# taz.de -- Marokko im Buch: Freundschaft und Unterdrückung
       
       > Eine Gesellschaft, deren Teile sich fremd bleiben: Abdellah Taïas „Der
       > Tag des Königs“ erzählt davon am Beispiel zweier marokkanischer Schüler.
       
 (IMG) Bild: Hinter diesen Mauern bleiben sich Menschen bei aller Nähe fremd: Marokkos Hauptstadt Rabat.
       
       Der letzte Schultag vor den Sommerferien 1987. Es ist heiß in Salé, der
       Nachbarstadt von Rabat, und die beiden Freunde Omar und Khalid müssen
       rennen, um noch pünktlich zum Unterricht zu kommen. Zuvor hat Omar Khalid
       von einem Albtraum erzählt, in dem er eine Audienz beim allseits
       gefürchteten König Hassan II. hatte.
       
       Im Traum hat der 14-jährige Omar dem übergroßen König die Hand geküsst, und
       er hat ihn sogar nackt gesehen. Da Omar aber nicht wusste, in welchem Jahr
       Hassan II. gekrönt wurde, fiel er in einen tiefen Abgrund.
       
       Im Collège angelangt, verkündet der Schuldirektor, dass die besten Schüler
       des Landes vom König eine Ehrung empfangen werden und dass Khalid
       ausgewählt wurde, an diesem Empfang teilzunehmen. Omar ist zutiefst
       enttäuscht, dass Khalid ihm dies verschwiegen hat. Die Freundschaft der
       beiden Jungen bekommt einen Knacks, denn bislang hatten sie einander alles
       anvertraut.
       
       Von dieser zutiefst innigen Beziehung zeugt jede Seite des Romans, der zwar
       aus Omars Sicht erzählt wird, aber in weiten Teilen dialogisch angelegt
       ist. Über Dutzende Seiten unterhalten sich Omar und Khalid. In oft kurzen
       Sätzen folgen Rede und Gegenrede aufeinander. Dieses dichte Flechtwerk
       zeugt davon, wie nah sich die beiden Jungen sind.
       
       Auch körperlich sind sie einander zugetan, wobei die Homoerotik in diesem
       vierten Roman Abdellah Taïas weniger ausschließlich ist als in seinen
       vorherigen Werken, da die beiden Jungen sich gelegentlich auch für Mädchen
       interessieren. Die körperliche Liebe zwischen Omar und Khalid ist eher Teil
       und Fortführung ihrer tiefen Freundschaft:
       
       „Ich knipste die Lampe aus und legte mich zu Khalid in das kleine grüne
       Bett. Ohne ihn aufzuwecken. Er war es gewohnt. Von mir. Von meinem Körper.
       Von uns. Zu zweit. Eins.“
       
       Abdellah Taïa entfaltet in „Der Tag des Königs“ die Innenwelt einer
       Freundschaft. Diese spielt sich in der Schule, in den Zimmern der beiden
       Jungen, an einer Straße und im nahe gelegenen Marmorawald ab. Doch bleibt
       die Umgebung stets Kulisse. Sie wird kaum beschrieben, so raumfüllend ist
       das Miteinander der beiden Jungen. Trotzdem hat Taïa diese
       Freundschaftsgeschichte historisch genau situiert.
       
       Fast beiläufig beschreibt Taïa die sozialen Brüche, die die marokkanische
       Gesellschaft durchziehen: Am augenfälligsten ist die Angst der Bevölkerung
       vor König Hassan II. Doch auch die trennende Wirkung unterschiedlichen
       Besitzstandes spielt eine große Rolle.
       
       Khalid ist hellhäutig und reich, er wohnt in einer Villa und verbringt die
       Ferien in Paris. Omar ist dunkelhäutig, arm und spricht nur holperig
       Französisch. Nach den Sommerferien soll er ein minderwertiges
       Sprachgymnasium in Salé besuchen, während Khalid eine zukunftsträchtige
       Ausbildung an einem naturwissenschaftlichen Gymnasium in Rabat erhalten
       wird. Die soziale Trennung der beiden Jungen steht also bevor.
       
       Doch auch das schwierige Verhältnis der Geschlechter zueinander spielt eine
       wichtige Rolle, denn Omars Mutter hat die Familie verlassen. „Ich bin
       frei“, hat sie insistiert, und ihr Mann versteht die Welt nicht mehr: „Ich
       verwahrte sie gut, meine Frau. Fast immer eingeschlossen.“ Omar begreift,
       wie wenig er die eigene Mutter kannte. Auch andere Frauen beobachtet er,
       ohne ihnen wirklich nahe zu kommen.
       
       Besondere Empathie bringt er Khalids schwarzem Hausmädchen Hadda entgegen,
       da auch sie aus einfachen Verhältnissen stammt: „Hadda gehörte zu mir, sie
       lebte in meiner Welt, weit von Khalid entfernt.“ Eigentlich aber stammt
       Hadda aus noch viel prekäreren Verhältnissen als Omar. Außerdem ist sie
       schwarz und steht für ihren in der Freizeit malenden Hausherrn, der sie
       auch sexuell missbraucht, als „Negersklavin“ Modell.
       
       Herrscher und Beherrschte, Reiche und Arme, Männer und Frauen, Schwarze und
       Hellhäutige – sie alle bleiben einander in diesem Roman fremd. Dabei ist
       Omar die Figur, die sich am freisinnigsten zwischen den Schichten, den
       Geschlechtern und den Hautfarben bewegt. Doch auch er scheitert in seiner
       Freundschaft zu Khalid, die den Keim der Utopie in sich trägt und dennoch
       tragisch endet.
       
       ## Abdellah Taïa: „Der Tag des Königs“. Aus dem Französischen von Andreas
       Riehle. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 179 Seiten, 19,95 Euro
       
       19 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Borchardt
       
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