# taz.de -- Bezahlbares Wohnen: Hamburg bremst Mieter aus
       
       > Die Mieter des Hamburger Karolinenviertels wollen ihre Häuser über eine
       > Genossenschaft von der Stadt kaufen. Der SPD-Senat blockt ab: Das sei
       > eine "Privatisierung". Doch der Saga-Kaufpreis fließt in die Stadtkasse.
       
 (IMG) Bild: So sah's im Karoviertel früher aus: Da gab's noch den Bauwagenplatz Bambule, bis er 2003 vertrieben wurde.
       
       HAMBURG taz | Weil sie befürchten, dass ihre Mieten steigen, haben
       MieterInnen des Hamburger Karolinenviertels eine Genossenschaft gegründet,
       um ihre Häuser selbst zu übernehmen. „Der Senat verweigert jedoch
       ernsthafte Verhandlungen mit der Karo-Genossenschaft“, kritisiert
       Genossenschafts-Sprecherin Antje Kianidoost.
       
       Seit 1988 ist das Karolinenviertel unweit des gentrifizierten
       Schanzenviertels förmliches Sanierungsgebiet. Seither befinden sich die
       städtischen Häuser mit 923 Wohnungen und 201 Gewerbeflächen in
       Treuhandvermögen der städtischen Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) und
       sind langsam saniert worden. Das Karoviertel ist dadurch aufgewertet
       worden: Die kleinen Tante Emma-Läden oder der Schlachter um die Ecke sind
       verschwunden, „die Marktstraße und Umgebung hat sich deutschlandweit als
       alternative Einkaufmeile einen Namen gemacht“, schreibt der Senat in einer
       Drucksache. „Hier versammeln sich kleine inhabergeführte Läden für Mode,
       Musik, Design, Accessoires und Dekoration.“
       
       Obwohl die Instandsetzung der Häuser noch nicht abgeschlossen ist,
       beabsichtigt der SPD-Senat zum Ende des Jahres, das Sanierungsgebiet „St
       Pauli-Nord S 3“ – also das „Karoviertel“ – förmlich aufzuheben. Im Frühjahr
       hatten sich die Stadt und die städtische Saga zudem darauf verständigt,
       dass die Saga einen Großteil des Karo-Areals offiziell von der Steg
       übernimmt und dafür rund 80 Millionen Euro an die Stadt abführt. Die Saga
       wird gern als Melkkuh zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt. 2010 führte
       sie 133 Millionen Euro an die Stadt ab. Im September soll der
       Karoviertel-Deal von Senat und Bürgerschaft abgesegnet werden.
       
       Obwohl sich die Saga verpflichtet hat, trotz des notwendigen
       Refinanzierungs-Zwangs die Mieten „nur“ im „sozialverträglich Umfang“ alle
       drei Jahre um zehn Prozent zu erhöhen, könnte dies für einige Bewohner
       schon zu viel sein. „Dann trifft es Leute, die es nicht treffen darf“, sagt
       Christoph Rauch vom Karo-Genossenschafts-Vorstand. Und bei Mieterwechsel
       poche die Saga sogar auf den Mittelwert des Mietenspiegels – also 30 bis 40
       Prozent mehr. „Darum ist vor einem Jahr die Genossenschaft gegründet
       worden, weil wir eine Spekulation mit den Wohnungsbestand verhindern
       wollen“, sagt Rausch. Die Mischung im Viertel solle erhalten bleiben.
       
       Mehrere Modelle wie Kauf, Erbbaurecht oder Pacht seien mit Senatsvertretern
       in vergangenen Monaten diskutiert worden. Doch der Senat lehnt Alternativen
       zu seinem Modell ab. „In dem Gespräch Ende Mai wurde endgültig klar, dass
       der Senat keinen Millimeter von seiner Position abrückt“, sagt Kianidoost.
       „Es gibt nur eine logische Erklärung: dass der Senat das Geld dringend
       braucht“, sagt Rausch.
       
       „Wir erwarten nicht, dass uns die Häuser geschenkt werden“, meint
       Kianidoost. „Wir möchten die Häuser jedoch zu einem vernünftigen Preis
       kaufen und nicht zu einen künstlich hochgesetzten Betrag.“
       
       So gebe es ein Finanzierungskonzept für ein Alternativangebot der
       Karo-Genossenschaft, was nicht nach dem Prinzip „linke Tasche, rechte
       Tasche“ funktioniere. Die Genossenschaft könnte für das Karo-Areal 50
       Millionen Euro aufbringen, die durch die aktuellen Mieten refinanzierbar
       seien. „Dies könnten wir genauer berechnen, sobald uns die Stadt die
       notwendigen Zahlen auf den Tisch legt“, sagt Rausch. „Aber auch das
       verweigert sie uns.“
       
       Die Häuer sollen an die Saga gehen, „um den städtischen Kontroll-Einfluss
       zu behalten“, sagt Frank Krippner von der Stadtentwicklungsbehörde. Denn
       der Verkauf an die Karo-Genossenschaft komme einer Privatisierung gleich.
       Für den Bürgerschaftsabgeordneten der Linksfraktion, Tim Golke, ein
       „falsches Totschlagargument“. Der Senat propagiere ja das
       Genossenschaftsprinzip in der Stadtentwicklung.
       
       Die Karo-Genossenschaft will nicht aufgeben und setzt sich weiter für die
       „Vergesellschaftung“ der Hauser ein. „Wir sind Leute, die über unsere
       Wohnungen mitreden wollen“, sagt Kianidoost. „Dass wir missachtet werden,
       nehmen wir nicht hin.“
       
       16 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kai von Appen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) tazlab 2012: „Das gute Leben“
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Teurer Wohnungsmarkt: Explodierende Immobilienpreise
       
       Preissteigerungen von zehn bis 13 Prozent belegt der Hamburger
       Immobilienmarktbericht. Der Senat hofft auf Linderung durch sein
       Wohnungsbauprogramm.
       
 (DIR) Kommentar: Der Verkauf des Karoviertels: Das falsche Signal
       
       Der Hamburger Senat schlägt ein interessantes Angebot der
       Mietergenossenschaft Karolinenviertel aus, um durch einen Deal mit der
       Wohnungsbaugesellschaft Saga Haushaltslöcher zu stopfen.
       
 (DIR) STADTENTWICKLUNG: Zehn neue Wohnungen
       
       Saga / GWG fährt Wohnungsneubau hoch. Langer Vorlauf nötig. Der Kauf der
       GWG geht weiter.
       
 (DIR) Streit um Bebauungsdichte: Opposition gegen Wohnungen
       
       CDU, Grüne und FDP sind gegen Mehrfamilienhäuser in der Röttiger-Kaserne,
       es gäbe keinen Bedarf. Für die Kampfmittelräumung müssen bis zu 2.100 Bäume
       fallen.
       
 (DIR) Wir wollen wohnen: Obdach oder nicht
       
       In der Stadt herrsche Wohnungsnot, sagt ein neues Aktionsbündnis.
       Tatsächlich entstehen zu wenig und vor allem zu teure Neubauten.
       
 (DIR) Bauprojekt in Barmbek verändert: Eigentum schlägt Sozialbau
       
       Bezirks-Abgeordnete fühlen sich von der Firma des CDU-Politikers Andreas
       Wankum getäuscht: Sie wollte geförderte Wohnungen bauen - die kann man
       jetzt kaufen.
       
 (DIR) Zahlenspiel zur Stadtentwicklung: Wohnungsbau schöngerechnet
       
       Der SPD-Senat ist stolz, im vergangenen Jahr über 6.800 Einheiten genehmigt
       zu haben - allerdings brutto. Laut Statistikamt Nord sind es nur 5.000.
       
 (DIR) Olaf Scholz über Genossenschaften: „Zur taz passt dieses Modell“
       
       Man muss mit seinem Geld auskommen, meint Olaf Scholz, heute Bürgermeister
       von Hamburg. Vor 20 Jahren riet er der taz, zum Überleben eine
       Genossenschaft zu gründen.