# taz.de -- Welterbe I: Interview: "Es geht um Konfrontation"
       
       > Das Hansaviertel und die Karl-Marx-Allee seien einzigartig - und sollten
       > Welterbe werden, findet eine Initiative um den früheren Kultursenator
       > Thomas Flierl.
       
 (IMG) Bild: Das Hansaviertel aus der Ferne.
       
       taz: Herr Flierl, was macht die Auszeichnung als Unesco-Welterbe eigentlich
       so reizvoll und erstrebenswert? 
       
       Thomas Flierl: Erst einmal ist es natürlich ein hoher Anspruch. Es ist eine
       Art von Selbstschätzung. Andererseits erwartet man, dass ein öffentliches
       Interesse dafür geweckt wird. Das sind die grundlegenden Begründungen, denn
       finanziell kann man nichts erwarten. Es geht vielmehr darum, dass dies in
       einer herausragenden Weise für bedeutungsvoll erkannt wird, und wir meinen,
       dass diese Objekte das auch hergeben.
       
       Worin besteht denn die herausragende Qualität der Quartiere? 
       
       Ich glaube, dass es gerade um die Konfrontation und Konkurrenz der beiden
       politischen Systeme des ehemals geteilten Berlins geht, die sich auch durch
       Architektur und Städtebau ausgedrückt hat. So wie die Karl-Marx-Allee, als
       Stalin-Allee errichtet, als erste sozialistische Straße Deutschlands eine
       Kampfansage an den Westen war, so hat der Westen mit dem Interbau 1957
       diese Kampfansage angenommen und im Geiste der Moderne ein völlig anders
       gestaltetes und gemeintes Wohngebiet entwickelt. Es ist auch interessant zu
       sehen, dass man in der DDR-Zeit selbst wieder von diesem repräsentativen
       Städtebau Abstand genommen hat und dann mit dem zweiten Bauabschnitt der
       Karl-Marx-Allee wiederum eine Annäherung und Antwort auf das Hansaviertel
       gefunden hatte. Dieses Hin und Her zwischen Ost und West findet man nur in
       Berlin. Das ist einzigartig.
       
       Sind die Karl-Marx-Allee und das Hansaviertel überhaupt vergleichbar, um in
       dieser Form als gemeinsames Projekt zur Antragsstellung zusammengefasst zu
       werden? 
       
       Ich spreche da gern von einer Doppelhelix. Gemeint ist damit die
       Verschlungenheit von Ost und West, von Tradition und Moderne, von
       Historismus und Avantgarde, die die Nachkriegszeit in Berlin geprägt hat.
       Beides sind zu bestimmten Zeiten große Projekte gewesen, die als Projekte
       der Konkurrenz, der Demonstration der Vorzüge der verschiedenen
       Gesellschaften, gegeneinander gerichtet waren. Da war eben diese
       Stalin-Allee voller Wohnpaläste, die natürlich als so eine autoritäre,
       große Korridorstraße für Paraden und Demonstrationen den Abscheu des
       Westens fand, über die gleichzeitig auch alle modernen Architekten gesagt
       haben, so könne man doch nicht bauen. Diese Straße aber mit ihrem hohen
       Wohnkomfort und ihrer Qualität ist heute sehr beliebt. Man muss einfach
       sehen, dass sie inzwischen als ein europäischer Boulevard rezipiert wird.
       Umgekehrt das Hansaviertel, das früher die souveräne Antwort des Westens
       war, gilt heute eher als etwas abseitig und hat lang darum kämpfen müssen,
       dass es seine Anerkennung bekommen hat. Und wir meinen, dass beide Baustile
       zu Berlin gehören und gerade die Verbindung das Interessante ist, verwoben
       als historischen Prozess.
       
       Es gibt kaum Bauten aus der Zeit des Kalten Krieges in der Liste des
       Unesco-Welterbes. 
       
       Das Instrument des Weltkulturerbes ist ja noch nicht so alt. Dann gab es
       einen riesigen Drang darauf und da wurden die Schwerpunkte auf das
       Mittelalter, auf die Renaissancekultur, allgemein auf die Architektur bis
       in das 19. Jahrhundert gelegt. Die Moderne hat es ohnehin sehr schwer, sich
       in diesen Listen zu behaupten. Aber wer, wenn nicht Berlin? Berlin, das
       nicht nur die Mauer hatte, sondern eben auch solche Strukturen, die
       baukulturell aufeinander antworten. Es gab also nicht nur eine strikte
       Trennung, sondern in den Gesellschaften auch Entwicklungen, die aufeinander
       bezogen waren.
       
       Der Antrag wird es schwer haben: Zum einen ist er aus einer
       Bürgerinitiative entstanden, was eine Premiere ist. Hinzu kommt, dass
       beides vergleichsweise sehr junge Bauten sind. 
       
       Davor muss man sich aber nicht scheuen. Es ist eine Herausforderung, der
       wir uns stellen. Wenn man es aber klug begründet, ist das auch möglich.
       Berlin ist die Weltstadt der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts.
       
       Und wenn der Antrag doch scheitert? 
       
       Zunächst einmal ist die Initiative das Ziel. Natürlich meinen wir das auch
       ernst, das ist kein Spiel, kein Mediengag. Man muss aber nicht verbissen
       sein und darauf beharren, Weltkulturerbe zu werden. Wir wollen in der
       Öffentlichkeit das Bewusstsein schärfen für diese Vielfalt, die Berlin zu
       bieten hat.
       
       ## Thomas Flierl, 55, ist Mitglied des Linkspartei. Von 2002 bis 2006 war
       er Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Mit der Bürgerinitiative
       setzt er sich für die Deklarierung als Welterbe ein.
       
       6 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Phuong Duyen Tran
       
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 (DIR) Karl-Marx-Allee
       
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