Revolver, Kaliber 38, und einen umgebauten Revolver NHM, Kaliber 22,
       einsteckt. Er nimmt ein Bowiemesser mit, eine 70 Zentimeter lange
       Perlonwäscheleine und einen schwarzen Nylonstrumpf. Während er unruhig
       durch die Stadt läuft, trifft er in dieser Nacht auf das Liebespaar Karin
       Baumann und Klaus Heinrich. Es ist eine verhängnisvolle Begegnung, denn
       Neumann wird beide auf brutale Weise erschießen.
       
       Dieser Tathergang wird später in den Gerichtsakten konserviert sein. Und
       Neumann wird ein Geständnis bei der Kriminapolizei ablegen – auch wenn er
       sich da an die Ereignisse nicht mehr erinnern, sie selbst nicht glauben
       kann. Er sagt aus: „Einem Mädel mitten ins Gesicht schießen, das ist doch
       eine richtige Art Feigheit für mich. Das paßt doch nicht!“
       
       50 Jahre später, Justizvollzugsanstalt Bruchsal. Im Jahr 2012 büßt Neumann
       immer noch für seine Tat. Kein Mensch vor ihm hat seit Bestehen der
       Bundesrepublik so lange eingesessen, selbst der Mörder Heinrich Pommerenke
       nicht, der 2008 nach 49 Jahren in Haft gestorben ist.
       
       Während draußen Beamte mit Maschinenpistole patroullieren, sitzt Neumann im
       Besucherzimmer der JVA Bruchsal, kaut Kaugummi, streckt die Füße aus und
       faltet seine Hände vor dem Bauch. Er wirkt, als sei er bester Dinge und
       gibt der sonntaz Auskunft über sein Leben. „Hier wie auch in Berlin ist
       mein größtet Problem: Ick hatte allet. Mir ist es zehnmal so jut jegangen
       wie draußen.“ Trotzdem, sagt Neumann, mit dem Geld, dass er in 50 Jahren
       zurückgelegt hat, käme er zwei Jahre über die Runden. Das reiche für einen
       Lebensabend in der Freiheit.
       
       Mit 25 Jahren ist er eingefahren. Damals hießen die Justizvollzugsanstalten
       noch Zuchthäuser, und es gab kein Farbfernsehen. Jetzt ist er 75 Jahre alt.
       Hätte ihm das damals einer gesagt, er hätte sich „weggehängt“. Doch der
       Knast ist sein Leben geworden.
       
       Im Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1977
       heißt es: „Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs
       gehört, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich
       eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Die
       Möglichkeit allein der Begnadigung ist nicht ausreichend.“
       
       Bei Neumann scheint sich der Staat eine Ausnahme zu gestatten. Hat er keine
       Würde? Ist er kein Mensch? Allein Achtzehn Jahre vergehen bevor er den
       ersten Antrag auf Bewährung stellt. Dieser wird wie viele andere in den
       nächsten Jahrzehnten abgelehnt werden.
       
       Damals schickte sein Vollzugshelfer eine Protestnote an das Landgericht
       Berlin und nannte das Verhalten des Richters einen „menschlich skandalösen
       Vorgang“. Gerhard Bruch heißt der Mann. Die beiden lernen sich im Jahr 1972
       kennen. Gerhard Bruch ist Pfarrer und Religionslehrer. Als Neumann noch in
       Berlin-Tegel sitzt, besucht ihn Gerhard Bruch alle drei Wochen. Seit
       vierzig Jahren sind sie miteinander in Kontakt. Und seit 20 Jahren
       schreiben sie sich jeden Monat.
       
       Dieser Briefwechsel wie auch die Gerichtsakten und forensischen Gutachten
       lassen ein differenziertes Bild des Mörders Hans-Georg Neumann entstehen.
       Ein Mann von schroffer Sturheit, ein Einzelgänger, der seine drastische
       Familiengeschichte erst mit 25 Jahren erfahren wird.
       
       Die sonntaz hat Briefe der beiden lesen können, hat Justizakten ausgewertet
       und Gespräche mit dem Pfarrer und dem Gefangenen geführt. Auf drei Seiten
       porträtieren wir Neumann in unserer aktuellen Ausgabe. Wie ist es möglich
       ist, dass ein Mann ein halbes Jahrhundert im Gefängnis lebt? Die Ganze
       Geschichte „Lebenslänglich“ lesen Sie in der[1][sonntaz vom 7./8. Juli
       2012]. Am Kiosk,[2][eKiosk] oder gleich im [3][Wochenendabo]. Und für Fans
       und Freunde: [4][facebook.com/sonntaz]
       
       7 Jul 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://bit.ly/gcsTy1
 (DIR) [2] http://bit.ly/ILRE6W
 (DIR) [3] http://bit.ly/J0hreP
 (DIR) [4] http://on.fb.me/JiiwZR
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kai Schlieter
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA